EU: Vom Regulator zum Gladiator
Der Kabinettschef von EU-Medienkommissarin Viviane Reding hat sich am Freitag in Wien entschlossen gezeigt. Weil die nationalen Telekomregulatoren nach dem Geschmack der EU-Kommission ihre lokalen Ex-Monopolisten zu stark protegieren, sollen die Kontrolleure einander in Zukunft gegenseitig auf die Finger schauen.
"Das soll natürlich keine Kritik an den Regulierern sein", sagte Rudolf Strohmeier, Kabinettschef von EU-Kommissarin Reding, zum Auftakt des einleitenden Referats über den auch als "Telekompaket" bekannten neuen EU-Rechtsrahmen.
Der österreichische Provider-Verband ISPA hatte am Freitagnachmittag zu einer Podiumsdiskussion nach Wien geladen, an der neben Strohmeier auch Othmar Karas [EVP] als Vertreter der EU-Parlamentarier, Alfred Stratil [BMVIT] und Sarah Brabender [Euro-ISPA] teilnahmen.
Nicht nachvollziehbar
Zwei Sätze später fiel in Strohmeiers Referat freilich der Ausdruck, dass man es in Europa "mit einem Fleckerlteppich von 27 Regulierungssphären" zu tun habe, zumal "die nationalen Regulierungsbehörden noch immer aus einer überwiegend nationalen Perspektive" agierten, anstatt das aus einer europäischen zu tun.
"Extrem unterschiedliche" Terminierungsgebühren von Gesprächen sowie bei SMS und Datenroaming seien weder konsistent noch nachvollziehbar.
Das Telekom-Reformpaket
Am 13. November 2007 hat EU-Medienkommissarin Reding ihr umstrittenes Telekom-Reformpaket vorgestellt. Das Paket sah die Einrichtung einer übergreifenden Aufsichtsbehörde über die nationalen Regulierer auf EU-Ebene vor. Das aber lehnen die nationalen Behörden und die Regierungen strikt ab - sie fürchten den Machtverlust.
Hart umkämpft war bis jetzt auch das schärfste Instrument, das Reding den Regulierern an die Hand geben will: die zwangsweise Trennung des in der Regel den nationalen Markt dominierenden Ex-Monopolisten von seinem Netzwerk.
Gegenseitige Kontrolle
Die Pläne der Kommission, eine EU-Regulierungsbehörde einzurichten, seien zwar das "umstrittenste Element" gewesen, allerdings seien mit deren Ablehnung noch längst nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft, sagte Strohmeier.
So sei es durchaus denkbar, einen Mechanismus wie die im akademischen Bereich bei der gegenseitigen Kontrolle wissenschaftlicher Aufsätze üblichen "Peer Reviews" einzuführen, in denen Vorgangsweisen und Entscheidungen einzelner Regulierungsbehörden von den - ausländischen - Kollegen einer Prüfung unterzogen werden.
Gegen jene Regulatoren, die sich nicht geneigt zeigten, "dem guten Rat ihrer Kollegen" zu folgen, seien dann Sanktionen vorgesehen.
Begünstigung der Ex-Monopolisten
Aus dem Diplomatischen übersetzt heißt das in etwa Folgendes: Die Regulatoren begünstigen quer durch Europa in unterschiedlichem Ausmaß die jeweiligen Platzhirschen, also die alteingesessenen Telekoms, mehr oder weniger offen. Die deutsche Bundesregierung etwa fährt einen kaum übersehbaren protektionistischen Kurs gegenüber der Deutschen Telekom.
So gab die deutsche Regulierungsbehörde Bundesnetzagentur grünes Licht für die Pläne des als "marktbeherrschend" eingestuften Ex-Monopolisten, ein Glasfasernetz zu errichten, ohne den Mitbewerbern die Gelegenheit zu geben, Leitungen zu mieten, wie sie es im Kupfernetz tun muss.
Das Podium auf dem ISPA-Forum am 27. Juni 2008 in Wien. V. l. n. r.: ISPA-Chef Kurt Einzinger, Sarah Brabender [Euro-ISPA], Rudolf Strohmeier [Kabinettschef von Viviane Reding], Alfred Stratil [Europäischer Rat; BMVIT], Othmar Karas [Obmann des ÖVP-Europaklubs im Europäischen Parlament].
