"Hijacking" des Telekompakets

27.08.2008

Bei einem von der Konservativen Fraktion veranstalteten Seminar zum umstrittenen EU-Telekompaket hat das Gros der Referenten Internet-Überwachung und -Sperren zum Schutz geistigen Eigentums abgelehnt. Die Richtliniennovelle wird am Dienstag im Plenum des EU-Parlaments diskutiert.

Knapp eine Woche bevor das Telekompaket im Plenum des EU-Parlaments debattiert wird, fand am Mittwoch ebendort ein Seminar zum Thema statt.

Geladen hatte der schwedische Parlamentarier Christofer Fjellner von der konservativen Fraktion [PPE]. Das umfassende Novellierungspaket soll drei ältere EU-Richtlinien zum Thema "elektronische Kommunikation" auf den neuesten Strand bringen. Doch dabei blieb es nicht.

Filtern und überwachen

Die Änderungsvorschläge einer Reihe von Abgeordneten auf Ausschussebene enthielten die Verpflichtung für Zugangsanbieter, zum Schutz "geistigen Eigentums" den gesamten Internet-Verkehr ihrer Kunden zu filtern und zu überwachen.

Dahinter stehen die mächtigen Lobbies der europäischen Kultur- und Medienindustrien, die französische EU-Ratspräsidentschaft unter Nicolas Sarkozy macht ebenfalls Druck.

"Three Strikes Out"

Bekanntlich ist Sarkozy, an dessen Hochzeitsfeier die Besitzer aller fünf großen Medienhäuser Frankreichs teilgenommen hatten, dabei, ein derartiges Gesetz in Frankreich durch die Instanzen zu schleusen.

Das Gesetz sieht die Schaffung einer eigenen Internet-Überwachungsbehörde namen HADOPI vor. Bei drei Verstößen gegen Urheberrechte kann HADOPI veranlassen, dass der Provider den Anschluss des betreffenden Kunden sperrt.

Das Gesetz wurde europaweit als "Three Strikes Out" bekannt, also: "Eins zwei, drei - Internet abgedreht".

Gesetze und Konformität

In einem der 30 Änderungsvorschläge, die den Innenausschuss Anfang Juli passierten, nämlich Kompromisszusatz 6, ist von "gesetzeskonformen Inhalten" die Rede, indirekt werden die Netzbetreiber zur Kooperation verpflichtet, um "legale Inhalte zu fördern".

Das impliziert vollständige Überwachung, wie die Netzbetreiber zwischen legalen und illegalen Inhalten unterscheiden sollen, wird hingegen nicht erwähnt.

Die Skepsis

Dementsprechend war am Mittwoch der Tenor unter den geladenen Experten.

Mit den Ausnahmen der industrienahen Sprecher, etwa jenem des französischen Unterhaltungskonzerns Vivendi, der vor einem bevorstehenden Zusammenbruch der Kulturproduktion durch Internet-Piraterie warnte, zeigten sich die Anwesenden durch die Bank skeptisch.

"Hijacking" der Content-Industrie

Nuria Rodriguez Murillo, Rechtsexpertin des europäischen Dachverbandes der Konsumentenschützer [BEUC] sprach wörtlich von "Hijacking" des Telekompakets durch die Content-Industrie und wies darauf hin, dass derartige Überwachungsmaßnahmen auf einfache Weise technisch umgangen werden könnten.

Gegen organisierte Kriminelle helfe eine derartige Vorgangsweise also nicht.

Am Beispiel USA

In Europa würden mit diesem Teil des Telekompakets gerade Maßnahmen diskutiert, die in den USA jahrelang bestünden und nichts gebracht hätten, sagte Eddan Katz von der Electronic Frontier Foundation. Die "Piraterie" habe in den USA dadurch nicht abgenommen, im Gegenteil.

Überwiegend war die Ansicht, dass alle auf Kommunikationsinhalte bezogenen Änderungsvorschläge [Amendments] in einem derartigen Gesetzespaket zum Telekomsektor überhaupt fehl am Platze seien.

"Internet-Polizeistaat"

"Alle Content-orientierten Amendments gehören raus aus dem Paket" sagte die Abgeordnete Eva Lichtenberger [Grüne].

Es stehe wohl nicht dafür, einen "Internet-Polizeistaat" einzurichten, der erst wieder nicht in der Lage sei, organisierte Kriminelle zu erwischen. Technisch weniger erfahrene und vor allem sehr junge Benutzer seien zudem damit überfordert, festzustellen, welche Downloads nun legal und welche illegal seien.

Künstler und Contents

Die Content-Industrie habe "den Zug verpasst", was die Distribution ihrer Produkte angehe, sagte Lichtenberger.

Den Künstlern selbst sei durch eine derartige Vorgangsweise ebenfalls nicht geholfen. Vielmehr angesagt sei es, in Zeiten der einfachen, technischen Reproduzierbarkeit von digitalen Inhalten, neue Modelle zu finden, um die Künstler zu remunerieren.

Wie es nun weitergeht

Am kommmenden Dienstag wird das Telekompaket im Plenum des EU-Parlaments diskutiert. Was die Lobbyarbeit der Kultur- und Medienindustrie angeht - im davon inspirierten Änderungsvorschlag eines Abgeordneten war sogar der Einsatz von Schadsoftware gegen "Piraterie" die Rede gewesen - so weiß auch der Veranstalter des Seminars zum Telekompaket ein Lied zu singen.

Im Vorfeld der Veranstaltung habe er mehrfach Telefonate mit der Aufforderung erhalten, das Seminar schlicht abzusagen, sagte Fjellner.

(Futurezone | Erich Moechel)