LiMux: Eine Frage der Unabhängigkeit
Während sich Wien mit der Umstellung auf Open-Source-Software in der Stadtverwaltung schwer tut, geht die Stadt München den Wechsel auf offene Standards im Rahmen eines mehrjährigen Programms systematisch an. Projektleiter Florian Schießl sprach mit ORF.at über Probleme und Erfolge des Projekts - und über das politische Konzept hinter dem Wechsel.
Die Nachricht, dass die Wiener Stadtverwaltung bei ihrer größten Linux-Installation, den Wiener Kindergärten, fortan neben der hauseigenen Wienux-Distribution auch Windows XP einsetzen will, hat die Open-Source-Szene beunruhigt.
In der bayrischen Landeshauptstadt München dagegen läuft die Umstellung der Stadtverwaltungscomputer auf Debian GNU/Linux im Rahmen des LiMux-Projekts nach Plan. Der Verein Quintessenz lud daher Florian Schießl, stellvertretenden Projektleiter für LiMux, für Dienstag zu einem Vortrag nach Wien ein.
Wirrwarr um Wienux
Eine Verquickung von Missverständnissen und Zeitdruck führte dazu, dass in Wiens Kindergärten neben Wienux nun auch Windows zum Einsatz kommt. Die zuständige MA 10 hatte den Auftrag für eine Software zur Erfassung der Sprachkenntnisse von Kindern schon vergeben, als klarwurde, dass diese nur im Internet Explorer und damit nicht unter Wienux läuft.
Florian Schießl, 30, ist stellvertretender Projektleiter des LiMux-Projekts der Stadt München.
ORF.at: Herr Schießl, wie sind Sie zum LiMux-Projekt gekommen?
Florian Schießl: Ich bin von Anfang an mit dabei, seit 2003. Erst als stellvertretender technischer Projektleiter, seit Anfang 2008 stellvertretender Gesamtprojektleiter. Von Beruf bin ich Diplomverwaltungswirt. Ich habe zwar den IT-Schwerpunkt im Studium belegt, bin aber kein Informatiker.
Ich wollte zum LiMux-Projekt, weil ich schon vorher gern mit Open-Source-Software gearbeitet habe. Das hat sich wunderbar ergeben. Ich bin seit 1998 mit Linux unterwegs. Ich wusste schon vorher, wovon ich spreche.
Wie viele Leute sind in der Stadt München direkt mit LiMux beschäftigt?
Das Projektteam besteht derzeit aus 15 Technikern und fünf Projektleitern. Die Techniker stellen unseren Basisclient bereit, warten die Config-Management-Lösung, betreuuen unsere Office-Migration und unsere Vorlagen-Software WollMux.
Aus welchen Komponenten besteht Ihr System? In Wien gibt es ja mit Wienux eine eigens angepasste Distribution.
Die Vorgabe des Stadtrats aus dem Jahr 2003 war, offene Standards und freie Software auf den Desktop-Arbeitsplätzen der Stadtverwaltung einzusetzen. Ebenso wichtig war es dem Stadtrat, dass wir plattformunabhängige und möglichst Web-basierte Fachverfahren bereitstellen.
Natürlich lässt sich das nicht alles von heute auf morgen umstellen, aber bei Neuausschreibungen und Neuentwicklungen achten wir darauf, dass alles plattformunabhängig funktioniert. Das heißt: Keine Active-X-Komponenten, die nur im Internet Explorer funktionieren.
Vor dem Hintergrund sind wir dann Ende 2004 in eine Ausschreibung darüber gegangen, welche Plattform künftig auf unseren Arbeitsplätzen zum Einsatz kommen sollte.
Es kamen eine Vielzahl von Angeboten, die auf kommerzielle Enterprise-Distributionen von Linux gesetzt haben. Einige wenige mittelständische Anbieter haben uns ein Lösungskonzept für unsere Anforderungen geboten, das auf freien Linux-Distributionen basierte, beispielsweise auf Fedora von Red Hat oder auf Debian.
Da hat sich sehr schnell für uns herauskristallisiert, dass wenn wir wirklich unabhängig sein wollen, dann sollten wir das sehr konsequent durchziehen. Deshalb setzen wir auf eine freie Distribution, auf Debian GNU Linux, die wir zusammen mit einem mittelständischen Dienstleister an unsere Bedürfnisse anpassen.
Das heißt: LiMux ist keine eigene Distribution.
Wir haben keine Münchner Distribution. Wir nutzen zu 99 Prozent die von Debian bereitgestellten Pakete. Wir haben einige neuere Pakete hinzugefügt, beispielsweise eine aktuellere Version von OpenOffice. Wir kümmern uns überwiegend um die Konfigurationen für unsere Benutzerinnen und Benutzer.
