EU-Pläne bedrohen das freie Internet

02.07.2008

Bürgerrechtler schlagen Alarm: In einer konzertierten Aktion wollen internationale Medienkonzerne und ihnen nahestehende Abgeordnete noch im Laufe dieses Sommers dafür sorgen, dass das Internet in der EU gefiltert werden kann. Der Hebel dazu wird im Telekompaket angesetzt, mit dem der Kommunikationsmarkt in der EU neu geregelt werden soll.

Am 7. Juli beraten in Straßburg zwei Ausschüsse des EU-Parlaments über das Telekompaket, eine Initiative der EU-Kommission, mit der der Telekommarkt in der Union neu geordnet werden soll. Das Paket umfasst auch Maßnahmen wie die Neuordnung der Regulierung in den Mitgliedsstaaten, und die zuständige Kommissarin Viviane Reding hat sich vor allem den Konsumentenschutz auf die Fahnen geschrieben.

Am 2. September soll im EU-Parlament über das Telekompaket abgestimmt werden. Beraten wird im Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz [IMCO] und im Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie [ITRE].

Wie eine detaillierte Untersuchung der Politikwissenschaftlerin Monica Horten von der Universität Westminster zeigt, will eine Koalition aus Lobbyisten der US-amerikanischen und französischen Medienindustrie über ihr nahestehende EU-Abgeordnete zahlreiche subtile Änderungen in die umfangreichen Texte der betroffenen fünf Richtlinien einfließen lassen.

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Auf Anfrage von ORF.at zeigen sich österreichische Abgeordnete zum EU-Parlament äußerst skeptisch gegenüber den Plänen zu Internet-Sperren. Diese sind von der Medienindustrie-Lobby in die Richtlinien zur Regulierung des EU-Telekommarktes eingeschleust worden - und von Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy, der in seiner Heimat mit den Sperrplänen nicht recht vorankommt.

Netzneutralität in Gefahr

Diese Änderungen laufen darauf hinaus, dass die europäischen Internet-Provider ihren Status als neutrale Informationsübermittler verlieren und für die Inhalte verantwortlich gemacht werden, die über ihre Systeme übertragen werden. Bürgerrechtler wie die französische Initiative La Quadrature du Net, das deutsche Blog Netzpolitik.org und die britische Open Rights Group schlagen nun Alarm. Die Netzneutralität in der Europäischen Union, so die Bürgerrechtler, sei durch das Telekompaket so stark gefährdet wie noch nie.

Kommt das Telekompaket mit den Zusätzen der "medienindustriefreundlichen" Abgeordneten durch, werden die Provider dazu verpflichtet, den Verkehr im Internet permanent abzulauschen und zu kontrollieren - um nicht von der Medienindustrie systematisch geklagt zu werden.

Dabei geht es nicht einfach um Filesharer, die nicht lizenzierte Mediendateien tauschen. Der gesamte Datenverkehr im Netz soll systematisch und vollautomatisch überwacht werden. Das hat auch unmittelbare Auswirkungen auf die Datenübermittlung von Firmen, auf den E-Commerce und E-Government. Einem total überwachten Netz ist nicht mehr zu trauen.

Internet-Präsident Sarkozy

Großes Vorbild für die Aktion ist das Modell "Three Strikes Out" alias "Loi HADOPI", das von Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy derzeit durch die französischen Instanzen geschleust wird.

Es sieht die Installation einer staatlichen Aufsichtsbehörde [HADOPI] vor, die das Netz kontrollieren und Usern auf Zuruf der Medienindustrie den Netzzugang kappen soll - ohne richterliche Kontrolle.

Legalisierung von Rootkits

Die Aktivitäten von Industrie und ihr nahestehenden EU-Abgeordneten treiben dabei auch merkwürdige Blüten. Die französische Initiative La Quadrature du Net, die gegen das HADOPI-Gesetz kämpft, hat in den Eingaben der EU-Parlamentarier Manolis Mavrommatis [Griechenland; konservativ] und Ignasi Guardans [Spanien; liberal] wortwörtliche Übereinstimmungen mit den Vorgaben der französischen AV-Medienlobby SACD festgestellt.

