Österreichs MEPs gegen Internet-Sperren

03.07.2008

Auf Anfrage von ORF.at zeigen sich österreichische Abgeordnete zum EU-Parlament äußerst skeptisch gegenüber den Plänen zu Internet-Sperren. Diese sind von der Medienindustrie-Lobby in die Richtlinien zur Regulierung des EU-Telekommarktes eingeschleust worden - und von Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy, der in seiner Heimat mit den Sperrplänen nicht recht vorankommt.

"Höchst skeptisch, was zusätzliche Überwachungsmaßnahmen" betreffe, "die über das jetzige Strafrecht hinausgehen", zeigte sich Hannes Swoboda, Abgeordneter zum EU-Parlament [SPE].

Das gelte für die Vorgangsweise im Telekompaket gegen die Tauschbörsenbenutzer ebenso wie die geplanten Maßnahmen gegen "Hassprediger".

Sarkozy und die Medienkonzerne

Viel mehr dazu könne man vor der Sitzung am Montag nicht sagen, es sei ja nicht auszuschließen, dass bestimmte vorgeschlagene Passagen die erste Ausschusssitzung gar nicht überlebten.

Damit sind Abänderungsvorschläge gemeint, die unverkennbar die Handschrift der großen Medienkonzerne tragen - und jene Sarkozys.

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In einer konzertierten Aktion wollen internationale Medienkonzerne und ihnen nahestehende Abgeordnete noch im Laufe dieses Sommers dafür sorgen, dass das Internet in der EU gefiltert werden kann. Der Hebel dazu wird im Telekompaket angesetzt, mit dem der Kommunikationsmarkt in der EU neu geregelt werden soll.

Hoppala, "HADOPI"

Sarkozy versucht nämlich, auf diese Weise das Modell "Three Strikes Out" alias "Loi HADOPI" gegen zunehmenden Widerstand durch die französischen Instanzen zu schleusen. "HADOPI" ist eine neue, staatliche Aufsichtsbehörde, die das Netz permanent überwachen und Benutzern auf Zuruf der Medienindustrie den Netzzugang kappen soll - ohne richterliche Kontrolle.

Eine ebensolche Passage ist für das Telekompaket der EU in Diskussion. Die Materie ist hinreichend komplex, sie betrifft nicht nur den Industrieausschuss; und dass dieses Vorhaben - wie anderswo kolportiert - allein von konservativen Abgeordneten ausgeht, stimmt so nicht.

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"Die Änderungsanträge einiger französischer Abgeordneter, die nahe dem derzeit in Frankreich diskutierten 'Drei Treffer, und du bist tot'-Modell liegen, sind aus meiner Sicht jedenfalls abzulehnen", sagt Paul Rübig, stellvertretender Delegationsleiter der ÖVP im EU-Parlament, auf Anfrage von ORF.at. "Zu befürchten ist hier eine anlasslose, permanente Kontrolle des Kommunikationsverkehrs von Bürgern ohne richterliche Überwachung."

Das Telekompaket sei, so Rübig, "sicher nicht der geeignete Rahmen" für die Diskussion über einen solchen Vorschlag. Auch ÖVP-Delegationsleiter Othmar Karas, der im Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz tätig ist, der am Montag über das Telekompaket verhandeln wird, glaubt nicht, dass es für diese Änderungsanträge in besagter Sitzung eine Mehrheit geben wird.

Showdown im Industrieausschuss

Am Montag stimmt auch der Industrieausschuss [ITRE] über das Telekompaket ab, ein Maßnahmenbündel, das insgesamt fünf EU-Richtlinien und Verordnungen modifiziert.

Sowohl Vertreter des Ministerrats als auch EU-Kommission, Vertreter aller damit befassten Ausschüsse und andere EU-Parlamentarier werden dabei sein.

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Der Kabinettschef von EU-Medienkommissarin Viviane Reding hat sich am Freitag in Wien entschlossen gezeigt. Weil die nationalen Telekomregulatoren nach dem Geschmack der EU-Kommission ihre lokalen Ex-Monopolisten zu stark protegieren, sollen die Kontrolleure einander in Zukunft gegenseitig auf die Finger schauen.

Bruchlinie eins

Die Initiativen zur Filterung und Sperrung des Netzes sind keineswegs Teil eines konservativen Masterplans. Die Bruchlinien gehen - wie so oft im EU-Parlament - vielmehr quer durch die Parteien und entlang von Ländergrenzen.

Konservative wie der griechische Abgeordnete Manolis Mavrommatis, der den Medienkonzernen sogar das In-Umlauf-Bringen von Schadsoftware zugestehen will, sind nur durch besonders unverschämtes Lobbying aufgefallen.

Etwas verkürzt gesagt: Hier stehen erst einmal Staaten, in denen einer der großen börsennotierten Medienkonzerne seinen Sitz hat, gegen Staaten, in denen das nicht so ist.

Bruchlinie zwei

Und: Die Bruchlinien gehen quer durch die Industrien.