Die Migration des Betriebssystems von Windows auf Linux ist aber nur ein Weg. Gerade in größeren Bereichen, die sehr viel mit Fachverfahren zu tun haben, ist das eine eher komplexe Angelegenheit. Deshalb gibt es bei uns einen anderen legitimen Migrationsweg, bei dem erst auf OpenOffice unter Windows umgestellt wird. Die Vorlagen und Formulare werden auf das OpenOffice-System angepasst und dann wird in einem zweiten Schritt das Betriebssystem gewechselt.
Der Schritt ist aber nicht optional.
Die Migration soll bis 2012 auf 80 Prozent unserer Arbeitsplätze abgeschlossen sein. Das ist so unsere Zielgröße. Wir werden niemals Linux auf allen Arbeitsplätzen einsetzen können. Genausowenig wie wir in der Vergangenheit zu 100 Prozent Microsoft-Betriebssysteme hatten.
Das liegt daran, dass bestimmte Fachverfahren und Arbeitsplätze Software brauchen, die es nur auf Macintosh und Windows gibt. Bei diesen Systemen wäre die Umstellung unwirtschaftlich.
Uns fällt kein Zacken aus der Krone, wenn diese Parallelwelt von 20 minus X Rechnern auch später noch existiert.
Von wie vielen Arbeitsplätzen reden wir?
Die Stadtverwaltung hat 14.000 Arbeitsplätze. Die Münchner Stadtwerke und die Münchner Verkehrsgesellschaft gehören nicht zum Hoheitsbereich der Stadtverwaltung. Genausowenig übrigens wie das pädagogische Netz der Münchner Schulen.
Die laufen auch weiterhin unter Windows. Momentan sind auf allen 14.000 Rechnern der Stadtverwaltung und auf allen 28.000 Rechnern des pädagogischen Netzes zumindest Basiskomponenten freie Software, nämlich Thunderbird für E-Mail und Firefox als Web-Browser, um auch hier diese klassischen Abhängigkeiten zu Internet Explorer und Outlook auszuschließen.
Wie hoch ist das Budget für die Umstellung?
Die Kostenschätzung, die bereits verifiziert wurde, geht von rund 13 Millionen Euro aus. Momentan ist es so, dass wir weit weniger ausgegeben haben als veranschlagt wurde. Darin enthalten sind die Kosten, um die Umstellung zu meistern. 2003 wurde ein Betrachtungszeitraum von fünf Jahren gewählt, der allerdings ausgedehnt wurde. Momentan gehen wir von einem Zeitraum von 2005 bis 2011, maximal 2012 aus, für die diese 13 Millionen Euro bereitgestellt wurden.
Wie reagieren die Mitarbeiter der Stadtverwaltung auf den Wechsel?
Das Besondere an LiMux ist, dass es eben kein technisches Änderungsprojekt ist, bei dem einfach eine neue Software installiert wird. Es geht darum, Veränderungsbereitschaft zu wecken. Hier sind wir gegenüber den Mitarbeitern sehr früh tätig geworden. Wir haben sehr früh über das Projekt informiert und unsere ersten Pilotversuche mit dem Linux-Client zu den Leuten gebracht. Sie konnten sich damit anfreunden. Es gab Podiumsdiskussionen, Informationsmaterial, Gewinnspiele. Und, ganz wichtig, die Mitarbeiter sollen umfangreich geschult werden.
Wir haben ein spezielles Schulungskonzept aufgelegt und geben viel Geld für Schulungen aus. Die Weiterbildung wird nicht nur durch die Umstellung notwendig. In vielen Fällen wissen Leute nicht, was sie mit ihrer Textverarbeitung da so machen. Sie haben kein Verständnis dafür, wie Formatvorlagen funktionieren. Die Migration ist hier eine einmalige Chance, das generelle Kompetenzniveau unserer Kollegen zu erhöhen und ihnen fundiertes Wissen beizubringen. Deshalb wird die Migration auch sehr gut angenommen.
Sie haben keine eigene Linux-Distribution, aber dafür haben Sie ein Programm namens WollMux. Was ist das?
Das ist einer der Erfolgsfaktoren unserer Office-Migration. Wir haben nämlich gesehen, dass es für die Bereitstellung personalisierter Vorlagen und Textbausteine in unseren verschiedenen Fachreferaten völlig unterschiedliche Lösungen gab, die allesamt auf Microsoft Visual Basic aufsetzten.
