Evolution der "intelligenten" Kleidung
Schon seit den 1960er Jahren experimentieren Wissenschaftler mit Computern, die in Kleidungsstücke eingebaut sind. "Wearables" werden auch heute gerne belächelt, doch sinnvolle Anwendungen wie Wanderkleidung mit eingebauten GPS-Geräten stehen kurz vor der Markteinführung.
Die Geschichte von Wearables, also am Körper tragbarer Technologie, beginnt in den 1960er Jahren. Ed Thorpe und Claude Shannon entwickelten damals am Massachusetts Institut of Technology einen analogen Computer, etwa so groß wie eine Zigarettenschachtel, mit dem sie die Geschwindigkeit eines Rouletterades berechnen und damit das Ergebnis vorhersehen konnten. Das errechnete Resultat wurde dann per Radiowellen an ein Hörgerät übertragen.
In den 1980er Jahren prägte der amerikanische Forscher Steve Mann das Bild vom Menschen als Cyborg. Er schnallte sich einen Computer auf den Rücken und experimentierte mit tragbaren drahtlosen Webcams.
Die nicht unbedingt kleidsamen tragbaren Interfaces der Pionierzeit landeten inzwischen im Museum. Heute machen sich Forschungsinstitute wie das MIT und die ETH in Zürich sowie auch Künstler und Modedesigner über eine neue Generation von Wearables Gedanken, die funktionelle Technologie und Kleidung verbinden und obendrein auch gut aussehen. Eine von diesen Pionieren ist die österreichische Designerin Sabine Seymour.
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Jacke mit GPS
Seymor gründete vor zehn Jahren in New York die Firma Moondial, die sich auf Smart Clothes spezialisierte. Für Nike entwickelte sie beispielsweise einen Turnschuh mit integriertem Chip, der Zeit und Distanz misst. Um das Jahr 2000 prägte sie den Begriff Fashionable Technology, der die mittlerweile sehr unterschiedlichen Entwicklungen, die beim Zusammenspiel von Design, Mode und tragbarer drahtloser Technologie entstehen, zusammenfasst.
Im Buch "Fashionable Technology. The Intersection of Design, Fashion, Science and Technology", das vor kurzem im Springer Verlag erschien, gibt sie einen Überblick über die neuesten Trends und Entwicklungen auf diesem Gebiet.
Eine dieser Entwicklungen ist beispielsweise die intelligente Snowboardjacke "Nav-Jacket", die der kalifornische Sportbekleidungshersteller O'Neill in der nächsten Saison herausbringen wird. Dank eingebautem GPS-System kann sich der Träger in den Bergen orientieren. Die Route wird auf einem Display am Ärmel angezeigt. Ein integrierter Wetterdienst sagt ihm auch gleich, ob in den nächsten Stunden ein Schneesturm aufzieht.
Ein anderes Beispiel sind smarte Arbeits- und Rettungsbekleidungen. Sie können dem Träger in Extremsituationen wichtige Informationen über seinen Körper und die Umwelt vermitteln, zum Beispiel über die Qualität der Atemluft. Die Informationen können entweder visuell, akustisch oder über ein taktiles Feedback übertragen werden, indem sich die Jacke beispielsweise zusammenzieht.
Doch nicht alles, was unter das recht weitläufige Label "Fashionable Technology" passt, ist so funktionell wie die erwähnten Rettungsanzüge. Viele Projekte, die Sabine Seymour in ihrem Buch vorstellt, sind künstlerische Prototypen, die etwa für Performances und auf der Bühne eingesetzt werden, aber wohl kaum den Sprung in die alltägliche Anwendung schaffen. Dennoch lebt die Technologie gerade vom kreativen Potenzial solcher Entwicklungen. Zum Beispiel Kleidung aus der Dose, die der englische Designer Manuel Torres auf Schauspieler sprayt. Oder eine Brosche aus blütenförmig angeordneten zypriotischen Briefmarken, die wie von Geisterhand die Blätter öffnet, wenn es in Zypern regnet.
Den Radiobeitrag zu diesem Text hören Sie am Sonntag, dem 22. Juni 2008, um 22.30 Uhr im Ö1-Netzkulturmagazin "Matrix".
~ Link: "Matrix"-Beiträge für den 22. Juni (../http://www.fuzo-archiv.at/?id=286846v2) ~
Umarmungssimulatoren
Ein weiteres Kleidungsstück, das Sabine Seymour vorstellt, ist das weiß-rote Hugshirt [von engl. hug = Umarmen] des britischen Labels CuteCircuit, das über eine Java-Applikation am Handy Berührungen am Körper über Vibration auf den Körper eines anderen Hugshirtträgers überträgt.
Klingt angenehm. So ein Pullover könnte in Zukunft Fernbeziehungen einfacher machen. Dennoch bergen solche intelligenten Kleidungstücke auch die Gefahr, dass Bewegungen und Positionen von Menschen überwacht werden. Um so einen Missbrauch zu vermeiden, ist es wichtig, den kommunizierenden Kleidungsstücken auch einen Ausschaltknopf einzubauen, meint deshalb Sabine Seymour.
In den nächsten Jahren erwartet sich Sabine Seymour keinen massenhaften Boom der Fashionable-Technology-Branche. Ganz einfach, weil solche Produkte in der Herstellung noch relativ teuer sind. Potenziale gibt es aber im Bereich der Altersversorgung, der Sicherheitsbekleidung, der Freizeitbekleidung und der Werbung, die gerne Menschen als wandelnde digitale Litfasssäulen sähe. Ob die Träger ihre Display-Kleider dann auch lieber ausschalten, ist eine andere Geschichte.
Buchtipp:
Sabine Seymour, Fashionable Technology: The Intersection of Design, Fashion, Science and Technology, Springer 2008
(matrix | Anna Masoner)