Im Netz der Lobbyisten

04.07.2008

Die Kommunikationsforscherin und Politologin Monica Horten hat gemeinsam mit Christophe Espern von der französischen Bürgerrechtsorganisation La Quadrature du Net die Änderungsvorschläge zum EU-Telekompaket entdeckt und analysiert, die Internet-Provider dazu verpflichten könnten, auf Zuruf der Medienindustrie Websites und ganze Protokolle zu blockieren. Ein Interview über Lobbyismus.

Diese Änderungsvorschläge laufen darauf hinaus, dass die europäischen Internet-Provider ihren Status als neutrale Informationsübermittler verlieren und für die Inhalte verantwortlich gemacht werden, die über ihre Systeme übertragen werden.

Am 7. Juli befassen sich der Industrie- und der Verbraucherschutzausschuss des EU-Parlaments mit dem Telekompaket, am 2. September soll darüber im Parlament abgestimmt werden.

Zur Person:

Monica Horten schreibt derzeit an ihrer Doktorarbeit über die Kommunikationspolitik der Europäischen Union am Institut für Kommunikations- und Medienforschung der Universität Westminster, Großbritannien. Sie hat von 1986 bis 1996 als Fachjournalistin im Telekombereich gearbeitet und über Themen der Telekommunikationsindustrie und deren Regulierung geschrieben. Sie war auch als Beraterin in Fragen des Marketing und der Web-Entwicklung tätig.

ORF.at: Frau Horten, die von Ihnen und zahlreichen Bürgerrechtlern kritisierten Ergänzungsvorschläge, die von einigen der Medienindustrie nahestehenden Mitgliedern des EU-Parlaments eingebracht wurden, sind über mehrere Papiere des Telekompakets hinweg verstreut. Wie würden Sie die Taktik der Medienindustrie beschreiben und wie sind Sie diesen Ergänzungen auf die Spur gekommen?

Monica Horten: Ich würde die Taktik als "hinterhältig" bezeichnen. Sie haben sich in die Gestaltung von Richtlinien eingemischt, die eigentlich die elektronische Datenübertragung regeln sollten und versucht, dort Regeln einzufügen, die Copyright-Probleme betreffen.

Diese Regeln werden ein veraltetes Geschäftsmodell der Medienindustrie schützen und haben gravierende Auswirkungen auf die Bürgerrechte. All dies wurde im Geheimen getan, indem Mitglieder des Europäischen Parlaments Ergänzungsvorschläge in verschiedenen Komitees des Parlaments vorgelegt haben.

Diese werden zwar auf der Website des EU-Parlaments veröffentlicht, aber die Dokumente sind so umfangreich und kompliziert, dass niemand erkennen würde, was sie im Zusammenspiel bedeuten. Ich habe sie nur deshalb gefunden, weil mir jemand die Dokumente geschickt und mich darauf hingewiesen hat, dass damit etwas nicht stimmen kann – er selbst hatte aber nicht verstanden, wo das Problem gelegen hat.

Diese Taktik sollte verhindern, dass es im Parlament eine öffentliche Diskussion gibt und dass die Abgeordneten sich genauer mit den Papieren befassen.

Mehr zum Thema:

Bürgerrechtler schlagen Alarm: In einer konzertierten Aktion wollen internationale Medienkonzerne und ihnen nahestehende Abgeordnete noch im Laufe dieses Sommers dafür sorgen, dass das Internet in der EU gefiltert werden kann. Der Hebel dazu wird im Telekompaket angesetzt, mit dem der Kommunikationsmarkt in der EU neu geregelt werden soll.

Ist es nicht gut, die Musikindustrie in ihrem Kampf gegen Leute zu unterstützen, die unlizenzierte Kopien aus dem Internet herunterladen? Was ist so falsch an den kritisierten Vorschlägen?

Ich glaube schon, dass die Autoren selbst mehr Geld bekommen sollten. aber ich bin gleichzeitig davon überzeugt, dass es nicht zielführend ist, Internet-Benutzer zu bedrohen und zu bestrafen. Davon sind nicht einmal Banker überzeugt. Ich habe mit einem Analysten eines Londoner Börsenmaklers gesprochen und er meinte, dass die Musikindustrie viel Energie in das juristische Vorgehen gegen Filesharer gesteckt und dabei aber übersehen habe, neue Geschäftsmodelle zu entwickeln.