Wir haben diese Chance ergriffen und mit den Fachbereichen eine gemeinsame Lösung geschaffen, die die unterschiedlichen Anforderungen abdecken soll. WollMux ist plattformunabhängig, Java-basiert und als Erweiterung für OpenOffice verfügbar. Es stellt eine einfache Client-basierte Lösung dar, um personalisierte Briefköpfe, Textbausteine und Formulare verwalten zu können.
Durch WollMux konnten wir die Anzahl der unterschiedlichen Makros für die Briefkopf-Personalisierung um 20 Prozent verringern. Mit jeder zusätzlichen Funktion, die wir in WollMux einprogrammieren, steigt der Komfort, und weitere Makros werden überflüssig. Die Makros sind natürlich an genau ein Produkt geknüpft.
Das Schöne an WollMux ist, dass wir ihn jetzt, nach Abschluss seiner Entwicklungsphase, als freie Software weltweit zur Verfügung stellen können. Er steht unter der EUPL, einer GPL, die an das europäische Recht angepasst wurde. Interessierte Verwaltungen und Firmen können WollMux einsetzen.
Sie verwenden sicher ODF als Dateiformat?
ODF ist für uns das Standardformat, das bis Ende 2009 nach abgeschlossener Office-Migration in der gesamten Stadtverwaltung eingesetzt wird. ODF wird als offener Standard von OpenOffice reibungslos unterstützt.
Es hat sich bei uns in der Verwaltung als das Format herausgestellt, mit dem man zunächst komplex erscheinende Probleme einfach lösen konnte. Es ist gut dokumentiert und offen, und mit Hilfe geeigneter Tools lässt sich auch in der Massenverarbeitung sehr einfach auf die Inhalte von Dokumenten zugreifen.
Hinter ODF stehen ja auch Sun und IBM. Ist es da nicht egal, ob man zu deren Software greift oder zu der von Microsoft? Tauscht man da nicht die Software des einen Megakonzerns gegen die eines anderen aus?
Es gab für den Basisclient eine europaweite Ausschreibung. Die hat ein mittelständisches deutsches Unternehmen gewonnen. Für die Begleitung der Office-Migration haben wir ebenfalls ein mittelständisches Unternehmen gewonnen, das direkt aus München kommt.
Im Zuge der Migration und der Projektmanagement-Beratung haben wir sehr viele unterschiedliche mittelständische Unternehmen und auch Freiberufler immer wieder engagieren können. Die Stadt München hat im Zuge des Projekts knapp vier Millionen Euro vornehmlich an den deutschen und europäischen Mittelstand gegeben. Geld, das in der deutschen und in der europäischen Volkswirtschaft bleibt. Bei der Wahl einer anderen Alternative wäre es nicht im Lande geblieben.
Bei München, in Unterschleißheim, steht ja auch das Deutschland-Hauptquartier von Microsoft. Die schaffen ja auch Arbeitsplätze und sind auch Steuerzahler. Wie gehen Sie mit Microsoft um?
Wir pflegen ein neutrales, in Teilbereichen auch ein konstruktives Verhältnis zueinander. Die Münchner Schulen werden flächendeckend mit Microsoft Windows ausgestattet. Wir haben auch in der Stadtverwaltung einige Microsoft-Arbeitsplätze. Microsoft kann an allen unseren Ausschreibungen teilnehmen. Sie müssen offene Lösungen und offene Standards bieten können, wie wir sie fordern.
Microsoft ist ja nur ein Beispiel für die zahlreichen Firmen, die am IT-Standort München angesiedelt sind. Neben Großkonzernen wie Microsoft, IBM und Siemens gibt es sehr viele kleine und mittelständische Betriebe und Freiberufler mit hoher Kompetenz.
Ist es nicht problematisch, sich auf so einen kleinen Betrieb verlassen zu müssen? Microsoft und Siemens sind große und stabile Konzerne, die nicht von heute auf morgen verschwinden werden.
Freie Software basiert auf offenen Standards. Die Quellcodes sind verfügbar. Der Wechsel eines Dienstleisters ist daher ohne Probleme möglich. Erst vor kurzem haben wir den Dienstleister für unseren Basisclient gewechselt.
Der Vertrag ist ausgelaufen und wurde neu ausgeschrieben, und ein anderes mittelständisches Unternehmen hat die Ausschreibung gewonnen. Das zeigt, dass der Markt, den wir unterstützen wollten, entstanden ist und wir nahtlos eine andere Firma mit der gleichen Aufgabe betrauen konnten.
Sie sagen, Sie wollen den Wettbewerb forcieren. München wird von der SPD regiert. Wettbewerb ist ja eigentlich kein klassisches sozialdemokratisches Projekt. Haben Sie Rückhalt in der Politik?
