Im Fadenkreuz der Datenhändler
Die Fälle von illegalem Handel mit Kundendaten häufen sich. ORF.at sprach mit dem deutschen Datenschützer Thilo Weichert über die Strategien der Daten-Dealer und darüber, wie die Politik europaweit Konter geben kann. In Österreich fordert die Arbeiterkammer von der künftigen Regierung, dass Verträge prinzipiell ungültig sein sollen, die über unerwünschte Telefonwerbung abgeschlossen wurden.
In Deutschland werden immer mehr Fälle von illegalem Handel mit Kundendaten bekannt. Am 12. August gab die Verbraucherzentrale des Bundeslandes Schleswig-Holstein bekannt, dass ihr eine CD mit den Daten von 17.000 Bürgern zugespielt wurde.
Am Montag hat die Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. [vzbv] dem Berliner Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit Datenträger mit insgesamt sechs Millionen Datensätzen übergeben, die Namen, Adressen, Telefonnummern und Kontoverbindungen enthalten.
ORF.at sprach mit Weichert, dem Landesbeauftragten für den Datenschutz des Landes Schleswig-Holstein [ULD SH], über die Bedeutung dieser Fälle. Weichert hat im Fall der ersten aufgetauchten Daten-CD Strafanzeige erstattet. Die deutsche Polizei ermittelt in beiden Fällen.
ORF.at: Herr Weichert, welches Ausmaß hat der aktuelle Skandal um illegalen Datenhandel?
Weichert: Die neu aufgetauchten sechs Millionen Datensätze kommen aus verschiedenen Quellen. Es gibt darunter Kunden der Süddeutschen Klassenlotterie, auch der Norddeutschen Klassenlotterie und des Anbieters Lottoteam in Köln. Viele Daten stammen aus dem Glücksspielbereich, aber auch aus der Kundenakquise von Telefonkonzernen und Zeitschriftenabonnement-Verkäufern.
Dabei handelt es sich zum Teil um separate Datenbanken, aber auch um Excel-Dateien. In vier Millionen dieser Datensätze sind auch die Kontodaten der betroffenen Bürger vermerkt. Name, Adresse und Geburtsdatum sind in fast allen Datensätzen vorhanden. Teilweise wurde aber auch das Verhalten der Personen gegenüber den Callcenter-Agenten vermerkt.
Interessant ist, dass in einigen Datenbanken nach Alter selektierte Bestände zu finden waren. Dies betrifft die Geburtsjahrgänge von 1930 bis 1950.
Das heißt, die Callcenter-Agenten gehen gezielt Senioren an.
Weichert: Das ist zu vermuten. Senioren kennen sich mit Internet- und Telefongeschäften nicht so gut aus und haben besonderen Kontaktbedarf. Erst gestern hat uns ein 85-jähriger Mann besucht, dem ein Vertrag für Online-Spiele angedreht worden war. Der hat gar nicht gewusst, was das Internet ist.
Warum werden plötzlich so viele Fälle von illegalem Datenhandel bekannt?
Weichert: Die Nachrichtenbranche steckt derzeit im Sommerloch. Dadurch widmen die Medien diesen Fällen die gebührende Aufmerksamkeit. Immerhin ist es der erste Fall, bei dem wir konkrete Datensätze in die Hand bekommen haben, mit denen wir den illegalen Datenhandel beweisen können.
Die mediale Resonanz hat uns geholfen, denn dadurch haben sich einige Informanten getraut, Beweise zu liefern.
Besonders neu ist dieser Handel mit Kundendaten aber nicht.
Weichert: Nein, aber in letzter Zeit ist eine kritische Masse überschritten worden. In den letzten Jahren haben die Beschwerden immer mehr zugenommen. Im Frühjahr dieses Jahres hat es schon einige Spitzen gegeben, aber wir hatten bisher keine Originaldatenbestände, mit denen wir das untermauern konnten.
Was unterscheidet eigentlich die illegalen Daten-Dealer von den großen Adresshändlern?
Weichert: Die Grenzen sind da durchaus fließend. Ich beschäftige mich seit 15 Jahren mit diesem Thema, und es ist immer wieder vorgekommen, dass auch große Anbieter illegale Aktivitäten entwickelt haben. Von der Größe würde ich in diesem Bereich nicht auf die Seriosität schließen.
