Die Mauer des Schweigens um ACTA

25.08.2008

50 Organisationen aus allen Kontinenten fordern die sofortige Offenlegung des Geheimabkommens gegen Produktpiraterie. Aids-Hilfe-Organisationen von Malaysia bis Peru fürchten um die Versorgung der Entwicklungsländer mit billigen Generika, Datenschützer warnen vor einer Totalüberwachung des Internets.

"Wir fordern die Verhandler des Anti-Counterfeiting Trade Agreement [ACTA] dazu auf, den Entwurf des Abkommens sofort öffentlich zu machen, wie alle Diskussionspapiere, bevor weiterverhandelt wird." Das betreffe speziell jene Passagen des Vertragswerks, für die noch kein Entwurftext vorliege.

Das fordert eine Allianz von 50 Organisationen aus allen fünf Kontinenten in einem offenen Brief an jene Staaten, die seit knapp einem Jahr über das bis heute geheim gehaltene Abkommen gegen Produktpiraterie verhandeln.

Die an ACTA Beteiligten

Initiiert wurde ACTA, das außerhalb eigentlich dafür zuständiger Gremien wie der Welthandelsorganisation [WTO] und der WIPO [World Intellectual Property Organization] steht, von den USA, Frankreich und anderen EU-Staaten sowie Japan und Australien.

Kick-off war auf dem G-7-Treffen vor einem Jahr.

Wie in Fällen üblich, in denen wichtige EU-Staaten auf bi- oder multilateraler Ebene internationale Abkommen verhandeln, hat sich dann die EU-Kommission eingeschaltet.

Allianz der Kritiker

Zusätzlich offengelegt werden solle sowohl die Agenda dieses Abkommens wie auch die Liste der Verhandlungsteilnehmer, fordert die Allianz der Kritiker, die unterschiedlichsten Organisationen angehören.

Das Spektrum reicht von Konsumentenschützern und Bürgerrechtlern in Holland, Südkorea und den USA bis zu Aids-Hilfe-Gruppen aus Malaysia, Indien, Peru und Nigeria.

Das sagen US-Internet-Provider

Davor hatten sich in den USA bereits die Fachverbände von Internet-Providern samt Branchengrößen wie AT&T, Amazon, eBay, Yahoo und anderen Internet-basierten Unternehmen gegen die Art und Weise ausgesprochen, was und wie hier verhandelt wird.

Auch in Australien war das in der vergangenen Woche sowohl von den Bürgerrechtlern Electronic Frontiers Australia wie seitens der Assoziation der Internet-Industrie stark kritisiert worden.

Generika und Hilfspolizisten

Alle der oben angeführten Gruppen haben eines gemeinsam: Sie haben allen Grund zur Sorge, dass ihre Positionen durch dieses Abkommen massiv verschlechtert werden.

Während die Aids-Hilfe-Gruppen befürchten, dass es Entwicklungsländer damit unmöglich gemacht werden soll, an billige Generika zu kommen, sehen sich die Internet-Provider der Aussicht gegenüber, durch ACTA zu Hilfspolizisten der "Rechteinhaber" zu werden.

Sarkozy

In Frankreich versucht die Regierung von Präsident Nicolas Sarkozy gerade, ein Gesetz durchzubringen, das eine vollständige Überwachung des Internet-Verkehrs durch die Provider voraussetzt.

Bei drei Verstößen gegen Urheberrechte sollen die Netzbetreiber gezwungen werden, den Internet-Zugang des betreffenden Kunden zu sperren.

Das Telekompaket der EU

Frappierend ähnliche Passagen fanden sich auch im Telekompaket der EU, das am 2. September im Plenum des EU-Parlaments diskutiert wird.

Ein Positionspapier des Bundes der Deutschen Industrie [BDI], das ORF.at vorliegt, tendiert in dieselbe Richtung. Außer einem ACTA-Diskussionspapier, datiert Ende 2007, das offenbar ganz am Anfang der Verhandlungen stand, ist bisher nichts vom tatsächlichen Inhalt des Abkommens bekannt.

Parlamentarische Anfrage

Seitens der EU-Kommission wurde regelmäßig wie stereotyp versichert, es sei noch kein Abkommenstext vorhanden, auch alle anderen Beteiligten schweigen sich nachhaltig aus.

In Österreich wurde eine parlamentarische Anfrage des Abgeordneten Johann Maier an das Justizministerium mit der Auskunft beantwortet, dass bei ACTA dass Wirtschaftsministerium federführend sei.

Die Mauer des Schweigens

ORF.at hat im Wirtschaftsministerium umgehend und mehrfach nachgefragt, was in dem Abkommmen, das nach Angaben der Beteiligten noch heuer beschlossen werden soll, denn eigentlich enthalten sei.

Eine Antwort des Wirtschaftsministeriums blieb bis dato aus, auf Anfragen an die EU-Kommission, die österreichische Industriellenvereinigung, den Bund Deutscher Industrie, den EU-Datenschutzbeauftragten Peter Hustinx und EU-Ombudsmann Nikiforos Diamandouros gab es ebenfalls keine Reaktion.

Parallele Passagierdaten

Dass die Mauer des Schweigens um ACTA so lange hält, erinnert an einen anderen internationalen Vertrag. Im Fall des bis heute umstrittenen Abkommens über die Weitergabe von EU-Flugpassagierdaten an die USA war 15 Monate lang hinter verschlossenen Türen verhandelt worden.

Erst als das Abkommen unterschriftsreif war, wurde es der Öffentlichkeit im Frühjahr 2003 präsentiert, sein Inhalt aber löste einen Aufschrei quer durch Europa aus.

ACTA-Chronologie

(futurezone | Erich Moechel)