Ausschlaggebend für die ersten Überlegungen, überhaupt nach Alternativen Ausschau zu halten, war die Frage eines SPD-Stadtrats im Jahr 2001. Der hat die Verwaltung prüfen lassen, ob es Alternativen zu Microsoft Office gäbe.
Im Zuge dieser Prüfung kam die Ankündigung von Microsoft, dass Windows NT 4 nicht mehr unterstützt werden würde, die Stadtverwaltung habe gefälligst Lizenzen des Nachfolgeprodukts zu kaufen. Auch hier kam der Auftrag von den Mehrheitsfraktionen, der SPD und den Grünen, Alternativen zu Windows im Rahmen einer Fachstudie zu prüfen.
Als die Studie dann vorgelegen hat, ging es nicht nur um die technische Machbarkeit, sondern auch um betriebswirtschaftliche und strategische Aspekte. Wir konnten dem Stadtrat dann zwei Modelle vorschlagen. Beim ersten ging es darum, kurzfristig weniger Geld auszugeben, langfristig aber eine Umgebung zu schaffen, in der man einer einzelnen Firma für jedes Update Geld geben muss. Beim zweiten ging es darum, etwas mehr Geld auszugeben und dafür langfristig die Möglichkeit zu haben, die IT selbst zu kontrollieren.
Die zweite Variante war nur zwei bis drei Millionen Euro teurer. Die Stadtratsmehrheit hat sich für die langfristige Strategie entschieden. Seitdem steht unser Stadtrat hinter dieser Strategie, unabhängig zu werden, sowohl von einzelnen Software-Herstellern als auch von einzelnen Plattformen und Beratern. Unabhängig von vorgegebenen Release-Zyklen, wie sie bei großen Softwareherstellern üblich sind. Durch diese Unabhängigkeit verbessern sich die Möglichkeiten für viele Leute, auf dem Markt überhaupt teilnehmen zu können und damit einen Wettbewerb entstehen zu lassen. Am Ende erhalten wir bessere Produkte zu geringeren Preisen.
Interessieren sich auch andere öffentliche Verwaltungen für Ihr Projekt?
Unser stärkster Kooperationspartner, mit dem wir sehr eng zusammenarbeiten, ist das Auswärtige Amt, das deutsche Außenministerium. Dort verfolgt man ein sehr ähnliches Projekt, nämlich den Einsatz von Debian Linux auf allen 11.000 Arbeitsplätzen, darunter auch jene in den 230 deutschen Botschaften weltweit. Das ist ein sehr heterogenes Netz.
Dort können wir uns auf technischer Ebene und bei der Strategie zusammenschließen. Wir treten gemeinsam gegenüber Hardware-Herstellern und Software-Häusern wie SAP auf.
Es gibt auch andere. Die Stadt Amsterdam ist dabei, ein ähnliches Projekt aufzugleisen. Es gibt in Frankreich viele Initiativen, beispielsweise will die Gendarmerie auf Linux migrieren.
Die Stadt Wien ist sicher auch noch relevant. Es muss ja nicht immer die Migration des Betriebssystems sein. Viele erwägen den Umstieg auf OpenOffice. Der weltweite Trend hin zu freier Software in der Verwaltung wird sich nicht aufhalten lassen. Wir sind damals von der öffentlichen Reaktion auf die Entscheidung, ein anderes Betriebssystem einzusetzen, völlig überrascht worden. Dass wir es auf die Titelseite einer US-Tageszeitung schaffen, damit haben wir nicht gerechnet. Dann ist es etwas ruhig um LiMux geworden. Es ist eine Marke geworden. Wir können Erfolge vorweisen. Wir geben die Erfahrungen gerne weiter. Gemeinsam sind wir dann stark.
Sie erwähnten SAP. In Wien werden viele Arbeitsplätze nicht umgestellt, weil Wienux und SAP nicht miteinander können.
SAP fährt meines Erachtens keinen klaren Kurs. Bei uns sind sie mit einem benutzerspezifischen Projekt sehr kooperativ. Wir können unsere Arbeitsplätze, die SAP benötigen, genauso mit einem Linux-Client bedienen wie alle anderen auch. Das ist für uns kein Problem.
Welche Botschaft hätten Sie an Ihre Kollegen in Wien?
Pragmatisch herangehen. Erst kleine Probleme lösen. Kleine Bereiche umstellen und die Erfahrung aufs Ganze übertragen. Der Schritt zu mehr Unabhängigkeit lohnt sich auf jeden Fall. Er muss nur von Anfang an mit dem entsprechenden Willen sowohl der Technik als auch der Politik und der Verwaltung begleitet werden.
(futurezone | Günter Hack)