Überraschung: Gamer sind auch Menschen

09.07.2008

Drei von vier Jugendlichen im Alter von elf bis 18 spielen Computerspiele. Das gängige Klischee vom asozialen Gamer, der den Bezug zur Realität verliert, kann in Österreich jedoch nicht bestätigt werden, wie aktuelle Auswertungen einer Jugendstudie ergeben haben.

Bereits seit einigen Jahren gibt es im Bundesministerium für Gesundheit, Familie und Jugend die Bundesstelle für die Positivprädikatisierung von Computer- und Konsolenspiele [BuPP], die nicht nur Spielempfehlungen abgibt, sondern generell auch auf die positiven Aspekte des Spielens hinweisen will.

Am Montag wurde nun im Ministerium eine Sonderauswertung der "elf/18-Jugendstudie 2007" präsentiert, bei der Angaben zur Computerspielnutzung mit anderen Fragestellungen der Studie [etwa nach dem Freundeskreis, allgemeinen Einstellungen] abgeglichen werden sollten. Zur Analyse der Daten "Computerspiele im Alltag Jugendlicher" wurden zwei unabhängige Forschungsinstitute eingeladen, die Medienpädagogik der Universität Wien und das Institut Jugendkultur.at.

Ein Drittel der Jugendlichen spielt oft

Der Beliebtheitsgrad von Computerspielen bei den Elf- bis 18-Jährigen steht dabei außer Frage: Drei von vier Jugendlichen spielen am Computer und/oder an der Konsole. Ein Drittel spielt häufig und hat Computer- und/oder Konsolenspiele fest in den persönlichen Freizeitmix integriert.

BuPP-Leiter Herbert Rosenstingl betonte, dass in der Mediendiskussion um Computerspiele und der Auseinandersetzung mit besorgten Eltern meist zu kurz komme, wie es den Spielern dabei gehe, was sie beim Spielen fühlen und was für Menschen sie sind.

Dass es den archetypischen Computerspieler nicht gebe, erklärte Beate Großegger, Wissenschaftliche Leiterin des Instituts Jugendkultur.at, gleich zu Beginn ihrer Ausführungen. "Was uns verblüfft hat, ist dass die Segmentbildung gar nicht so kompliziert ist", so Großegger. Im Prinzip gebe es zwei große Blöcke: Die Computerspieler und die, die Computerspiele spielen.

"Freaks" und "Gamers light"

Jugendkultur.at unterscheidet dabei in die echten "Computerspiele-Freaks" [etwa ein Drittel] und die "Gamers light". Erstere sind klar männlich dominiert und durch hohe Spiel-Frequenz und einen breit angelegten Spielemix charakterisiert. Vorzugsweise gespielt werden Actionspiele, Rennspiele, Strategiespiele, Shooter, Sportspiele [ausgenommen Rennspiele], Simulationen und Rollenspiele.

Diese Jugendlichen spielen täglich, fast täglich oder zumindest mehrmals wöchentlich am Computer- oder der Konsole.

Geprägt ist diese Gruppe laut Großegger von der Suche nach Herausforderung und dem Streben nach "Selbstwirksamkeit", also sich zu steigern und zu verbessern, einen unmittelbaren Erfolg zu spüren.

"Gamers light" suchen der Studie zufolge eher den kleinen Spielspaß für zwischendurch. Die Spiele sind eher Zeitvertreib, intensive Bindung wird dabei keine aufgebaut. Sie spielen oft nur ein paar Mal im Monat, teils auch seltener. Hier wird auch eine stärker ausgewogene Verteilung von Mädchen und Jungen bemerkt.

Das Klischee vom asozialen Freak

Was die sozialen Kontakte dieser "Computerspiele-Freaks" betrifft, also die "Peer-Beziehungen", so unterscheiden sich diese Jugendlichen entgegen den Erwartungen kaum von weniger game-begeisterten Gleichaltrigen. Das Spielen hat allerdings einen höheren Stellenwert als gesprächsthema im Freundeskreis. "Der Prototyp des Spielers, der nicht mehr aus dem Haus geht, war entgegen gängiger Klischees nicht zu finden", erklärte Großegger.

Nur in vier von insgesamt 882 untersuchten Fällen konnte laut den Ergebnissen der Wiener Medienpädagogik ein als möglicherweise problematisch zu charakterisierendes Nutzungsverhalten [keine Freunde, Vielspieler, bevorzugt aggressive Spiele] identifiziert werden.

Die Einzelfallanalyse habe aber gezeigt, dass es sich vermutlich um Einzelgänger handelt, die sich auch bewusst als Einzelgänger inszenieren.

Die Medienpädagogen sehen die Computerspielenutzung daher als ein Element, dass von Jugendlichen in ihren Alltag im Sinne ihres bevorzugten Lebensstils integriert wird. Der Umstand, das drei Fälle als Einzelgänger, die kaum Computerspiele nutzen, beschrieben werden konnten, verdeutliche dies.

Für die "elf/18-Jugendstudie 2007" wurden im Befragungszeitraum Oktober bis November 2006 über 880 persönliche Interviews mit Jugendlichen zwischen elf und 18 geführt.

Bildungsgames sind unbeliebt

Bei den Genres ist laut Jugendkultur.at quer durch alle Gruppen eine klare Distanz gegenüber Spielen auszumachen, die das Etikett "Wissensvermittlung/Bildung" tragen. Am beliebtesten sind Actionspiele, wofür die meisten Jugendlichen auch am ehesten Geld ausgeben würden.

Auch die Erwartungen an ein Spiel sind in allen Gruppen ähnlich: "Witzig" und "abwechslungsreich" stehen als Eigenschaften auf der Wunschliste ganz oben.

Die Wiener Medienpädagogen versuchten etwa auch Genrepräferenzen nach Schultypen und Jugendkulturen auszumachen: Punks würden etwa am liebsten Fun- und Partygames spielen, während bei Grufties Simulationen am beliebtesten seien.

"Die Jugendlichen suchen sich die Spiele aus, die am besten zu ihrem Alltag passen", so das Fazit von Christian Swertz, Leiter der Wiener Medienpädagogik.

Games, Gewalt und Sucht

In der Wirkungsfrage steht die öffentliche Medienberichterstattung der Selbsteinschätzung der Jugendlichen laut Jugendforschern offenbar entgegen:

Die Mehrheit der Computerspiel-Freaks kann dem oft gehörten Argument, dass intensives Gaming zu Realitätsverlust führe und Gamer beim Spielen aggressive Verhaltensmuster erlernen und üben, nicht zustimmen.

"Gamers light" sind für die Thematik offenbar stärker sensibilisiert. Ob die angeheizte mediale Debatte Grund dafür ist, oder ob diese Einschätzung auf persönlichen Erfahrungen beruht, bleibt aber offen.

Was das heiß diskutierte Suchtpotenzial von Computer- und Konsolenspielen betrifft, sieht aber immerhin rund jeder Zweite der Befragten ein Gefährdungspotential.

Bei einem Meeting der europäischen Spieleindustrie in Brüssel hat im Mai unter anderem ein Referat des britischen Pädagogen Andrew Burns für Gesprächsstoff gesorgt. Für ihn sind Gewalt und der Umgang damit essenzieller Teil des Erwachsenwerdens.