"Anlasslose Überwachung abgelehnt"

10.07.2008

Auf Nachfrage von ORF.at zeigt sich Othmar Karas, Obmann der ÖVP-Delegation im EU-Parlament, in Sachen Netzsperren sicher, dass die Passagen zu "Three Strikes Out" im Telekompaket den weiteren politischen Prozess nicht überleben werden. Die Initiative La Quadrature du Net warnt unterdessen vor gefährlichen Passagen im Kompromissvorschlag des Verbraucherschutz-Ausschusses.

Der Schutz der Urheberrechte sei natürlich wichtig, aber ebenso wichtig sei es, dabei nicht übers Ziel hinauszuschießen, erklärte Karas auf Anfrage von ORF.at.

Karas im Wortlaut: "Wir sind gegen anlasslose Dauerüberwachung der Benutzer." Diese Position werde man auch auch bei der Plenarabstimmung vertreten.

Nur erster Schritt

Wie alle andere Abgeordneten sieht Karas, der dem Binnenmarktausschuss [IMCO] angehört, das Ergebnis des montäglichen Marathons zum Telekompaket nur als ersten Schritt.

Eigentlich war dieses enorm umfangreiche Maßnahmenbündel in Angriff genommen worden, um drei veraltete EG-Richtlinien zum Telekommunikationsmarkt auf den neuesten Stand zu bringen und zu ergänzen.

Das ursprüngliche Vorhaben

Dabei sollten etwa die Verbraucherrechte gestärkt werden, die durch das Freiwerden der analogen TV-Grenzen enstehende "digitale Dividende" soll EU-weit einheitlich geregelt werden. Die Idee dahinter folgt dem US-Modell, wo über diese Frequenzbänder auch entlegenere Gebiete mit Breitbanddiensten versorgt werden sollen.

Neben einer einheitlichen EU-Notrufnummer sieht das Paket noch ein Anzahl weiterer Regelungen vor, deren Sinnhaftigkeit nicht in Zweifel steht. Und weil man gerade dabei war, wurde auch das recht angestaubte "Wording" der drei Richtlinien - es stammt zum Teil noch aus der Zeit, als Telekommonopole allein den Markt regierten - der TCP/IP-Ära angepasst.

Strich durch die Rechnung

Geplant war also ein "großer Wurf", der entsprechend präsentiert werden sollte - allein, das spielte es so nicht. Zusammen mit den europäischen Medienkonzernen machte die französische Ratspräsidentschaft einen dicken Strich durch diese Rechnung von Kommission und Parlament.

Der ursprüngliche Entwurf zum Telekompaket enthielt nämlich eine Passage, die Internet-Provider dazu verpflichtete, den gesamten Verkehr ihrer Kunden auf "ungesetzliche" Inhalte zu kontrollieren und das notfalls zu unterbinden. Das löste einen beträchtlichen Wirbel aus.

"Eins, zwei, drei - Internet abgedreht"

Eine der ersten Gesetzesinitiativen der Regierung von Präsident Nicolas Sarkozy sieht diesem Abschnitt nämlich verdächtig ähnlich, wenngleich die französische Regelung noch weiter geht und die Schaffung einer eigene Kontrollbehörde namens "HADOPI" vorsieht.

Bekannt wurde das "Loi HADOPI" als "Eins, zwei, drei - Internet abgedreht" ["Three Strikes Out"], weil es nach dem dritten Verstoß gegen Urheberrechte eine Sperre des Internet-Zugangs vorsieht.

In Frankreich ist Sarkozys Gesetz noch auf dem langen Weg durch die Institutionen. Nun wird - wie leider üblich - über die EU versucht, dieses Vorhaben erneut anzuschieben.

Der Coup der Medienindustrie

In einem dreisten Lobbyisten-Coup, der durchwegs putschähnliche Züge zeigt, wurde versucht, die bestehende Rechtslage der Internet-Provider umzudrehen.

Gelten sie bisher als reine Infrastrukturanbieter, so sollten sie in Zukunft sozusagen die Rolle der Exekutive für die "Rechteinhaber" spielen, eine Kontroll- und Zensurstelle, die Inhalte ihrer Kunden permanent auf "Rechtmäßigkeit" kontrolliert und gegebenfalls den Zugang zum Netz sperrt.

Was von "Loi HADOPI" übrig ist

Wie diese Kontrolle technisch funktionieren soll, konnte freilich noch keiner der Befürworter erklären. Wie sie mit dem Recht auf Informationsfreiheit, dem Recht, z. B. E-Government-Anwendungen zu nützen, und dem Recht auf Datenschutz zusammengehen soll, liegt ebenfalls völlig im Dunklen.

Obwohl die radikalsten Änderungsvorschläge, die zum Teil wortident mit den Eingaben der Medienindustrie waren und teilweise sogar forderten, dass die Medienindustrie zum Schutz ihrer Inhalte Schadsoftware wie Trojaner benützen dürfe, hinausflogen, finden sich in den "Kompromissen" der beiden beteiligten Ausschüsse noch Elemente von "Loi HADOPI".

Im Industrieausschuss

In der Abstimmungsversion des Ausschusses für Industrie [ITRE] findet sich das in Änderungsvorschlag Nummer sechs.

Da ist von der Forcierung "legalen Inhalts" die Rede, nicht dabei steht, wie das funktionieren soll, ohne den gesamten Verkehr zu filtern.

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Im Binnenmarktausschuss

Der erst zwei Tage später vorliegende Kompromiss im Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz [IMCO] trägt noch weit deutlichere Spuren des Coups der Medienindustrie. Wie die Analyse der französischen Bürgerrechtsgruppe La Quadrature du Net zeigt, sind - wenn auch abgeschwächt - fast alle Elemente von "Eins, zwei, drei - Internet abgedreht" noch enthalten.

Da dieser Teil das Telekompakets ironischerweise unter dem Titel "Verbraucherschutz" steht, ist IMCO hier federführend, während der Industrieausschuss bei allen anderen Teilen des Richtlinienpakets den Ton angibt.

Der Zeitplan

Die spätere Veröffentlichung des IMCO-Ergebnisses ist freilich nicht auf irgendwelche Machenschaften zurückzuführen, sondern auf den Umstand, dass dem Industrieausschuss 300 Änderungsanträge vorlagen, während IMCO gleich dreimal so viele "Amendments" verarbeiten musste.

Die von ORF.at befragten Parlamentarier aller vier Fraktionen hatten durch die Bank anlasslose Überwachung oder gar Internet-Sperren abgelehnt und erklärt, für die Plenarabstimmung im September alsbald Änderungsvorschläge zu beraten.

Meldungen, nach denen die Abstimmung vom 2. auf den 22. September verschoben worden sei, konnten die von ORF.at befragten Abgeordneten bisher nicht bestätigen.

Die französische Bürgerrechtsinitiative La Quadrature du Net hat ihre Analyse des Kompromissdokuments des Ausschusses für Binnenmarkt und Verbraucherschutz publiziert und analysiert. In dem Dokument finden sich noch zahlreiche problematische Passagen, auf deren Grundlage Netzfilter und sogar der Einsatz von Medienindustrie-Spyware gerechtfertigt werden kann.

(futurezone | Erich Moechel)