"Die Angst vor dem Unbekannten"
Joichi Ito, Entrepreneur und Creative-Commons-Geschäftsführer, hat das Symposium der diesjährigen Ars Electronica, "A New Cultural Economy", kuratiert. ORF.at befragte Ito zur Kultur des Teilens, ihrer Bedrohung durch die traditionelle Medienindustrie und den Grundlagen einer neuen kulturellen Ökonomie.
"A New Cultural Economy" lautet der Titel der diesjährigen Ars Electronica. Beim Festivalsymposium, das am Freitag und Samstag im Linzer Brucknerhaus stattfindet, loten Ökonomen, Wissenschaftler und Künstler die Grenzen des geistigen Eigentums im Zeitalter digitaler Medien aus und erörtern Visionen und Modelle einer neuer kulturellen Ökonomie.
Kuratiert wurde das Symposium von "Joi" Ito, der auch Geschäftsführer der Urheberrechtsinitiative Creative Commons ist, die sich für einen offenen Zugang zu Informationen und kulturellen Gütern einsetzt.
Es sei wichtig, die wirtschaftlichen Aspekte der durch Computer und Internet entstandenen neuen Kultur des Teilens und der Zusammenarbeit zu untersuchen, denn nur so könnten politische und rechtliche Problemstellungen gelöst werden, meint Ito im E-Mail-Interview mit ORF.at.
Dass die traditionelle Medienindustrie auf eine Verschärfung von Urheberrechtsgesetzen drängt und den Schutz geistigen Eigentums forciert, sei auch die Angst vor dem Unbekannten, so Ito: "Wir bemühen uns um eine Zusammenarbeit und versuchen, hybride Modelle zu entwickeln."
Joichi Ito
Zur Person:
Joichi Ito ist Entrepreneur, Risikokapitalgeber und Geschäftsführer der Urheberrechtsinitiative Creative Commons.
Er hat zahlreiche Internet-Unternehmen, darunter Flickr, Technorati, Twitter, last.fm und Six Apart, beraten oder in sie investiert. Ito sitzt auch im Direktorium zahlreicher Non-Profit-Organisationen, darunter die Mozilla Foundation, Global Voices und die Menschenrechtsgruppe WITNESS.
ORF.at: Warum brauchen wir eine neue kulturelle Ökonomie?
Joicho Ito: Das Internet und andere Entwicklungen in der Computer- und Kommunikationstechnologie haben eine neue Art der Kultur ermöglicht, an der jeder aktiv teilnehmen kann. Das beste Beispiel dafür ist die Wikipedia. Die Möglichkeiten, die uns das durch diese Technologien veränderte Umfeld bietet, gehen jedoch viel weiter.
Wir diskutieren dieses Potenzial seit Jahren und haben viele technische Fragen gelöst. Wir stehen jedoch auch vor politischen und rechtlichen Problemen. Um sie zu lösen, ist es wichtig, die wirtschaftlichen Faktoren der Kultur des Teilens zu untersuchen.
ORF.at: Welche Regeln könnten einer Ökonomie des Teilens zugrunde liegen?
Ito: Einer der Faktoren, die zum Erfolg des Internets geführt haben, sind offene und interoperable technische Spezifikationen. Das wird von den Leuten angenommen. Wir müssen das technische, rechtliche und gesellschaftliche Verständnis des Teilens und der Zusammenarbeit entwickeln. Eine Grundlage dafür bietet Creative Commons.
ORF.at: Wie könnten neue Formen des geistigen Eigentums aussehen?
Ito: Copyright und geistiges Eigentum müssen sich weiterentwickeln, aber es braucht Zeit, bis die rechtlichen Grundlagen dafür geschaffen sind.
Während Regierungen die rechtlichen Rahmenbedingungen schaffen müssen, arbeiten Freie-Software-, Open-Source- und Creative-Commons-Communitys daran, Lösungen zu entwickeln, die unter den bestehenden gesetzlichen Rahmenbedingungen genutzt werden können.
Wir müssen die Transaktionskosten für die kulturelle Teilnahme senken. Inhalte sollen ohne zeitaufwendige Prüfung geteilt und genutzt werden können. Dazu müssen wir Standards schaffen. Damit können maschinell lesbare Lizenzen angeboten und urheberrechtsbewusste Tools ermöglicht werden.
