ICANN-Vorstand für neue gTLDs

26.06.2008

Der ICANN-Vorstand hat sich auf seiner Sitzung in Paris einstimmig für die Annahme des neuen Prozesses zur Schaffung von generischen Top-Level-Domains [gTLDs] ausgesprochen. Bereits im Frühjahr 2009 sollen sich Interessenten für die neuen Adressen bewerben können.

Beim ICANN-Treffen in Paris kam der Vorstand der Internet-Adressverwaltung zu einer Sitzung zusammen, anlässlich derer unter anderem über den Zeitplan für die Einführung neuer generischer Top-Level-Domains entschieden wurde.

Der Vorstand sprach sich einstimmig für die Annahme des Entwurfs der ICANN-Unterorganisation Generic Names Support Organization [GNSO] aus, der die Einführung neuer gTLDs bereits im Frühjahr 2009 vorsieht. Das bedeutet, dass es schon bald neben Domains wie .com, .org und .net auch Adressräume wie .graz, .berlin und .verlag geben wird.

Start im zweiten Quartal 2009

Die genauen Regeln für die Vergabe dieser Domains sollen laut Zeitplan im vierten Quartal 2008 veröffentlicht werden. Dann will die ICANN auch eine weltweite Informationskampagne zu den neuen Domains starten. Im zweiten Quartal 2009 soll dann eine 45-tägige Periode beginnen, während der Interessenten neue gTLDs einbringen können. Wenn diese Phase abgeschlossen ist, werden die eingebrachten Vorschläge geprüft. Die neuen Regeln schlagen eine Registrierungsgebühr von 50.000 bis 100.000 US-Dollar pro neue gTLD vor.

Es wird beispielsweise nachgesehen, ob ein vorgeschlagener Name mehrfach vorkommt - bei Städten kann das schnell passieren -, und es wird auch einen Problemlösungsmechanismus geben für den Fall, dass Copyright- und Markenrechtsstreitigkeiten auftreten. Letzterer soll sich an der bereits bekannten Problemlösungsstrategie [UDRP] der ICANN orientieren.

Die gemeinnützige US-Organisation Internet Corporation for Assigned Names and Numbers [ICANN] verwaltet - vereinfacht gesagt - die Zuordnung von Namen zu den Nummern, den IP-Adressen von Computersystemen im Internet. Derzeit agiert sie noch im Auftrag des US-Handelsministeriums, soll aber bald schon in die Unabhängigkeit entlassen werden.

So gibt es Länderdomains wie .at und .de, die von nationalen Organisationen wie nic.at bzw. Denic verwaltet werden. Als generische Top-Level-Domains werden solche bezeichnet, die nicht auf Länder bezogen sind. Die bekanntesten gTLDs sind .com und .org. Es gibt auch neuere gTLDs wie .mobi, .museum und .name.

Zahlreiche Probleme

"Das ist gleichzeitig die beste und die schlimmste aller Zeiten", sagte ICANN-CEO Paul Twomey laut Protokoll der Vorstandssitzung. "Der Teufel steckt hier im Detail. Es ist ein ähnlicher Schritt wie bei der Liberalisierung der Telekom- oder Elektrizitätsmärkte. Eine ähnliche Marktdynamik steht auch uns nun bevor."

Die ICANN habe in den vergangenen neun Monaten 20 bis 25 Mitarbeiter auf das Thema angesetzt und mindestens zehn Millionen US-Dollar ausgegeben. Das Ergebnis der Untersuchung war, dass die neuen Domains eingeführt werden können. Einen detaillierten Plan für die Einführung gebe es jedoch nicht. "Wir dürfen nicht unterschätzen, wie viel Arbeit noch vor uns liegt", so Twomey.

Der Konfliktlösungsprozess für markenrechtliche und ähnliche Probleme solle sich an der bekannten Uniform Dispute Resolution Policy [UDRP] orientieren, die für die bisherigen Domains gilt. In diesem Verfahren können sich streitende Parteien an die UNO-Organisation WIPO in Genf wenden, die dann zu entscheiden hilft, wem welche Domain zugesprochen wird.

Die Bearbeitungsgebühr für die neuen gTLDs solle so hoch sein, dass sie für die ICANN kostenneutral seien, so Twomey. Immerhin habe man bisher schon zehn Millionen US-Dollar ausgegeben; der gesamte Prozess könne bis zu 20 Millionen Dollar kosten.

Unsicherheit im System

ICANN-Vorstandsmitglied Dave Wodelet von der Address Supporting Organization [ASO] gab zu Protokoll, dass man auch nach eingehenden Untersuchungen eigentlich nicht wisse, wie viele neue gTLDs das DNS - das für die Internet-Adressen verantwortliche System - verkraften könne. "Wahrscheinlich verträgt es so um die 5.000 Domains. Das scheint mir realistisch zu sein", sagte Wodelet, um damit fortzufahren, dass es allein fünf bis sechs Millionen Ortsnamen auf der Welt gebe.

Dazu kämen noch die aus schierer Eitelkeit registrierten Eigennamen. "Ich befürchte, dass wir unser Erbe aufs Spiel setzen. Alles hat seine Grenzen, wie der Adressraum von IPv4", so Dave Wodelet, der die Verfügbarkeit von Domains mit jener fossiler Brennstoffe verglich. Den Nutzen neuer Adressräume im DNS wolle er aber nicht infrage stellen.

Vetomöglichkeit für Regierungen

Die Vorstandsmitglieder Wendy Seltzer - für die Nutzervertretung ALAC - und Susan P. Crawford wiesen darauf hin, dass sich die ICANN nach den derzeitigen Empfehlungen für die gTLD-Einführung auf dünnes Eis begebe. In diesen sei nämlich die Möglichkeit vorgesehen, Domains auf Grundlage der "Störung der öffentlichen Ordnung und Moral" ablehnen zu können.

"Damit greift die ICANN in moralische Entscheidungsprozesse ein", gab Wendy Seltzer zu bedenken. Die Einspruchskriterien sollten daher so eng und deutlich wie möglich gehalten werden und auch so gestaltet sein, dass ICANN sich heraushalten könne.

"Wenn [diese] Empfehlung Nummer sechs umgesetzt werden würde, bedeutet das eine grundlegende Änderung in der Vorgehensweise der ICANN", so Crawford. Man habe bisher nämlich immer vermieden, dass das Domain-Namen-System "als Angriffspunkt für Zensurmaßnahmen" dienen könne. Nun aber würden die Empfehlungen vorsehen, Bezeichnungen nicht anzunehmen, falls diese gegen "allgemein akzeptierte gesetzliche und moralische Normen und die öffentliche Ordnung" verstießen.

"Wenn das umgesetzt wird, wäre das eine Möglichkeit für jede Regierung, gegen jede Adresse Einspruch zu erheben, die sie nicht gut findet. Einer Regierung zu erlauben, gegen Adressen ihr Veto einlegen zu können, widerspricht dem Grundsatz, das der private Sektor hier führen sollte. Es würde dem Souverän erlauben, Zensur auszuüben", sagte Crawford. "Ich hoffe, dass die Umsetzung der Vorschläge vernünftig ausfallen wird."