Mavrommatis, so eine Analyse der Bürgerrechtler, habe sogar vorgeschlagen, die Definition von Spyware dahingehend zu ändern, dass sie nicht mehr auf Programme zuträfe, die "illegitime" Aktionen des Nutzers aufzeichnen. Solche von der Medienindustrie eingesetzte Spyware solle demnach "keinen gravierenden Eingriff in die Privatsphäre" mehr darstellen. Damit wären, so die Initiative, auch Programme wie das berüchtigte Sony-Rootkit mit einem Streich in der ganzen EU legal.

Französische Verhältnisse

Der am 18. Juni im französischen Parlament eingebrachte Gesetzesentwurf sieht die Schaffung einer Regierungsbehörde vor, die mit weitreichenden Vollmachten ausgestattet werden soll. Die HADOPI [La Haute Autorite pour la diffusion des oevres et la protection des droits sur Internet] genannte Regierungsstelle soll auf Zuruf der Rechteinhaber vermeintliche Urheberrechtsverletzer kontaktieren, verwarnen und gegebenenfalls die Sperre der Zugänge anordnen.

Die Behörde kann darüber hinaus Internet-Anbieter dazu verpflichten, Filtertechnologien zu implementieren, und Strafen in Höhe von bis zu 5.000 Euro gegen Anbieter verhängen, die Nutzern, die sich auf der "schwarzen Liste" der Regierungsstelle befinden, Zugänge zur Verfügung stellen.

Kopiere der Adressat dennoch rechtswidrig weiter, werde sein Internet-Abonnement "für die Dauer von drei Monaten bis zu einem Jahr" gesperrt. Die Nutzer könnten sich auch gegen eine "Transaktion", wie es in einer Mitteilung von Kulturministerin Christine Albanel heißt, eine schnellere Wiederherstellung des Netzzugangs erkaufen. Das Gesetz soll im Jänner 2009 in Kraft treten. Erarbeitet wurde die "Three Strikes Out"-Vereinbarung von einer Arbeitsgruppe unter der Leitung von Denis Olivennes, dem Geschäftsführer der französischen Medienhandelskette FNAC.

Die Privatisierung des Rechts

Solche Maßnahmen sollen nun in allen EU-Mitgliedsstaaten ermöglicht werden. La Quadrature du Net identifiziert folgende Probleme:

Die Kommission kann Standards zum Filtern und Überwachen des Datenverkehrs im Internet implementieren und nationalen Behörden nach französischem Vorbild schnelle und undemokratische "Problemlösungsmechanismen" an die Hand geben.

Ferner sollen alle Aktionen der Nutzer im Netz automatisiert überwacht und gefiltert werden, sei es mit Hardware- oder Software-Maßnahmen.

Auch die nationalen Regulierungsbehörden sollen dazu gezwungen werden, mit den Rechteinhabern zu kooperieren, und dazu eingespannt werden, die Überwachungstechnologien bei den Providern durchzusetzen.

La Quadrature du Net: "Diese Ergänzungen [zu den Richtlinien, Anm.] schaffen im europäischen Recht einen bisher noch nie da gewesenen Mechanismus [...]: Gesetzgeber und Gerichte werden zugunsten privater Akteure und technischer Systeme zu automatischer Überwachung und Filterung ausgeschaltet."

Euro-ISPA will kämpfen

Kurt Einzinger, Generalsekretär des österreichischen Providerverbandes ISPA und Vorsitzender der Euro-ISPA, zeigt sich auf Anfrage von ORF.at angesichts dieser Entwicklungen kämpferisch: "Wir versuchen, uns dagegen zu wehren. Wir glauben, dass es den Provider nichts angeht, was seine Kunden im Netz machen. Man darf nicht in den Datenstrom hineinschauen."

Die Gesetzeslage in Österreich sei klar. Datenschutz-, Telekom- und Privatrecht würden dafür sorgen, dass der Provider in den Traffic der Kunden nicht hineinschauen dürfe. "Mit dem französischen Modell macht man die Grundrechte mehr kaputt, als man das kommerzielle Interesse der Medienindustrie schützen würde." Mit der Überwachung durch die Provider würde auch das Briefgeheimnis verletzt.

Bürgerrechtler: Abgeordnete aktivieren

Die involvierten Bürgerrechtsorganisationen fordern besorgte Bürger dazu auf, ihre Abgeordneten im Europaparlament zu kontaktieren und sie über die problematischen Aspekte des Telekompakets zu informieren.