Auch wenn derzeit viel über geistiges Eigentum von Individuen und Unternehmen gesprochen wird, gewinnt geistiges Eigentum, das sich im gemeinschaftlichen Besitz befindet, zunehmend an Bedeutung. Der Schutz dieser Art des geistigen Eigentums wird sowohl wirtschaftlich als auch kulturell immer wichtiger.
ORF.at: Lobbyisten der Medienindustrie verteidigen die traditionellen Geschäftsmodelle sehr vehement und rufen nach strengeren Urheberrechtsgesetzen und einem besseren Schutz geistigen Eigentums. Ist die Kultur des Teilens dadurch gefährdet?
Ito: Ich glaube, sie ist durch einige sehr spezfische Forderungen bedroht, die diese Lobbyistengruppen durchsetzen wollen. Manche Gesetze machen es schwierig, Informationen und kulturelle Güter zu teilen und zu nutzen, und behindern die Entwicklung entsprechender Werkzeuge.
Wenn man in Betracht zieht, dass Copyright und geistiges Eigentum ja eigentlich Innovationen fördern sollen, dann sind einige Gesetze auch schlicht unvernünftig. Ich meine etwa unangemessen lange Schutzfristen oder Bestimmungen, die Digital Rights Management [DRM] betreffen.
Einige Aspekte traditioneller Geschäftsmodelle in der Medienindustrie sind durch die Kultur des Teilens unter Druck geraten. Vieles ist aber auch ein Missverständnis, und einiges ist sicherlich die Angst vor dem Unbekannten. Wir bemühen uns um eine Zusammenarbeit und versuchen, hybride Modelle zu entwickeln, um Fortschritte zu erzielen.
Ich möchte aber klarstellen, dass Open-Source-, Freie-Software- und Creative-Commons-Communitys nicht gegen geistiges Eigentum und Copyright-Gesetze sind. Wir verlangen nur, dass die Nutzer das Recht haben sollen zu wählen. Wir verlangen nicht, dass Copyright-Gesetze abgeschafft werden sollen. Damit gemeinschaftliches Eigentum offen sein kann, muss es auch geschützt sein.
ORF.at: Was kann die Politik tun, um neue Möglichkeiten der Produktion und des Gebrauchs von Information zu unterstützen?
Ito: Regierungen sollten alle Arten von Information und Kultur, die von ihnen gefördert werden, frei zugänglich machen.
ORF.at: Sie haben auch viele Internet-Unternehmen beraten und finanziert. Was macht ein erfolgreiches Internet-Unternehmen aus?
Ito: Teil der globalen Ökologie von Diensten zu sein, die sich untereinander verbinden, vernetzen und austauschen. David Weinberger, der auch beim Symposium sprechen wird, umschreibt das mit dem Satz: "Small pieces loosely joined" [kleine Teile, die locker miteinander verbunden sind, Anm.]. Das trifft die Sache sehr genau.
ORF.at: Sie haben im April von Lawrence Lessig die Geschäftsführung von Creative Commons übernommen. Wie geht es mit Creative Commons weiter?
Ito: Wir müssen auch Hersteller und Diensteanbieter dazu bringen, Creative Commons in ihre Angebote zu integrieren. Wir müssen mehr Werbung für Creative Commons machen und die Anpassung unserer Lizenzen an nationale rechtliche Rahmenbedingungen vorantreiben. Bisher wurden CC-Lizenzen an die nationale Rechtslage von 47 Ländern angepasst.
Vor kurzem haben wir begonnen, verstärkt mit Bildungsinitiativen und der wissenschaftlichen Community zusammenzuarbeiten - und die Initiativen ccLearn und Science Commons. Beide Projekte entwickeln sich sehr gut. Es ist sehr wichtig, dass Creative Commons auch über das Feld der Kultur hinaus wahrgenommen wird.
"A New Cultural Economy"
Bei dem von Ito kuratierten Symposium "A New Cultural Economy", das am 5. und 6. September im Rahmen der Ars Electronica im Linzer Brucknerhaus stattfindet, sind unter anderen der Ökonom Yochai Benkler ["The Wealth of Networks"], der US-Autor David Weinberger ["Cluetrain Manifesto", "Small Pieces Loosely Joined"] und der chinesische Blogging-Pionier Isaac Mao zu Gast.
Zum Thema:
~ Link: "Wer nicht offen ist, stirbt aus" (../http://www.fuzo-archiv.at/?id=301836v2) ~
(futurezone | Patrick Dax)