ACTA: Zweite Runde in Washington

24.07.2008

Das Antipiraterieabkommen ACTA beunruhigt weltweit Bürgerrechtler und Vertreter der Zivilgesellschaft. Am 29. Juli treffen sich die Unterhändler zur zweiten Verhandlungsrunde in der US-Hauptstadt Washington. Dabei sind auch Vertreter der EU-Kommission. Sowohl in EU als auch den USA laufen die ACTA-Entscheidungsprozesse bisher an den Volksvertretungen vorbei, verbindliche öffentliche Dokumente gibt es nicht.

Ein Gespenst geht um - nicht nur in Europa, sondern weltweit. Das Antipiraterieabkommen Anti-Counterfeit Trade Agreement [ACTA] ist zwar Gegenstand von Erklärungen auf G8-Gipfeln und wird derzeit eifrig von der EU, den USA und anderen Industriestaaten verhandelt, aber ein Entwurf des Abkommens ist nicht bekannt.

Auf Grundlage von ACTA wollen vor allem die USA und die EU gegen den Handel mit unlizenzierten Kopien von Konsum- und Industriegütern vorgehen - wozu sie auch immaterielle Güter wie Software und Medien zählen.

Die zweite Verhandlungsrunde, so Michael Jennings, Sprecher des federführenden EU-Handelskommissars Peter Mandelson zu ORF.at, werde vom 29. bis zum 31. Juli 2008 in Washington DC stattfinden.

Das Mandat der Kommission

Die Kommission, so Jennings, habe seit dem 14. April das Mandat der 27 EU-Mitgliedsstaaten, ACTA mit auszuhandeln. "Da wir uns in den Verhandlungen befinden, können wir, wie üblich, das Mandat nicht publik machen", so Jennings.

Die Kommission habe sich bereits mit der Industrie und anderen Interessensgruppen beraten. Es habe auch am 23. Juni ein Treffen mit den Interessensvertretern in Brüssel gegeben, das auch für Bürger offen gewesen sei.

Eingriff in die Grundrechte

Seit im Mai die ersten Hinweise auf das Abkommen einer breiteren Öffentlichkeit durch die anonyme Publikation eines Diskussionspapiers auf der Whistleblower-Site Wikileaks bekannt geworden sind, haben Bürgerrechtsorganisationen wie die Electronic Frontier Foundation [EFF] oder Fachleute wie der kanadische Urheberrechtsexperte Michael Geist wiederholt davor gewarnt, dass ACTA auch Bestimmungen enthalten könnte, die tief in die bürgerlichen Grundrechte eingreifen.

So ist in dem Diskussionspapier von anlasslosen Durchsuchungen von Notebooks und Speichermedien am Zoll die Rede.

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Ein Positionspapier des Bundes der Deutschen Industrie, das ORF.at vorliegt, drängt darauf, den Diebstahl "geistigen Eigentums" - ein sehr weit gefasster Begriff - der Entwendung physischer Güter gleichzustellen - unter spezieller Berücksichtigung der Internetpiraterie.

Nur die Konturen bekannt

Die US-Bürgerrechtsorganisation Public Knowledge hat ein umfangreiches Dossier über ACTA ins Netz gestellt. Dem zufolge hat das Abkommen drei Säulen: Internationale Kooperation, Regeln für die Strafverfolgung und die gesetzlichen Rahmenbediungungen.

Das älteste bekannte Dokument über ACTA in dieser Sammlung ist ein Fact Sheet des US-Beauftragten für den Internationalen Handel [USTR] vom Oktober 2007.

Obwohl dieses Dokument nicht mehr als eine vage Skizze des Vorhabens darstellt, ist auch dort schon deutlich zu lesen, dass man von US-Seite gegen Piraterie via Internet und andere Informationstechnologien vorgehen und dazu auch neue Maßnahmen an den Grenzen einsetzen wolle.