==Streit über die "letzte Meile"==
Davor hatte der deutsche Regulator jahrelang sämtliche Ortsgespräche - einen der Hauptumsatzträger im Telefongeschäft - überhaupt gegen jeden Wettbewerb geschützt, indem es anderen Firmen schlicht nicht gestattet war, selbst Ortsgespräche anzubieten, obwohl sie technisch dazu in der Lage waren.
Die Situation hierzulande
In Österreich spielt sich in den letzten Jahren ganz Ähnliches ab. So wurde der Telekom Austria [TA] als marktbeherrschendem Unternehmen die Übernahme des Konkurrenten eTel unter Auflagen gestattet, die quer durch die Branche als "lachhaft" bezeichnet worden waren.
Vor wenigen Monaten hatte Österreichs Regulator Georg Serentschy mit der Ankündigung aufhorchen lassen, die Breitbandregulierung in Ballungsräumen für die TA aufzuheben.
Die Ballungsräume
Das Argument: Durch die zunehmende Konkurrenz von UMTS-Breitbandanbietern liege keine marktbeherrschende Stellung mehr vor, deshalb sei die TA in diesen Bereichen von der Regulierung auszunehmen.
Die TA wäre damit nicht mehr verpflichtet, alternativen Anbietern die "letzte Meile" zu vermieten, bei den lukrativen Standortvernetzungen von Firmen wären die Alternativen in allen Ballungsräumen aus dem Geschäft. Der größte Anbieter von UMTS-Breitband ist über die Tochter mobilkom zudem die TA selbst.
Österreich: Deregulierung auf Eis
Ein Entscheid des Verwaltungsgerichtshofs hat am 2. April die Pläne der Regulierungsbehörde RTR, die Regulierung der Telekom Austria [TA] in Ballungsräumen aufzuheben, vorerst gestoppt. Neben der TA haben bis zu 530 Unternehmen Parteienstellung. Eine Entscheidung wird für Juli erwartet.
Trennung von der Infrastruktur
Strohmeier räumte ein, dass die nationalen Regulationsbehörden unter starkem politischen Druck stünden. Um ebendiesen einzudämmen, sollte nach Strohmeiers Worten ein neues Instrument zur Stärkung der Sanktionsmöglichkeiten eingeführt werden: Die Regulatoren sollten nach britischem Vorbild ermächtigt werden, sozusagen als letztes Mittel die zwangsweise Trennung in Infrastuktur und Services bei den Ex-Monopolisten anzuordnen.
Für dieses Vorhaben der Kommission sei eine Mehrheit im Parlament äußerst wahrscheinlich, was Parlamentarier Karas bestätigen konnte. Alfred Stratil, der Österreichs Position als Experte im EU-Ministerrat vertritt, war der Ansicht, dass es auch in diesem mitentscheidenden Gremium dafür eine Mehrheit geben würde.
Digitale Dividende
Ebenfalls einig waren sich alle Anwesenden darüber, dass die "digitale Dividende" - das durch die Abschaltung der analogen TV-Kanäle freiwerdende – wenigstens in Teilen für Breitbanddienste zur Versorgung sonst nicht erschließbarer, ländlicher Gebiete - genützt werden sollten.
Sarah Brabender [Euro ISPA] stellte in ihrem Vortrag einige gar nicht unbegründete Fragen.
Filesharer und Sicherheitslücken
Warum im Telekompaket zum Beispiel Urheberrechtsverstößen weitaus höhere Prioritäten eingeräumt würden, als weit gravierenderen Delikten wie etwa Kindesmissbrauch?
Was die Informationspflicht bei Sicherheitslücken betreffe, so sei nicht einzusehen, warum nur Zugangsprovider in die Pflicht genommen würden, nicht aber Serviceanbieter wie etwa die Banken. Sicherheitslücken im Online-Banking könnten schließlich unmittelbare finanzielle Folgen für die Kunden haben.
Moderator Kurt Einzinger meinte zum Abschluss der Diskussion, das Thema Telekom-Regulierung sei zwar ein sperriges, aber halt von großer Tragweite. Mit den Worten John Grishams: "Es ist nicht sexy, aber es hat Biss."
(futurezone | Erich Moechel)