Telekoms wie Internet-Provider verspüren wenig Lust, dazu verpflichtet zu werden, das Internet auf der Suche nach Tauschbörsennutzern oder "Hasspredigern" zu durchforsten und zu entscheiden, welche MP3s nun legal verbreitet werden und welche eben nicht.

Außerdem widerspricht die "Eins, zwei, drei, Internet abgedreht"-Maßnahme dem Geschäftsprinzip einer Branche, die davon lebt, Internet-Anschlüsse herzustellen, diametral.

Keine Mehrheit im EU-Parlament

Eva Lichtenberger von der grünen Fraktion erhebt ähnliche Einwände wie Swoboda gegen die genannten Passagen, die sich vor allem in der geplanten Novellierung der Universaldienstrichtlinie befinden.

Die Begeisterung für eine Richtlinie, die den zentralen Ansatz von "HADOPI" enthalte, quer durch das Parlament sei "durchaus endenwollend", sagte Lichtenberger am Mittwochabend zu ORF.at. Zumindest jetzt sehe sie für das Vorhaben Sarkozys im EU-Parlament keine Mehrheit.

Der Probelauf

Im Frühjahr hatte eine knappe Mehrheit der Parlamentarier das Vorhaben, Benutzern den Intern-Zugang zu sperren, mit deutlichen Worten abgelehnt.

Da es sich nur um einen Zusatz im Rahmen des "Bono-Berichts zur Lage der Kulturindustrie" handelt, ist er ohne rechtliche Bindung. Über die Stimmung in diesem in der Sache mitentscheidenden EU-Gremium sagt die Reaktion auf die Blockadepläne allerdings sehr wohl etwas aus.

Provider sollen informieren

Laut Rübig haben sich seine Klubkollegen von der EVP mit den Sozialdemokraten, den Liberalen und den Grünen zusammengetan und einen gemeinsamen Kompromissänderungsantrag entworfen, der Provider dazu verpflichtet, den Kunden vor Vertragsabschluss darüber zu informieren, welche Websites von ihm blockiert werden.

Rübig: "Hier setzen wir auf den freien Wettbewerb und den mündigen Konsumenten, der, sollte er mit dem Angebot nicht zufrieden sein, zu einem anderen Betreiber wechselt. Sollte der Wettbewerb in einem Mitgliedsstaat nicht zur Zufrieden der Kunden stattfinden, gibt es im Rahmen des TK-Pakets die Möglichkeit der Verhängung von Strafmaßnahmen durch die nationalen Regulierungsbehörden, an die sich jeder Konsument wenden kann."

Die große Schwester

Was das Lobbying angeht, so ist das die aussagekräftigste von jenen Storys, die man bei der Recherche in Brüsseler Abgeordnetenbüros so nebenbei erfährt, diese hier:

Ein Abgeordeter, der seine Lobby gewissermaßen im Bauchladen vor sich her trägt, hatte in größerer Runde zum Besten gegeben, dass man für die Internet-Sperren sei, gerade weil man gewöhnliche Tauschbörsenbenutzer nicht kriminalisieren wolle. Da sei die Internet-Sperre für drei Monate ein probates Mittel.

Wenn nämlich die große Schwester den kleinen Bruder verhaue, weil dank seiner "Raubkopien das Internet gesperrt" sei, dann sei man bereits am Ziel.

Wer wirklich anschiebt

Weit weniger lustig als solche Schnurren ist allerdings der Umstand, dass derartige Vorgänge gemeinhin "der EU" zugeschrieben werden.

Tatsächlich handelt es sich aber um einen Durchmarschversuch von einem halben Dutzend führender europäischer Medienkonglomerate, die vor allem in Frankreich, Deutschland, England und Italien sitzen.

Mit am Anschieben ist die Unterhaltungsindustrie jenseits des Atlantiks und eben die französische Ratspräsidentschaft.

EU als bewährter Umweg

Die tut das, womit sich bereits die Briten in Sachen "Data-Retention" unbeliebt gemacht hatten. Weil es auf der Insel nicht möglich war, bestimmte Dinge wie die Vorratsdatenspeicherung durch das Parlament zu bringen, versuchte man, es - mit in dieser Sache Verbündeten wie Frankreich, Schweden und Irland - in EU-Gremien durchzudrücken.

Das gelang zwar, aber das Vereinigte Königreich war unter den ersten Staaten, die Ausnahmen vom Zeitplan zum Inkrafttreten wollten. Die Industrie war nämlich nicht darauf vorbereitet.

Am Pranger stand "die EU". Tatsächlich war es der Rat der 27 nationalen Innen- und Justizminister, in dem vier Staaten seit Juni 2001 [!] die Vorratsdatenspeicherung stets vorangetrieben hatten.

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Knapp zwei Jahre nachdem Irland beim EU-Gerichtshof Klage gegen die EG-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung eingereicht hatte, hat die mündliche Verhandlung vor der Großen Kammer des Gerichts begonnen. Eine Aussage des Generalanwalts wird für Herbst erwartet, das Urteil soll Anfang 2009 kommen.

(futurezone | Erich Moechel)