Die großen Unternehmen sind aber bemüht, ihre Reputation zu verteidigen. Das ist für sie ökonomisch sinnvoll. Bei den kleinen Klitschen ist das nicht der Fall. Ich glaube, dass wir jetzt ein reinigendes Gewitter erleben und nun viele dieser Unternehmen vom illegalen Datenhandel Abstand nehmen werden.
Wer sind die Kunden dieser Grauzonen-Callcenter?
Weichert: Es sind ganz offensichtlich Unternehmen aus dem Glücksspielbereich, Telekomfirmen, Zeitschriftenvertriebe.
Ist der illegale Adresshandel ein internationales Problem?
Weichert: Außerhalb des deutschsprachigen Raums gibt es kaum Überschneidungen. Wir haben immer wieder mit Unternehmen zu tun, die ihren Sitz in der Schweiz, in Liechtenstein oder in Österreich haben und versuchen, die Nichterreichbarkeit von Deutschland aus auszunutzen. Österreich spielt aber immer weniger eine Rolle, weil es innerhalb der EU immer schwieriger wird, sich der rechtlichen Verfolgung zu entziehen.
Welche Gegenmaßnahmen empfehlen Sie dem Gesetzgeber?
Weichert: Wir Datenschützer kämpfen seit Jahrzehnten auf EU-Ebene dafür, dass Werbung über Kanäle wie Telefon und E-Mail nur noch auf Basis von Einwilligung laufen darf. Da ist dieser Skandal natürlich Wasser auf unsere Mühlen. Außerdem sollten telefonisch oder online abgeschlossene Verträge nur mit schriftlicher Bestätigung gültig sein.
Die Lage in Österreich:
"Cold Calls sind laut Fernmeldegesetz auch in Österreich verboten", sagt Harald Glatz, Konsumentenschützer bei der Arbeiterkammer Wien. Wer einen unerwünschten Telefonmarketing-Anruf erhalte, sollte nicht darauf eingehen, sondern im Zweifelsfall die Nummer eruieren und sich an die AK wenden.
"In unseren Forderungen an die zukünftige Regierung findet sich auch jene, dass Verträge, die im Zuge unerbetener Werbung wie dem Cold Calling abgeschlossen werden, prinzipiell nichtig sein sollten", so Glatz zu ORF.at.
Auch in Österreich müssen via Telefon oder Internet geschlossene Verträge nicht vom Kunden schriftlich bestätigt werden. Dafür gibt es Rücktrittsfristen. Beim Kauf von Waren beträgt die Rücktrittsfrist sieben Tage. Details zu Fragen des Fernabsatzrechts hat die AK auf einer eigenen Website gesammelt und leicht verständlich aufbereitet.
Was halten Sie von dem Vorschlag deutscher Kriminalbeamter, eine Datenschutzpolizei einzusetzen?
Weichert: Der Vorschlag ist durchaus sinnvoll. Es wäre gut, besondere Ermittlungsbeamte in diesem Bereich zu haben, weil die Professionalität und die Ausstattung von Bundesland zu Bundesland sehr verschieden ist.
In Schleswig-Holstein sind wir technisch sehr gut aufgestellt. Andere Datenschutzzentralen beschäftigen sich hauptsächlich mit den juristischen Aspekten und könnten mit zugespielten Daten-CDs zunächst technisch wenig anfangen.
Hat der Staat mit seinen Vorhaben wie der verdachtsunabhängigen Vorratsspeicherung von Telefonie- und Internet-Verbindungsdaten überhaupt noch die moralische Kraft, glaubwürdig etwas gegen illegale Datenhändler unternehmen zu können?
Weichert: Der deutsche Staat ist ja kein homogenes Gebilde. Auch das ULD SH ist Bestandteil des Staates. Politische Akteure wie Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble [CDU] und Bundesjustizministerin Brigitte Zypries [SPD] sind einerseits für Verbraucherschutz zuständig, andererseits vermitteln überzogene Initiativen für mehr sicherheitsbehördliche Kompetenzen den Eindruck, dass Private mit einem anderen Maß gemessen werden als die Sicherheitsbehörden.
Das hindert mich aber nicht daran, konstruktive Vorschläge von Herrn Schäuble oder Frau Zypries im Bereich des Datenschutzes aufzugreifen und zu unterstützen.
(futurezone | Günter Hack)