Bürgerrechtler wollen Abkommen sehen

Als besonders besorgniserregend bezeichnet Public Knowledge die Tatsache, dass ACTA seitens der USA als "Executive Agreement" betrachtet wird. Dabei handelt es sich um Übereinkommen, die vom US-Präsidenten abgeschlossen werden und die nicht vom US-Senat ratifiziert werden müssen. Auch die Freihandelszone NAFTA und das Handelsabkommen GATT sind auf Grundlage solcher Executive Agreements zustande gekommen.

Public Knowledge fordert daher von der US-Regierung - ebenso wie die EFF und die Free Software Foundation [FSF] - den aktuellen Entwurf von ACTA zu publizieren, damit eine öffentliche Diskussion darüber stattfinden kann. Die FSF warnt angesichts der anlasslosen Durchsuchung von Speichermedien vor einer "Kultur der Überwachung und des Misstrauens", die der Arbeit an Freier Software entgegenstehe.

Noch kein Entwurf

"Soweit ich weiß gibt es noch gar keinen Entwurf", sagt Michael Jennings, "Wir sind noch in einer frühen Phase der Verhandlungen." Die Bedenken der Bürgerrechtler möchte Jennings zerstreuen: "Was die 'Gerüchte' angeht, die sich auf mögliche Verletzungen von Bürgerrechten beziehen, kann ich folgendes sagen: Bei ACTA geht es darum, die Aktivitäten krimineller Organisationen in Zaum zu halten, die die öffentliche Sicherheit und Gesundheit gefährden."

Kampf gegen Schmuggler

Die Verhandlungen drehten sich nicht nur um Medien, sondern auch um gefälschte Medikamente, Nahrungsmittel, Kosmetika, Spielwaren und Auto-Ersatzteile.

"Es geht nicht darum, die bürgerlichen Grundrechte einzuschränken oder Konsumenten zu belästigen", so Jennings, "Ich möchte darauf hinweisen, dass die EU-Gesetzgebung eine 'de minimis'-Klausel beinhaltet, die Reisende von Überprüfungen ausnimmt, wenn die beanstandeten Güter nicht Teil eines groß angelegten Schmuggelunternehmens sind. Die Zollbeamten in den Mitgliedsstaaten sind täglich mit organisiertem Drogen-, Waffen- und Menschenschmuggel konfrontiert. Darauf liegt auch ihr Hauptaugenmerk."

ACTA - Kein reines Handelsabkommen

Im weiteren Prozess der Verhandlungen spiele die EU-Präsidentschaft - bis Ende 2008 in den Händen der Franzosen unter Präsident Nicolas Sarkozy - eine Rolle, da es hierbei auch um Strafgesetzgebung gehe. ACTA sei kein reines Handelsabkommen, sondern ein gemischter Vertrag, so Jennings.

Die Kommission habe dutzende Male öffentlich über ACTA gesprochen, darunter dreimal im Ausschuss für internationalen Handel [INTA] des EU-Parlaments. Aufgrund des gemischten Charakters des Abkommens sei es aber nicht sicher, ob das Parlament im weiteren Vorgehen eine Rolle spiele.

Dies sei noch zu prüfen, sagt Jennings, der weitere Treffen mit Organisationen der Zivilgesellschaft in Sachen ACTA in Aussicht stellt. Wann der Öffentlichkeit ein verbindliches Entwurfspapier des Abkommens zur Verfügung stehen wird, konnte er auf Anfrage von ORF.at bisher nicht mitteilen.

"Politikwäsche"

Die US-Bürgerrechtler von Public Knowledge, zu denen hochrangige Akademiker und Berater sowie Internet-Veteranen wie Brewster Kahle [archive.org] zählen, befürchten unterdessen, dass ACTA zum "policy laundering" [vgl. "money laundering" - Geldwäsche] dienen wird, also dazu, unpopuläre Maßnahmen an den Parlamenten und internationalen Foren wie WIPO oder WTO vorbei über einen möglichst lange geheimgehaltenen internationalen Vertrag durchzusetzen.

So oder so würde es angesichts der weitreichenden Folgen, die der Abschluss dieses Abkommens für alle Bürger haben würde, allen beteiligten Institutionen gut zu Gesicht stehen, den Verhandlungsprozess klar offenzulegen und eine politische Diskussion über das Abkommen zuzulassen.

(futurezone | Günter Hack)