Französische Regierung bringt Netzsperren-Gesetz ein
Frankreich will Bürgern, die unlizenzierte Kopien digitaler Medienprodukte aus dem Internet herunterladen, künftig den Zugang zum Internet sperren. Das französische Kabinett brachte am Mittwoch einen Gesetzesentwurf auf den Weg, der diese Sanktion vorsieht.
Demnach können sich Musik- oder Filmverlage und andere Urheberrechtsinhaber an eine Behörde wenden, wenn sie Hinweise auf illegale Kopien haben. Der Staat verschicke dann eine Abmahnung per E-Mail und notfalls eine zweite per Einschreiben, hieß es.
Zentraler Internet-Sheriff
Der Gesetzesentwurf sieht die Schaffung einer Regierungsbehörde vor, die mit weitreichenden Vollmachten ausgestattet werden soll. Die HADOPI [La Haute Autorite pour la diffusion des oevres et la protection des droits sur Internet] genannte Regierungsstelle soll auf Zuruf der Rechteinhaber vermeintliche Urheberrechtsverletzer kontaktieren, verwarnen und gegebenenfalls die Sperre der Zugänge anordnen.
Die Behörde kann darüber hinaus Internet-Anbieter dazu verpflichten, Filtertechnologien zu implementieren, und Strafen in Höhe von bis zu 5.000 Euro gegen Anbieter verhängen, die Nutzern, die sich auf der "schwarzen Liste" der Regierungsstelle befinden, Zugänge zur Verfügung stellen.
Kopiere der Adressat dennoch rechtswidrig weiter, werde sein Internet-Abonnement "für die Dauer von drei Monaten bis zu einem Jahr" gesperrt. Die Nutzer könnten sich auch gegen eine "Transaktion", wie es in einer Mitteilung von Kulturministerin Christine Albanel heißt, eine schnellere Wiederherstellung des Netzzugangs erkaufen. Das Gesetz soll im Jänner 2009 in Kraft treten. Erarbeitet wurde die "Three Strikes Out"-Vereinbarung von einer Arbeitsgruppe unter der Leitung von Denis Olivennes, dem Geschäftsführer der französischen Medienhandelskette FNAC.
Provider müssen zahlen
Das Vorhaben beruht auf einer Vereinbarung mit der Musik- und Filmindustrie sowie den französischen Internet-Anbietern von November. Die Filtertechnik zum Aufspüren von illegalen Kopiervorgängen und deren Urhebern sollen dabei die Zugangsanbieter liefern. "Es gibt keinen Grund, warum das Internet eine rechtsfreie Zone sein sollte", erklärte der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy. Werde nichts gegen unlizenzierte Kopien unternommen, werde es "eines Tages keine Neuschöpfungen mehr geben".
Kulturministerin Albanel sagte zu Kritik an der notwendigen Überwachung des Internet-Verkehrs, es gehe nicht um das Ausspionieren der Computernutzer. Es sei auch klar, dass sich das Problem der illegitimen Kopien "nicht zu hundert Prozent beseitigen lässt".
Gegenleistung: Selbstverpflichtung
Im Gegenzug für die verschärfte Verfolgung von Raubkopierern soll nach einer Selbstverpflichtung der Industrie spätestens ein Jahr nach Einführung des neuen Systems der Kopierschutz für Musikstücke und Filme abgeschafft werden. Die Musik- und Filmindustrie versucht bisher, ihre Stücke durch ein System digitaler Lizenzen [DRM] zu sichern. Diese Schutzmechanismen werden aber immer wieder von Hackern geknackt und erweisen sich als weitgehend wirkungslos. Außerdem gilt die Verpflichtung nur für französische Musikstücke und auch nur für den Fall, dass die DRM-Systeme die Interoperabilität behindern.
Die Industrie verliert durch die Abschaffung der DRM-Systeme nichts.
Keine richterliche Kontrolle
Französische Bürgerrechtler haben auf der Website La Quadrature du Net eine Matieralsammlung zur "Loi Olivennes" zusammengetragen. Sie kritisieren, dass die vorgeschlagene Zentralbehörde ohne richterliche Kontrolle einfach auf Zuruf der Medienindustrie Internet-Zugänge von Bürgern kappen dürfe.
"Bisher sind nur die Ansichten der Musikkonzerne in den Entwurf eingeflossen. Alle anderen Ansichten waren tabu", so Christophe Espern, Gründer von La Quadrature du Net, am Mittwoch in einem Chat auf der Website der Pariser Tageszeitung "Le Monde". Außerdem bestehe die Gefahr, dass die Musikkonzerne User anzeigen, deren Identitäten von anderen Leuten gefälscht worden sind. Es gebe "keine einzige" Bestimmung in dem ganzen Gesetz, die den Endverbrauchern zugute komme.
La Quadrature du Net äußert auch die nicht ganz unberechtigte Vermutung, dass Sarkozy während der französischen EU-Ratspräsidentschaft, die am 1. Juli beginnt, für ähnliche Maßnahmen auf europäischer Ebene werben wird. "Frankreich und die EU-Kommission versuchen, das Parlament davon zu überzeugen, das Dreistufensystem ["Three Strikes Out", Anm. d. Red.] im Telekompaket unterzubringen, das derzeit verhandelt wird", so Espern im "Le Monde"-Chat. "Es ist sinnvoll seine Europaabgeordneten daraufhin anzusprechen."
Im April 2008 hat sich das EU-Parlament gegen Internet-Sperren als Maßnahmen zum Schutz des Urheberrechts ausgesprochen.
Der sozialdemokratische französische EU-Abgeordnete Guy Bono bezeichnete in einer Aussendung vom Mittwoch das Gesetz als "übertrieben". Sarkozy und seine bürgerliche Regierung würden damit Unschuldige kriminalisieren und öffentliche Gelder verschwenden. So sei es kaum möglich, von jedem Nutzer der 4.000 öffentlichen WLAN-Access-Points der Stadt Paris einen Ausweis zu verlangen.
Es sei sinnvoller, auf eine weltweite Lizenzpolitik hinzuarbeiten, anstatt Internet-Nutzer in die Illegalität zu treiben.
(AFP | futurezone)