BKA wird Anti-Terror-Zentrale

20.06.2008

Der deutsche Bundestag hat in erster Lesung über die Novelle des Gesetzes debattiert, das Struktur und Befugnisse des Bundeskriminalamts [BKA] regelt. Innenminister Wolfgang Schäuble [CDU] will dem Amt mehr Macht im Kampf gegen den Terror verleihen, die Opposition sieht in den Plänen eine verfassungswidrige Fusion von zentraler Superpolizei und Geheimdienst.

Gegen massiven Widerstand der Opposition hat die Große Koalition in Deutschland mit dem BKA-Gesetz eine der größten Polizeireformen in der Geschichte Deutschlands im Parlament auf den Weg gebracht.

Bei der ersten Lesung im Bundestag verteidigte Schäuble das Gesetz am Freitag als unerlässlich im Kampf gegen den internationalen Terrorismus. Der CDU-Politiker wies auf die "ernste Bedrohungslage" hin und verwahrte sich gleichzeitig gegen Vorwürfe, der Datenschutz sei nicht ausreichend berücksichtigt.

Mit dem Gesetz soll das BKA erstmals die Aufgabe der Gefahrenabwehr erhalten. Neben der verdeckten Online-Durchsuchung privater Computer ermöglicht die Reform auch die akustische und optische Videoüberwachung von Wohnungen. Ziel ist es, den Gesetzesentwurf im Spätherbst zu verabschieden.

Externe Quellen:

SPD mahnt Änderungen an

Die gemeinsam mit der CDU/CSU SPD geht mit einer langen Liste von Änderungswünschen in die parlamentarischen Beratungen. Unter anderem wollen sie die Wirksamkeit der Neuregelung nach einem bestimmten Zeitraum durch Wissenschaftler überprüfen lassen. Die Online-Durchsuchungen sollen möglicherweise befristet werden.

Der SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz verteidigte das Gesetz im Bundestag trotzdem. "Wir haben den Anspruch, aus einer guten Vorlage ein sehr gutes Gesetz zu machen", sagte er. Die spektakuläre Debatte über die Reform sei "völlig überzogen". Das Gesetz stelle eine "maßvolle, kluge Weiterentwicklung unserer bewährten Sicherheitsarchitektur" dar.

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Die neuen Befugnisse des BKA

Zur Abwehr des internationalen Terrorismus soll das BKA erstmals Präventivaufgaben übernehmen dürfen, wenn eine länderübergreifende Gefahr vorliegt, die Zuständigkeit einer Landespolizeibehörde nicht erkennbar ist oder die oberste Landesbehörde um eine Übernahme ersucht.

Eine Überwachung ist dann zu unterbrechen, wenn der Kernbereich privater Lebensgestaltung betroffen ist. Aufzeichnungen, die diesen privaten Bereich betreffen, sind unverzüglich zu löschen. Erkenntnisse dürfen nicht verwertet werden. Bestehen Zweifel, wird eine automatische Aufzeichnung erlaubt, die dem anordnenden Gericht zur Entscheidung vorzulegen ist. Die Erfassung der Daten und ihre Löschung muss festgehalten werden. Zum Kernbereich gehören etwa private Dinge wie Tagebuchaufzeichnungen und Fotografien.

Das BKA kann zur Abwehr einer "dringenden Gefahr" für den Bestand oder die Sicherheit des Staates oder für Leib, Leben oder Freiheit einer Person oder Sachen von bedeutendem Wert durch den verdeckten Einsatz technischer Mittel das nichtöffentlich gesprochene Wort einer Person abhören und aufzeichnen sowie Bildaufzeichnungen machen.

Diese Maßnahmen dürfen nur auf Antrag des BKA-Präsidenten oder seines Vertreters von einem Gericht angeordnet werden. Ist Gefahr im Verzug, darf sofort gehandelt werden. Die gerichtliche Entscheidung ist unverzüglich nachzuholen.

Das Bundeskriminalamt kann von öffentlichen oder nichtöffentlichen Stellen die Übermittlung von personenbezogenen Daten von bestimmten Personengruppen aus Dateien verlangen. Diese werden automatisch mit anderen Datenbeständen abgeglichen. Voraussetzung ist wiederum die Abwehr schwerwiegender Gefahren.