Eines der Probleme mit den Ergänzungen ist, dass sie es erlauben würden, Inhalte aus dem Internet zu blockieren. Gleichzeitig sehen sie keine Behörde vor, die feststellen würde, welche Inhalte blockiert werden sollen und die mit der Lösung von Streitfragen betraut wäre. In einer technischen Umgebung wie dem Internet ist es schwierig, Entscheidungen zu treffen, auf deren Grundlage dann Inhalte blockiert werden sollen.

Beispielsweise gibt es Forderungen, Peer-to-Peer-Datenübertragungen [P2P] zu blockieren. Der iPlayer, eine Internet-TV-Anwendung der BBC, nutzt ein P2P-System namens Kontiki. Wenn wir also den gesamten P2P-Datenverkehr sperren, dann gehen wir auch das Risiko ein, den iPlayer der BBC zu blockieren. Sollen wir also den gesamten P2P-Datenverkehr blockieren? Oder sagen wir, dass nur eines der P2P-Protokolle, zum Beispiel BitTorrent, böse ist? Dann blockieren wir nur dieses. Was aber geschieht dann mit den legalen Inhalten, die im BitTorrent-Netz unterwegs sind? Wer soll das entscheiden?

Könnten Sie uns einige Beispiele nennen, wo und wie die Medienindustrie die Ergänzungsanträge der EU-Parlamentarier beeinflusst hat?

Die Motion Picture Association [MPA], die die großen Hollywood-Studios wie Warner und Walt Disney repräsentiert, hat die EU-Kommission dazu aufgefordert, "die Gelegenheit zu nutzen, die laufenden Beratungen über das sogenannte Telekompaket zu nutzen, um die Grundlagen für die Kooperation zwischen den Interessengruppen zu legen"

Die Musikindustrie-Organisation IFPI hat der EU-Kommission geschrieben, was sie unter "Kooperation" versteht: "Unautorisiertes Anbieten und Verteilen von geschützten Inhalten im Internet zu kontrollieren [...] Ein Internet-Provider sollte Kunden vorwarnen und dann seine Dienste aussetzen und schließlich kappen." Und: "Andere Maßnahmen, die Provider treffen könnten, wären die Blockierung bestimmter Websites und Protokolle, die zur Verbreitung geschützter Inhalte dienen."

Der Begriff "Kooperation" wird ausdrücklich in den vorgeschlagenen Zusätzen zum Telekompaket verwendet.

"Kooperation" ist in diesem Fall ein beschönigendes Wort für die Durchsetzung des Copyrights, was in Wirklichkeit bedeuten wird, dass die Masse der Nutzer überwacht werden müsste, dass Inhalte blockiert werden und einige Nutzer vom Netz abgetrennt werden würden – wenn wir den französischen Olivennes-Vorschlag ["Loi HADOPI", "Three Strikes Out", Anm.] als Beispiel nehmen.

Wie passen diese jüngsten Entwicklungen zu anderen Initiativen der Medienindustrie? Das EU-Parlament hat ja "Three Strikes Out" bereits im Rahmen einer Abstimmung über den vom französischen Abgeordneten Guy Bono eingebrachten Bericht über die Kulturindustrie abgelehnt.

Ja, das EU-Parlament hat eine Stellungnahme veröffentlicht, in der es feststellt, dass es Maßnahmen wie "Three Strikes Out" ablehnt, wie sie im Fjellner-Rocard-Zusatz zum Bono-Bericht erwähnt worden sind.

Das ist deshalb wichtig, weil all diese getrennt scheinenden Initiativen alle miteinander verknüpft sind und offenbar immer dieselben Gruppen dafür lobbyiert haben. Der französische Gesetzesvorschlag zum "Loi Olivennes" [alias "Loi HADOPI" alias "Three Strikes Out"] ist der am weitesten fortgeschrittene und es ist interessant, die Namen der Organisationen zu lesen, die dazu beigetragen haben.

