Auf den Spuren des ACTA-Abkommens

07.07.2008

Seit neun Monaten verhandeln EU-Kommission, USA und andere Industrienationen im Geheimen über das Vorgehen gegen Produktpiraterie. "Spezielle Berücksichtigung der Internetpiraterie" und rechtliche Gleichstellung von "kopierter Ware" mit "physischem Diebstahl" fordert ein Positionspapier des Bundes der Deutschen Industrie [BDI], das ORF.at vorliegt.

Ab 16. Juli trifft eine ganz besondere Runde von Unterhändlern wieder zusammen, um über das geplante internationale Abkommen "Anti-Counterfeiting Trade Agreement" [ACTA] zu diskutieren.

Die Verhandlungen sind auf drei Tage anberaumt, die EU-Kommission verhandelt mit den USA, Japan, Australien und einigen Schwellenländern wie Marokko und Mexiko über schärfere Maßnahmen gegen Produktpiraterie.

Nicht mit am Tisch

Mehr als ein Mitglied der Welthandelsorganisation [WTO] hatte gedroht - wie in Erfahrung zu bringen war -, jede Ausweitung des "TRIPS" genannten Abkommens zum "Schutz geistigen Eigentums" zu Fall zu bringen. Aus diesem Grund wurde ein neues Gremium geschaffen, dem gewisse Staaten nicht angehören.

Nicht mit am ACTA-Tisch sitzen nämlich Vertreter jener Staaten, die Mitglieder der WTO sind und denen die größten Anteile an "Produktpiraterie" zugeschrieben werden.

Das Internet

Mit ACTA sollen vor allem die Strafgesetze verschärft werden, die Zollbeamten sollen mehr Befugnisse erhalten, auch die Verfolgung in einem Zivilgerichtsverfahren soll etwa durch "Ex-parte- Durchsuchungen" erweitert werden.

All das gilt offensichtlich auch für das Internet, wie in einem als "Diskussionspapier" bezeichneten Dokument aus dem Herbst 2007 vermerkt ist.

Nichts von Substanz

Dabei handelt es sich um das bisher einzige zum ACTA-Abkommen gehörige Dokument, das der Öffentlichkeit vorliegt.

Die EU-Kommission hat bisher weder einen Text veröffentlicht, noch ist das vom Ministerrat an die Kommission erteilte Verhandlungsmandat von Inhalt oder gar Wortlaut her bekannt.

Bei einem halböffentlichen "Stakeholder-Meeting" in der letzten Juni-Woche in Brüssel hatte die Kommission sehr zum Ärger der anwesenden Interessenvertreter - auch Konsumentenschützer waren anwesend - ebenfalls nichts von Substanz zu bieten gehabt.

Der Forderungskatalog des BDI

Angeblich existiert noch kein Dokument, was neun Monate nach der Veröffentlichung eines "Diskussionspapiers" doch einigermaßen verwunderlich ist.

ORF.at liegt immerhin eine diesbezügliche Stellungnahme des Bundes der Deutschen Industrie [BDI] von Ende Juni vor, die bisher nur intern kursieren dürfte.

Speziell: "Internetpiraterie"

Wörtlich heißt es in diesem Forderungskatalog der Industrie:

"Der Anreiz, geistiges Eigentum zu brechen, der durch die momentane Sanktionenlosigkeit besteht, muss genommen werden. Das Minimum müsste die Einführung der existierenden Strafrahmen sein, welche für physischen Diebstahl gelten."

Ein paar Punkte weiter unten steht wiederum wörtlich: "Spezielle Berücksichtigung der Internetpiraterie".

Die "kopierte Ware" und der Zoll

Dazwischen steht: "Ressourcen und Weiterbildung für Zoll müssen bereitgestellt werden", wobei das "Auffinden von kopierter Ware" an erster Stelle steht, Beschlagnahmungen sollten erleichtert werden, "abschreckende Schadenersatzhöhen" seien erforderlich wie die "Einleitung von Strafverfahren von Amts wegen."

Zudem sei der Posten eines "Chief Intellectual Property Enforcement Officer" bzw. eines "Koordinators für geistiges Eigentum" auf EU-Ebene zu schaffen.

Filesharing als Seriendiebstahl

So weit der Forderungskatalog des Bundes der Deutschen Industrie, der freilich offenlässt, für wen diese Sanktionen eigentlich gelten sollen.

Ist nun der Fälscher von Louis-Vuitton-Taschen mindestens wie ein gewerbsmäßiger Dieb zu bestrafen, oder auch ein Urlauber, der mit einer um 50 Dollar in Hongkong erstandenen Tasche vom heimischen Zoll erwischt wird?

Soll das mehrfache Herunterladen von Copyright-geschütztem Material mindestens dem Delikt "Seriendiebstahl" gleichgestellt werden?

Die Datenträger und der Zoll

Auffällig ist nur eins: Ebenso wie das "Diskussionspapier" schließt auch der BDI-Forderungskatalog an den ACTA-Vertrag die routinemäßige Durchsuchung von Datenträgern beim Grenzübertritt keineswegs aus.

Mehr Ressourcen und Weiterbildung für Zollbeamte zum "Auffinden von kopierter Ware" und "Ex-parte"-Durchsuchungen lassen das durchwegs offen.

Es wird nirgendwo spezifiziert, wie weit der jeweilige Absatz nun auch auf nicht-physische Güter zutrifft.

ACTA, Patente eingeschlossen

Um mehr Klarheit in die Sache zu bringen, hat ORF.at beim BDI und bei der österreichischen Industriellenvereinigung schriftlich angefragt.

Die französische EU-Ratspräsidentschaft werde bei ACTA "eine zentrale Rolle" spielen, hatte es zudem aus der EU-Kommission zum umstrittenen Abkommen geheißen.

Eines der ersten Gesetze der Regierung unter Nicolas Sarkozy sieht schwarze Listen und Internet-Sperren gegen Tauschbörsennutzer vor. Das Gesetz ist auf dem Weg durch die französischen Institutionen, steckt dort aber momentan fest.

Beim ansonsten weitgehend faktenfrei verlaufenen "Stakeholder"-Treffen in Brüssel Ende Juni bestätigten die Vertreter der Kommission zumindest eines: Bei ACTA sind Patente ausdrücklich eingeschlossen, zumal es ja um alle Belange "geistigen Eigentums" geht.

Der österreichische Parlamentarier Johann Maier [SPÖ] hat am 25. Juni bezüglich ACTA hierzulande eine parlamentarische Anfrage gestellt.

(futurezone | Erich Moechel)