Das BKA darf ohne Wissen des Betroffenen mit technischen Mitteln in informationstechnische Systeme eingreifen und aus ihnen Daten erheben. Voraussetzung ist, dass eine Gefahr vorliegt für Leib, Leben oder Freiheit einer Person oder solche Güter der Allgemeinheit, deren Bedrohung die Grundlagen oder den Bestand des Staates oder die Grundlagen der Existenz der Menschen berührt.

Das BKA darf ohne Wissen des Betroffenen dessen Telekommunikation überwachen und aufzeichnen. Es darf ferner Verbindungsdaten erheben und bei Mobilfunk den Standort des Gerätes ermitteln.

Das BKA darf unter bestimmten Voraussetzungen ohne Einwilligung des Inhabers auch eine Wohnung betreten und durchsuchen.

Opposition: "Gesetz verfassungswidrig"

Die Opposition lehnte das Gesetz geschlossen ab. Die FDP-Politikerin Gisela Piltz warf der Koalition vor, sie wolle das BKA zu einer "Überwachungsbehörde von bislang nicht vorstellbarem Ausmaß" umgestalten. Ihr Fraktionskollege Max Stadler fügte hinzu, das Gesetz schaffe eine Mischung aus Polizei und Geheimdienst und sei "in Teilen offenkundig verfassungswidrig".

Die Innenexpertin der Linken, Ulla Jelpke, sagte, durch die gesamte Politik der Bundesregierung ziehe sich der Anspruch, "Grundrechte zu schleifen, um die allumfassende Überwachung der Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten".

Der grüne Politiker Wolfgang Wieland sagte, das Gesetz sei "aus Sicherheitsgründen so notwendig wie ein Kropf". Die Reform schaffe eine völlig neue Qualität von Polizeiarbeit. "Man bringt hier eine Monsterbehörde auf den Weg, und wir werden uns noch alle die Augen reiben."

Verfassungsrichter stoppen Überwacher

Das Bundesverfassungsgericht hatte im Februar den Begehrlichkeiten der Fahnder beim Einsatz verdeckter Online-Durchsuchungen enge Grenzen gesetzt. Das heimliche Ausspähen von Computern ist demnach nur dann zulässig, "wenn tatsächliche Anhaltspunkte einer konkreten Gefahr für ein überragend wichtiges Rechtsgut bestehen".

Die Verfassungshüter entwickelten außerdem mit Blick auf die Gefahren der Online-Durchsuchung ein neues "Grundrecht auf die Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme".

AK Vorrat: Petition gegen Novelle

Die deutsche Bürgerrechtsorganisation Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung [AK Vorrat], die bereits Verfassungsbeschwerde gegen die deutsche Umsetzung der EG-Richtlinie zur Vorratsspeicherung von Telefonie- und Internet-Verbindungsdaten eingebracht hat, sammelt noch bis zum 1. Juli Unterschriften für eine Petition gegen die Novelle des BKA-Gesetzes.

Der Gesetzesentwurf des Bundesinnenministeriums verstoße gegen den Polizeibrief vom 14.4.1949, dem zufolge der Bund nur die Koordinierung der Verbrechensverfolgung übernehmen dürfe und ihm daher keine exekutiven Eigenbefugnisse übertragen werden dürften, so die Bürgerrechtler. "Der Polizeibrief soll die Gefahr einer Wiederholung der Verbrechen früherer zentraler Polizeibehörden wie der Gestapo schon im Ansatz unterbinden", schreibt der AK Vorrat auf seiner Website.

Ähnliche Vorhaben in Österreich

In Österreich wurde die Novellierung des Sicherheitspolizeigesetzes, die unter anderem die Handyortung bei von der Polizei selbst definierter "Gefahr in Verzug" erlaubt, von den Sicherheitssprechern Günter Klößl [ÖVP] und Rudolf Parnigoni [SPÖ] am Innenausschuss des Nationalrats vorbei durchs Parlament geschleust. Eine breite öffentliche Diskussion über das Thema gab es, anders als in Deutschland, nicht.

Innenminister Günther Platter [ÖVP] hat bei der Vorstellung des Arbeitsgruppenberichts zur verdeckten Online-Durchsuchung zu Protokoll gegeben, dass diese noch vor dem Sommer 2008 in die Strafprozessordnung integriert werden soll. Im aktuellen Arbeitsplan der Regierung ist vermerkt, dass die Neuregelung bereits im Juli kommen soll.

(APA | AP | dpa | futurezone)