Bürgerjournalismus im US-Wahlkampf
Das US-amerikanische Online-Magazin Huffington Post setzt auf Amateure, um über den US-Präsidentschaftswahlkampf zu berichten. Zur offiziellen Kür des demokratischen Kandidaten Barack Obama ist ein Großeinsatz geplant.
Hunderte von Journalisten aus aller Welt werden Ende August zur Democratic National Convention nach Denver reisen, um von der offiziellen Kür des Obamas zu berichten.
Doch kein Medium wird in Denver so massiv Präsenz zeigen wie Huffingtonpost.com. Bis zu 200 Korrespondenten werden für das Online-Magazin Augen und Ohren offen halten - und damit sicher einige Details entdecken, die den Kollegen von CNN und Co. verborgen bleiben.
Möglich wird diese rekordverdächtige Berichterstattung durch ein von der Huffington Post initiiertes Bürgerjournalismusprojekt namens Off The Bus. Seit Ende vergangenen Jahres nutzt Off The Bus die Hilfe von Hunderten Amateuren, um über den US-Präsidentschaftswahlkampf zu berichten.
Links zu den Projekten:
Mehr als nur Ameisen
Die Idee zu Off The Bus stammt von dem bekannten New Yorker Journalismusprofessor Jay Rosen, der bereits seit geraumer Zeit an einer Vermählung des Bürgerjournalismus mit den klassischen Medien arbeitet. Wichtig ist dem Off-The-Bus-Team dabei, dass die mitwirkenden Amateure mehr sind als nur billige Lieferanten von Inhalten.
"Bürgerjournalisten wurden bisher meist wie eine minderwertige Spezies behandelt", meint dazu Marc Cooper, der für die redaktionelle Koordination von Off The Bus verantwortlich ist. "Wie Ameisen. Im Falle eines Hurrikans oder einer Hochwasserkatastrophe werden sie nach draußen geschickt, um Fotos zu machen und diese an die Redaktionen zu schicken. Wir sind der Auffassung, dass man sie ernster nehmen muss."
Waffen und Religion
Off The Bus bietet seinen Bürgerreportern deshalb die Möglichkeit, eigene Artikel über die Präsidentschaftskampagnen auf Huffingtonpost.com zu publizieren - und hat damit bereits mehrfach selbst für Schlagzeilen gesorgt.
So berichtete ein Mitglied des Off-The-Bus-Projekts im April auf der Website von einer Wahlveranstaltung Obamas in Pennsylvania. Obama erklärte dort, die Bewohner des Bundesstaats seien bitter und würden sich aus ökonomischer Not an ihre Waffen und ihre Religion klammern - ein Zitat, das über Wochen für Aufregung sorgte.
Dabei versteht sich Off The Bus nicht als kollektives, ungefiltertes Blog. Ein Team von Redakteuren sichtet und redigiert Beiträge, um stilistische und journalistische Standards zu wahren. "Auf vielen Bürgerjournalismus-Websites kann man schreiben, was man will", meint Cooper dazu. "Bei uns muss man einen gewissen Mindeststandard einhalten. Wir haben kein Interesse an Unsinn. Aber ehrlich gesagt: Wir bekommen auch nicht viele unsinnige Beiträge. Das ist für uns kein großes Problem."
Kollektives Recherchieren
Gleichzeitig muss nicht jeder Mitwirkende ein geborener Schreiber sein. Off The Bus startet regelmäßig kollektive Rechercheprojekte, deren Ergebnisse dann vom Redaktionsteam aufbereitet und publiziert werden.
So besuchten Dutzende Off-The-Bus-Unterstützer die lokalen Büros beider Parteien, um einmal nachzuschauen, wie der Wahlkampf an Ort und Stelle so aussieht. Im Juli berichteten zudem mehr als 100 Off-The-Bus-Reporter von lokalen Veranstaltungen der demokratischen Partei.
Mit dem Parteitag der Demokraten Ende August will man dieses Konzept des kollektiven Journalismus nun erstmals in direkter Konkurrenz zu den Massenmedien ausprobieren, die mit professionellen Reportern vertreten sein werden. "Einige Nachrichten unserer Bürgerreporter werden sehr dramatisch sein, andere für sich genommen recht unbedeutend", glaubt Cooper. "Zusammengenommen sollte es ein ziemlich gutes Bild des Mosaiks ergeben."
Transparenz und Neutralität
Teil dieses Mosaiks werden auch Beiträge von Parteitagsdelegierten selbst sein. Im klassischen Journalismus sind derartige Doppelrollen als Interessenkonflikt verpönt. "Traditionelle Medien besitzen eine Ethik der Neutralität", erklärt Cooper. "Wir besitzen eine Ethik der Transparenz."
So sei die Mitarbeit an Obamas Wahlkampagne kein Grund, nicht für Off The Bus zu schreiben. "Ganz im Gegenteil. Wir wollen sehr gerne wissen, was so jemand zu sagen hat. Aber er muss in seinem Text offenlegen, wer er ist."
Cooper gibt zu, dass die Parteien versuchen könnten, diesen Prozess zu unterwandern, um die Berichterstattung der Huffington Post zu beeinflussen. "Aber das ist auch im Mainstream-Journalismus möglich. Der Unterschied ist: Wir tun nicht so, als seien wir unfehlbar."
Angst vor den Amateuren
Es überrascht nicht, dass Cooper mit solchen Vorwürfen nicht bei allen Kollegen gut ankommt. Die Reaktionen anderer Journalisten auf das Off-The-Bus-Projekt seien sehr gemischt, weiß er zu berichten. Einige seien begeistert, andere lehnten die Mitarbeit von Amateuren grundsätzlich ab.
"Sie haben Probleme damit, zu akzeptieren, dass wir uns in einer Periode der massenhaften Amateurisierung befinden", glaubt Cooper. "Unzählige Amateure können heute tun, was vor sieben oder zehn Jahren noch professionellen Journalisten vorbehalten war. Man braucht heute keinen Redakteur oder Verlag mehr, um zu publizieren. Das Einzige, was man dazu braucht, ist eine Website."
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(Janko Röttgers)