Korrekturphase im E-Commerce eingeleitet
Die bisher größte europäische E-Commerce-Pleite des Online-Modehändlers Boo.com zieht generelle Zweifel über die wirtschaftliche Überlebensfähigkeit von Start-up-Firmen im Netz nach sich.
So heißt es - in einer passenderweise gestern veröffentlichten - Studie des Beraters PricewaterhouseCoopers, eine von vier britischen Internet-Firmen könne innerhalb der nächsten sechs Monate pleite gehen.
Die Studie bestätigt damit lediglich andere Untersuchungen aus diesem Jahr, die zu ähnlich pessimistischen Ergebnissen gekommen sind.
Das britische Boo.com ist bankrott und wird liquidiert. Das erst vor 18 Monaten gegründete und seit sechs Monaten im Netz aktive Unternehmen erklärte sich am Mittwochabend in London für zahlungsunfähig. Boo.com galt bis vor kurzem noch als eines der gewinnträchtigsten Online-Handelsunternehmen in Europa. Die beiden Eigentümer, das schwedische Model Kajsa Leander und ihr Landsmann Ernst Malmsten, äußerten ihr "tiefes Bedauern", dass keine zusätzlichen Finanzmittel für die Rettung der Firma gefunden werden konnten. Das Unternehmen hatte vor allem Sport- und Trendmode verschiedener Anbieter im Programm. Auf der Site konnten virtuelle Models angezogen und dann von allen Seiten betrachtet werden.
Boo.comFehlende Kostenkontrolle
"Wir sind sehr enttäuscht, mitteilen zu müssen, dass wir die KPMG als Liquidator der Firma einsetzen müssen", teilte Boo.com heute mit. Zuvor waren Bemühungen gescheitert, Investoren für die aufgekommenen Verbindlichkeiten in Höhe von 30 Millionen Dollar oder einen Käufer zu finden.
Das Problem des mit einer großen PR-Kampagne gestarteten E-Commerce-Neulings war laut Mitgründer Ernst Malmsten die fehlende Kostenkontrolle.
Die Firma habe es nicht fertig gebracht, schnell genug eine große Zahl von Kunden zu akquirieren, um die hohen Anfangskosten zu decken. "Wir waren zu visionär", sagte Malmsten. "Alles sollte perfekt sein, und wir hatten keine Kontrolle über die Kosten."
Auf dem bisherigen Höhepunkt des Investoren-Runs auf Netz-Werte im vergangenen Jahr wurde Boo.com mit rund 444 Millionen Euro bewertet. Am Firmensitz in London waren bislang 200 Mitarbeitern beschäftigt. In den Außenstellen München, New York, Paris und Amsterdam droht weiteren 100 Boo.com-Angestellten die Arbeitslosigkeit.
Pleitewelle vorhergesagt
Boo.com werde "viele gute Geschäfte nach unten ziehen", sagte Peter Misek, Analyst bei Chase H&Q. "Es war der größte Internet-Start-up im Bereich Einzelhandel in Europa, und es hat die Leute ein paar sehr harte Lektionen über die Wichtigkeit eines stimmigen Geschäftskonzepts gelehrt", fügte er hinzu.
Erst vor einem Monat hatte das Marktforschungsunternehmen Forrester Research eine Pleitewelle bei Online-Händlern vorausgesagt. Ursachen seien die meist schwache Eigenkapitalbasis, verschärfter Wettbewerb durch klassische Handelsunternehmen, die mit Spezial-Know-how und genügend Kaptial in den E-Commerce drängen, und die Flucht der Investoren aus dem High-Tech-Sektor.
Forrester-StudieKapitalgeber werden skeptisch
Triebfeder der schlecht finanzierten und konzeptionierten E-Commerce-Unternehmungen ist die vorherrschende Internet-Euphorie gepaart mit dem Druck, sich möglicht schnell im Netz etablieren zu wollen.
Dadurch werden auch offensichtliche Schwächen des Netz-Business vielfach übersehen. So monierten Kritiker schon zum Boo.com-Start vor einem halben Jahr, dass der erfolgreiche Verkauf gerade von modischer Kleidung stark vom Umfeld und dem Einkaufserlebnis abhängt.
Genau dieses Einkaufserlebnis konnte Boo.com trotz aufwendiger Site-Gestaltung offensichtlich nicht genügend Kunden bieten.
Analysten gehen davon aus, dass Banken und Risiko-Kapitalgeber nach der Boo.com-Pleite sehr viel zurückhaltender Kapital an neue Unternehmen vergeben werden. Auch bestehende Unternehmen könnten vielfach einer Überprüfung ihrer Wirtschaftlichkeit entgegensehen.
Eine deutsche Studie bestätigte unlängst, dass die meisten Unternehmen
planlos in den E-Commerce drängen.