Sie werden überall dieselben Namen sehen: MPA, IFPI, SACD, Warner Bros..

In Großbritannien ist die Regierung etwas vorsichtiger, aber sie versucht trotzdem, ein "freiwilliges" Abkommen nach französischem Vorbild zu erzwingen und ein Provider, Virgin Media, verschickt bereits Warnmeldungen an Nutzer, deren Namen sie von der BPI, der Dachorganisation der britischen Musikindustrie, bekommt. Das Telekompaket soll einen europaweit gültigen Rahmen für Gesetze nach dem Vorbild von "Three Strikes Out" schaffen.

Welche Rolle spielt die Kommission in alldem?

Die EU-Kommission sollte sich normalerweise mit Interessensgruppen aus Industrie und Zivilgesellschaft beraten, um neue Gesetze für Europa zu beschließen.

In diesem Fall hat die Kommission das Telekompaket als Aktualisierung der Telekommunikationsgesetze vorbereitet. Im ersten Entwurf war von Copyright-Fragen noch überhaupt keine Rede gewesen und daher hatte die Kommission auch keine Anhörung zum Thema Copyright in diesem Zusammenhang angesetzt.

Meinen Recherchen zufolge sind die Abschnitte zum Thema Copyright zuerst nach einer Sitzung des Kollegiums der Kommissionsmitglieder aufgetaucht, nach der der Entwurf ins EU-Parlament weitergeschickt wurde. In dieser Phase gab es zwei Ergänzungen. Eine der Ergänzungen sollte es Regierungen ermöglichen, den Providern besondere Maßnahmen aufzuerlegen, um Verstöße gegen das Urbeberrecht zu ahnden. Wir wissen, dass dies in der Praxis bedeutet, dass der Datenverkehr überwacht werden soll.

Die zweite Ergänzung sollte die Provider dazu verpflichten, in ihre Verträge eine Klausel einzufügen, die sie dazu verpflichtet, die Kunden regelmäßig über Urheberrechtsverletzungen zu informieren. Alle anderen Zusätze, die das Copyright betreffen, sind nicht von der Kommission eingefügt worden, sondern von Komitees des EU-Parlaments.

Warum funktioniert das Lobbying der Medienindustrie eigentlich so gut? Es scheint besser zu sein als das der IT-Industrie und sogar von schwergewichtigen Konzernen wie der Deutschen Telekom, der France Telecom und der British Telecom.

Die Manager der Medienindustrie können gut reden. Sie wissen, wie man ein gewichtiges Argument auf interessante Art und Weise vorbringt. Sie setzen Emotionen sehr geschickt ein. Sie benutzen die "armen" Musiker, um Sympathie für die Urheber zu wecken und sie dämonisieren die Filesharer, indem sie sie in eine Art von Schädlingen verwandeln, die ausgerottet werden müssen.

Die Telekom-Manager dagegen präsentieren sich eher als Pragmatiker und Geschäftsleute. Sie sprechen von Bandbreiten und Geschäftsmodellen. Sie scheinen seelenlos zu sein.

Wenn man seine Argumente vor Politikern und Bürokraten vorbringt, die aus einer Vielzahl verschiedener Karrieren kommen und normalerweise nichts von Technik verstehen, scheint die emotionale Art der Präsentation besser zu funktionieren.

Wie geht es mit dem Telekompaket weiter?

Zwei Ausschüsse des EU-Parlaments sind verantwortlich: Der Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie ist für die Rahmenbeschlüsse verantwortlich.

Der Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz ist für die Richtlinien verantwortlich, die den allgemeinen Zugang und den Schutz der Privatsphäre betreffen. Diese beiden Ausschüsse stimmen am 7. Juli ab.

Das Plenum des Europäischen Parlament wird am 2. September über das Paket abstimmen. Danach wird der Ministerrat darüber diskutieren, voraussichtlich im November.

Bürgerrechtler organisieren Widerstand

Bürgerrechtler wie die französische Initiative La Quadrature du Net, das deutsche Blog Netzpolitik.org und die britische Open Rights Group engagieren sich gegen die Filter- und Zensurmaßnahmen, die im Rahmen des Telekompakets verabschiedet werden sollen.

(futurezone | Günter Hack)