USA: Der YouTube-Wahlkampf
Die US-Präsidentschaftskandidaten Barack Obama und John McCain nutzen YouTube, um junge Wähler für sich zu gewinnen. Bisher genießt der Demokrat Obama dabei einen Heimvorteil. Doch auch die Republikaner investieren kräftig in die Produktion von Online-Videos.
Ein älterer Herr starrt in die Kamera. Eine Minute lang verzieht er keine Miene. Dann dreht er sich um, schnappt sich einen großen Stein, schmeißt ihn in einen See und zieht wortlos von dannen.
Das Steineschmeißer-YouTube-Video des mittlerweile ausgeschiedenen demokratischen Präsidentschaftskandidaten Mike Gravel gehört zu den absurderen Momenten des US-amerikanischen Online-Wahlkampfes.
Für Gravel lohnte sich die eigenwillige Inszenierung jedoch allemal: Das Video wurde auf YouTube mehr als eine halbe Millionen Mal abgerufen und fand schließlich auch seinen Weg ins US-Fernsehen – ein Medium, das dem chancenlosen Außenseiter sonst kaum Beachtung schenkte.
Obama und McCain auf YouTube
Gravel ist nicht der einzige Kandidat, der sich YouTube zunutze macht. Obamas Kampagne hat bereits mehr als 1.100 Videos bei YouTube hochgeladen, die zusammen mehr als 14 Millionen Mal abgespielt wurden.
Neben offiziellen Wahlwerbespots setzt der demokratische Präsidentschaftskandidat dabei immer wieder auf speziell fürs Netz aufgenommene Clips. So verkündete Obama seine Entscheidung, komplett auf öffentliche Wahlkampfzuschüsse zu verzichten, zuerst auf YouTube.
Die Kampagne des republikanischen Kandidaten McCain hält mit mehr als 200 YouTube-Videos dagegen. Auch McCains Team produziert Clips exklusiv fürs Web. Zu den neuesten Videos gehört eine Tour von McCains Kampagnenbus im MTV-Cribs-Stil.
Ein Drittel schaut Web-Videos
Die Videos der Kandidaten kommen im Netz gut an: Eine aktuelle Umfrage des Pew Internet & American Life Project ergab, dass sich bereits 35 Prozent aller US-Amerikaner politische Videos im Web angeschaut haben. Im Vergleich zum US-Präsidentschaftswahlkampf 2004 habe sich diese Zahl beinahe verdreifacht, so das Meinungsforschungsinstitut.
Hoch im Kurs stehen dabei Videos, die nicht von den klassischen Medien stammen und die es so nicht im TV zu sehen gibt. So haben sich 27 Prozent aller Internet-Nutzer Reden und andere Wortmeldungen der Kandidaten im Web angesehen. Ebenfalls beliebt: Videos von Online-Meinungsmachern, die weder mit den beiden Parteien noch mit traditionellen Medienkonzernen verbandelt sind. 25 Prozent der Netznutzer haben sich bereits derartige Clips angeschaut.
Der wahre McCain
Ein Beispiel für eine derartige dritte Kraft bei YouTube ist der in Los Angeles ansässige Filmemacher Robert Greenwald, der sich in den letzten Jahren mit kritischen Dokumentationen über Fox News und Wal-Mart einen Namen gemacht hat. Greenwald macht mit aggressiven YouTube-Videos gegen McCain Stimmung.
McCain genießt in der US-Medienöffentlichkeit das Image eines unabhängigen Pragmatikers, der auch unangenehme Wahrheiten ausspricht und zu seinen Positionen steht. Greenwald will dieses Image mit Videomontagen zerstören, die zeigen, wie sich McCains Positionen im Laufe der Jahre denen der Bush-Regierung angenähert haben. Greenwalds populärstes Video über "McCains YouTube-Problem" wurde bisher knapp 2,5 Millionen Mal abgerufen.
Greenwalds viraler Videohit ergreift deutlich Partei gegen McCain, kommt dabei jedoch ganz ohne linke Rhetorik aus. Stattdessen schneidet er ganz einfach Clips des Kandidaten zusammen und führt damit vor, wie sich dieser in einen Widerspruch nach dem anderen verstrickt. Die "Los Angeles Times" befand dazu: "Man könnte dieses Video als parteiisch abtun, wenn da nicht ein Detail wäre: Es ist wahr." McCain müsse auf YouTube einiges einstecken, so die Zeitung.
Hilfe von den Black Eyed Peas
Obama hat es dagegen bisher auf YouTube leicht gehabt. Die populärsten Obama-Videos, die nicht direkt von dessen Kampagne stammen, kamen in den vergangenen Monaten von selbst erklärten Anhängern.
So remixte der Black-Eyed-Peas-Frontmann Will.I.Am eine Rede Obamas zu einem Musikvideo, für das er unter anderen die Unterstützung der Schauspielerin Scarlett Johansson, des Musikers Herbie Hancock und des Regisseurs und Musiker-Sohns Jesse Dylan bekam. Das "Yes we can" genannte Video wurde mittlerweile mehr als 15 Millionen Mal abgerufen.
Eine Reihe von Comedy-Produzenten ließ es sich nicht nehmen, McCain ungefragterweise mit einem eigenen Musikvideo im "Yes we can"-Stil auszuhelfen. Die Parodie zitiert McCain mit den Worten, er könne sich vorstellen, noch 10.000 Jahre im Irak zu bleiben - ein Statement, das selbst die teilnehmenden Sänger in die Verzweiflung treibt.
Ein republikanisches YouTube
Dass Obama auf YouTube einen Heimvorteil genießt, mag mit der demografischen Zusammensetzung der YouTube-Nutzerschaft zu tun haben. Obama genießt seine höchsten Sympathiewerte unter jungen Wählern, und diese gehören auch zu den aktivsten Nutzern von Online-Videoplattformen.
Die Pew-Meinungsforscher wissen dazu zu berichten, dass sich bereits 57 Prozent aller Obama-Anhänger Reden, Positionspapiere oder Online-Videos ihres Kandidaten im Netz zu Gemüte geführt haben. Nur 34 Prozent aller Republikaner haben nach vergleichbaren Inhalten im Netz gesucht.
Einige Republikaner glauben, dass dieses Missverhältnis mit der liberalen Ausrichtung vieler populärer Online-Plattformen zu tun hat. Diesem Trend wollen sie nun mit eigenen Websites begegnen, auf denen sie nicht mit der liberalen Konkurrenz zu kämpfen haben. So gründeten zwei ehemalige Reagan-Berater im letzten Jahr eine eigene Web-Videoplattform namens QubeTV.
Die konservative YouTube-Konkurrenz kann sich jedoch bisher nicht mit den Zugriffszahlen des Originals messen. Rund 13 Monate nach dem Start gibt es auf QubeTV nur zwei Videos, die mehr als 100.000-mal angeschaut wurden. Der republikanische Online-Marketing-Experte David All verglich QubeTV deshalb mit dem Versuch von Highschool-Außenseitern, die keine Einladung zu einer populären Party bekommen hätten und deshalb jetzt ihre eigene Feier organisieren wollten. "Das Problem ist, dass die coolen Kids immer die besseren Partys haben", so All.
(Janko Röttgers)