Internet-Mobbing-Fall mit Folgen
Eine Anklage in einem Internet-Mobbing-Fall mit tödlichem Ausgang sorgt in den USA für Aufsehen und könnte Konsequenzen für Netznutzer haben, die sich unter falschem Namen bei Online-Diensten anmelden.
Das Anlegen eines Accounts bei einem Online-Dienst unter falschem Namen könnte für US-Internet-Nutzer strafrechtliche Konsequenzen haben. Das legt eine Interpretation eines US-Gesetzes durch ein US-Bundesgericht nahe, das im vergangenen Mai gegen die 49-jährige Lori Drew im Zusammenhang mit einem Internet-Mobbing-Fall mit tödlichem Ausgang auf der Social-Networking-Site MySpace Anklage erhob.
Drew wird vorgeworfen, gegen den Computer Fraud and Abuse Act [CFAA] verstoßen zu haben, weil sie falsche Angaben bei der Erstellung eines MySpace-Accounts gemacht habe, der später von ihr genutzt wurde, um einen Teenager zu mobben.
Durch den Verstoß gegen die Nutzungsbedingungen von MySpace habe sie sich widerrechtlich Zugriff auf geschützte Computersysteme verschafft und das Gesetz gegen Computerkriminalität gebrochen. Laut dem CFAA, auf den sich die Anklage stützt, drohen Drew im Falle eines Schuldspruchs bis zu 20 Jahre Haft.
Einstellung gefordert
Die US-Internet-Bürgerrechtsbewegung Electronic Frontier Foundation [EFF] forderte Anfang dieser Woche in einer Eingabe an das Gericht, die Anklage wegen des Verstoßes gegen die Nutzungsbedingungen von MySpace fallenzulassen.
Diese schieße weit über das Ziel des US-Gesetzes gegen Computerkriminalität hinaus und habe weitreichende Konsequenzen für US-Internet-Nutzer.
Tragische Vorgeschichte
Die Vorgeschichte zu der Anklage ist ebenso tragisch wie bizarr. Im Oktober 2006 nahm sich die 13-jährige Schülerin Megan Meier aus dem Ort O'Fallon im US-Bundesstaat Missouri das Leben, nachdem sie Opfer von Mobbing-Attacken auf MySpace wurde. Ein vermeintlicher Freund, den sie in der Online-Community unter dem Namen "Josh Evans" kennenlernte und zu dem sie offenbar Zuneigung fasste, hatte sie mehrmals beschimpft. Zuletzt ließ er Meier wissen, dass die Welt ohne sie ein schönerer Ort wäre. Kurz darauf erhängte sich Meier in ihrem Zimmer.
Wenige Wochen nach dem Vorfall wurde bekannt, dass der virtuelle Freund gar nicht existierte. Drew und ihre Tochter sollen den Account unter falschem Namen angelegt haben, um sich gemeinsam mit zwei weiteren Personen einen Spaß mit dem Mädchen zu machen.
Ein Gericht in Missouri sah sich wegen fehlender rechtlicher Grundlage außerstande, Anklage in dem Fall zu erheben. Belästigung im Internet war in einem in den 70er Jahren beschlossenen Mobbing-Gesetz des Bundesstaats kein Thema. In Kalifornien, dem Sitz von MySpace, wurde der Fall schließlich doch vor Gericht gebracht.
Kriminalisierung von Internet-Nutzern
Die Vorfälle, die zu der Anklage geführt hätten, seien tragisch. Sie würden jedoch nicht die Kriminalisierung von Millionen von Internet-Nutzern rechtfertigen, so die EFF in einer Aussendung. Das US-Gesetz, auf das sich die Anklagebehörde berufe, richte sich gegen das widerrechtliche Eindringen in Computersysteme und nicht gegen die Nutzung von Online-Diensten mit fragwürdigen Motiven.
Jeder, der künftig Nutzungsbedingungen von Websites nicht lese, laufe Gefahr, strafrechtlich verfolgt zu werden. Eine Verurteilung würde den US-Anklagebehörden einen Blankoscheck ausstellen und hätte auch Auswirkungen auf die freie Meinungsäußerung im Internet.
Es sei wünschenswert, dass die Angeklagte für die ihr zur Last gelegten Taten verantwortlich gemacht werde, heißt es in der Eingabe der EFF, dabei dürften jedoch grundlegende Bürgerrechte nicht infrage gestellt werden.
Regelungen in Österreich
Einen solchen Fall nach Gesetzen gegen Computerkriminalität zu verhandeln wäre in Österreich nicht möglich, sagte dazu der Richter Franz Schmidbauer, der die Website Internet4Jurists betreibt, zu ORF.at.
Computerkriminalität sei schwer fassbar, strafrechtlich relevant sei nur, was in konkreten Tatbeständen geregelt ist, etwa das gewaltsame Eindringen in Computersysteme und die Beschädigung von Daten.
Zwar gebe es nach dem Telekommunikationsgesetz bestimmte Missbrauchsverbote, die könnten aber allenfalls zur Vertragskündigungen führen und wären strafrechtlich nicht relevant. "Was der Gesetzgeber nicht ausdrücklich als strafbar erklärt, kann kein Straftatbestand sein."
Straftatbestand des Stalkings
Das Verleiten zum Selbstmord sei im Strafrecht hingegen ein eigener Tatbestand, der unabhängig vom dabei genutzten Kommunikationsweg strafbar ist, so Schmidbauer. Beim Mobbing sei die Frage, inwieweit der Strafbestand des Stalkings erfüllt sei.
Sachverhalte, die mit dem Internet zusammenhängen, sind durch die Strafrechtsnovelle 2006 erfasst. Dort heißt es: "Wer eine Person widerrechtlich beharrlich verfolgt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr zu bestrafen." Die Kontaktaufnahme "im Wege der Telekommunikation" ist in dem Gesetz ausdrücklich vermerkt.
(futurezone | Patrick Dax)