Entscheidung über "Telekompaket"
Der Vorstoß der französischen EU-Präsidentschaft und der Medienlobby zu "Internet-Sperren" für Tauschbörsenbenutzer wurde von den beiden zuständigen Ausschüssen des EU-Parlaments am Montagabend vorerst abgeschmettert.
Am späten Montagabend passierte das "Telekompaket" die zuständigen Ausschüsse des EU-Parlaments.
"Nach 700 Amendments im Binnenmarktausschuss war für mich Schluss", sagte die österreichische EU-Parlamentarierin Eva Lichtenberger am späten Abend zu ORF.at. Etwas mehr als 800 Änderungswünsche waren es insgesamt allein in diesem Gremium.
Der Abstimmungsmarathon
Sowohl im Binnenausschuss [IMCO] wie auch im Industrieausschuss [ITRE] ging ein wahrer Abstimmungsmarathon über die Bühne, insgesamt mussten über tausend "Amendments" zur Kenntnis genommen werden.
Die wurden in etwa 30 Kompromissen zusammengefasst, und die für Internet-Nutzer wohl wichtigste Nachricht ist: Internet-Sperren nach dem französischen Modell wird es in einer EU-Richtlinie nach dem Stand von Montag nicht geben.
Abfuhr für Sarkozy
Wie der von beiden Ausschüssen verabschiedete Text genau aussieht, lässt sich angesichts der Flut von Änderungen auf die Schnelle nicht sagen.
"Das französische Modell wollte eigentlich kaum wer wirklich haben", so Lichtenberger. "Nur schnell ist nämlich nicht gut, wenn die Richtung nicht stimmt."
Das "Eins, zwei, drei - Internet abgedreht" für Tauschbörsenbenutzer ist im EU-Parlament nach den Ausschussentscheidungen jedenfalls nicht mehrheitsfähig.
Fünf Richtlinien
Die Entscheidungen im Industrie- und Binnenmarktausschuss am Montagabend fielen unter Bedingungen, die es an Komplexität nicht mangeln ließen.
Fünf verschiedene Richtlinien, die ineinandergreifen, werden geändert. Das betrifft teils nur das "Wording", teils werden völlig neue Sachverhalte integriert.
1.300 Änderungsvorschläge
Federführend sind zwei Ausschüsse des Parlaments, so gut wie alle anderen - außer dem Fischereiausschuss - haben dazu Meinungen abgegeben.
Um das Ganze dann so richtig kompliziert zu machen, trafen im Binnenmarktausschuss bis zuletzt knapp 300 Änderungsvorschläge ein, im Industrieausschuss waren es sogar 800.
Der Knackpunkt
Dazu kommt, dass die Novellierung des "Telekompakets" inhaltlich von einer EU-weit einheitlichen Notrufnummer bis zur "digitalen Dividende" reicht, die durch das freiwerdende analoge Spektrum fällig wird.
Auf Druck der europäischen Medienindustrie und der französischen Ratspräsidentschaft geriet ein Passus in den Entwurf des Telekompakets, der Internet-Providern vorschreibt, quasi auf Zuruf der "Rechteinhaber" einen Account nach dreimaligem Urheberrechtsverstoß zu sperren.
Vier Fraktionen dagegen
Österreichische Abgeordnete von drei Fraktionen - Konservative, Sozialdemokraten und Grüne - sowie der deutsche Liberale Alexandar Alvaro hatten sich auf Anfrage von ORF.at gegen Internet-Sperren ausgesprochen.
Die esoterischsten Änderungsvorschläge ["Amendments"] waren aus drei der vier oben genannten Fraktionen gekommen.
Wie das EU-Parlament tickt
Das EU-Parlament tickt im Zweifelsfall nämlich ganz anders als die nationalen Abgeordnetenhäuser. Vor allem bei neuartigen Themen - Kommunikationstechnologie, Datenschutz, digitale Bürgerrechte etc. - gehen die Bruchlinien quer durch die europäischen Parteistrukturen, in erster Linie bei den großen beiden Fraktionen.
Dabei kommt es nicht selten vor, dass eine Minderheit gegen die Fraktionslinie stimmt. So geschehen 2006, als zwei sozialdemokratische Abgeordnete gegen den eigenen "Kompromiss" zur Richtlinie betreffend die Vorratsdatenspeicherung stimmten.
Beispiel Software-Patente
Danach schmetterten alle vier Fraktionen der österreichischen Parlamentarier - diesmal bei ein paar Gegenstimmen der Konservativen - mit überwältigender Mehrheit die Richtlinie über Software-Patente ab.
Die erste Lesung des Telekompakets im Plenum des EU-Parlaments ist für den zweiten September angesetzt.
Die Kommunikationsforscherin und Politologin Monica Horten hat gemeinsam mit Christophe Espern von der französischen Bürgerrechtsorganisation La Quadrature du Net jene Änderungsvorschläge zum EU-Telekompaket analysiert, die Internet-Provider dazu verpflichten sollten, auf Zuruf der Medienindustrie Websites und ganze Protokolle zu blockieren.
(futurezone | Erich Moechel)