95 Jahre Schutzfrist für Beatles & Co.
Die EU-Kommission will die Schutzdauer für Tonaufnahmen von 50 auf 95 Jahre verlängern. Während die Musikindustrie den Vorschlag begrüßt, meinen Kritiker, dass eine Verlängerung der Schutzfrist nur der multinationalen Tonträgerindustrie zugute komme und den Zugang zu historischen Tonaufnahmen erschwere.
Am Mittwoch verabschiedete die Europäische Kommission einen Richtlinienvorschlag, der die Verlängerung der Schutzdauer von Tonaufnahmen und Tonträgern in er EU von 50 auf 95 Jahre vorsieht. Künstler und Industrie würden gleichermaßen von der längeren Schutzfrist profitieren, hieß es in einer Aussendung der EU-Kommission.
Eine 95-jährige Schutzdauer würde verhindern, dass ausübende Künstler, die im Alter von 20 Jahren Platten aufgenommen haben, bei Erreichen ihres 70. Lebensjahres einem plötzlichen Einkommensausfall gegenüberstehen, so die EU-Kommission.
Zusätzliche Einnahmen
Die zusätzlichen Einnahmen aus der erweiterten Schutzdauer sollen auch der Tonträgerindustrie helfen, sich an das Internet-Zeitalter anzupassen und ihre Investitionen in neue Talente aufrechtzuerhalten, begründete die EU-Kommission ihren Vorschlag.
"Ich werde alles daransetzen, um sicherzustellen, dass ausübende Künstler über ein angemessenes Einkommen verfügen und es auch künftig eine europäische Musikindustrie geben wird", sagte EU-Binnenmarktkommissar Charlie McCreevy, der die Verlängerung der Schutzfristen vorgeschlagen hatte.
Begleitende Maßnahmen
Die EU-Kommission schrieb in dem Vorschlag auch begleitende Maßnahmen fest, die es Musikern ermögichen sollen, ihre Rechte zurückzufordern, wenn ihre Aufnahmen von den Produzenten in der erweiterten Schutzfrist nicht weiter vermarktet werden.
Falls weder Künstler noch Produzent die Aufnahme vermarkten, werde die Aufnahme nicht weiter geschützt", so die EU-Kommission. Kommerziell weniger attraktives Repertoire solle nicht ungenutzt in den Archiven verbleiben.
Fonds für Studiomusiker
Den Plattenfirmen wurde auch die Einrichtung eines Fonds auferlegt, in den 20 Prozent der zusätzlichen Einnahmen fließen sollen. Der Fonds soll an Studiomusiker verteilt werden, deren Aufnahmen in der verlängerten Schutzfrist verkauft werden.
Der Richlinienvorschlag der EU-Kommission bedarf nun noch der Zustimmung von EU-Rat und EU-Parlament.
Das EU-Parlament hatte sich bei einer Abstimmung zum Kulturwirtschaftsbericht bereits einmal gegen eine Verlängerung der Schutzfrist für Tonaufnahmen ausgesprochen. Auch die britische Regierung erteilte im vergangenen Juli einer Forderung der Musikindustrie nach einer längeren Schutzdauer eine Absage.
"Stärkung der Musikwirtschaft"
Der Verband der österreichischen Musikwirtschaft, IFPI Austria, begrüßte am Mittwoch naturgemäß den Vorschlag der EU-Kommission.
Die vorgeschlagene Verlängerung der Schutzfrist stärke die europäische Musikwirtschaft im internationalen Wettbewerb und bedeute mehr Fairness gegenüber Interpreten und Labels, hieß es in einer IFPI-Aussendung.
Die europäische Musikindustrie macht sich seit Jahren für eine Angleichung der Schutzfrist für Tonaufnahmen an das US-Niveau von 95 Jahren stark. Nicht zuletzt auch darum, weil frühe Aufnahmen prominenter Bands und Musiker, darunter die Beatles, Cliff Richard und die Rolling Stones, von der derzeit in der EU geltenden Schutzfrist für Tonaufnahmen von 50 Jahren schon bald nicht mehr erfasst wären.
Scharfe Kritik an Verlängerung
Europäische Rechtsexperten hatten die geplante Erhöhung der Schutzdauer für Tonaufnahmen in der EU zuletzt scharf kritisiert. Eine Verlängerung der Schutzfrist würde nur multinationalen Musikkonzernen mit großen Back-Katalogen zugute kommen, den Zugang zu historischen Tonaufnahmen erschweren und Kreativität und Innovation in Europa Schaden zufügen.
Im Juni warnten europäische Wissenschaftler die EU-Kommission deshalb vor der Verlängerung der Schutzfrist und setzten diese mit einem "Kotau an die Tonträgerindustrie" gleich.
Die Initiative Sound Copyright, die von der britischen Open Rights Group und dem europäischen Arm der Electronic Frontier Foundation [EFF] betrieben wird, machte gegen die Ausweitung der Schutzdauer von Tonaufnahmen mit einer Online-Petition mobil.
Harmonisierung bei mehreren Urhebern
Parallel zur Verlängerung der Schutzfrist für Tonaufnahmen schlug die EU-Kommission die Harmonisierung der Schutzdauer von Musikkompositionen mehrerer Urheber vor. Bei vielen musikalischen Genres wie etwa Jazz, Rock und Pop seien die Stücke oft das Ergebnis gemeinsamen Schaffens.
Dem Vorschlag der Kommission zufolge soll die Schutzdauer für Musikkompositionen 70 Jahre nach dem Tod des letzten beteiligten Urhebers erlöschen, unabhängig davon, ob es sich dabei um den Textautor oder den Komponisten handelt.
Grünbuch zum Urheberrecht
Daneben nahm die EU-Kommission das Grünbuch "Urheberrechte in der wissensbestimmten Wirtschaft" an, mit dem eine Debatte darüber eingeleitet werden soll, welche Strategie beim Urheberrecht in wissensintensiven Bereichen auf lange Sicht verfolgt werden soll, teilte die EU-Kommission mit.
Neue Regeln für Musiklizenzen
Die EU-Kommission hat am Mittwoch auch eine Neuregelung bei Musiklizenzen in die Wege geleitet. Europäischen Verwertungsgesellschaften wurde untersagt, ihr Angebot im Ausland einzuschränken. Damit sollen EU-weite Lizenzen ermöglicht werden. Künstler sollen ihre Verwertungsgesellschaft künftig frei wählen können.
(futurezone | Patrick Dax)