Freie Software: Überleben im Mainstream
In einer Zeit, in der selbst Microsoft das Hohe Lied von Open Source anstimmt, scheint es der freien Software an Gegnern und auch an Motivation zu fehlen. ORF.at sprach mit dem FSFE-Rechtsexperten Shane Martin Coughlan über Microsoft, Google Chrome und die neuen Herausforderungen für freie Entwickler.
Auf Einladung der Fellowship der Free Software Foundation Europe und der quintessenz war der Rechtsexperte Coughlan kürzlich zu Gast in Wien, um über die Professionalisierung der freien Software zu referieren.
ORF.at nutzte die Gelegenheit, sich mit Coughlan über Googles neuen Browser Chrome und Microsofts Bündnis mit Novell zu unterhalten. Die größte Herausforderung für die freie Software-Szene sieht Coughlan allerdings in der Professionalisierung der wichtigsten Projekte.
Für ihn ist die freie Software im Mainstream der Gesellschaft angekommen. Das erfordere neue Strategien in der Produktion von Großprojekten wie dem Linux-Kernel und Apache.
Shane Martin Coughlan
ORF.at: Lassen Sie uns über ein aktuelles Beispiel sprechen. Kürzlich hat Google seinen neuen Browser Chrome veröffentlicht. Ist Chrome für Sie als FSFE-Mitglied ein positives oder ein negatives Beispiel für den Einsatz freier Software? Ist es ein Beispiel für die Professionalisierung freier Software?
Coughlan: Nur schnell vorab: "Professionalisierung" hat nichts damit zu tun, ob eine Software kommerziell eingesetzt wird oder nicht. Wenn ich über Professionalisierung spreche, dann meine ich damit vor allem die Einführung nachhaltiger Management-Methoden.
Es geht darum, nicht einfach nur drauflos zu programmieren, sondern auch die ablaufenden Prozesse zu verwalten. Es sollte in der freien Software-Szene auch Leute geben, die sich um Marketing und um die rechtlichen Aspekte kümmern.
Die freie Software arbeitet sich immer weiter in den Mainstream vor. Deshalb ist es notwendig, mehr Schichten in der Verwaltung einzuziehen. Was Google Chrome anbelangt, so finde ich, dass es ein sehr interessantes Beispiel für die Anwendung freier Software darstellt und dass es eine Anerkennung des Werts freier Software durch ein großes Unternehmen ist.
Chrome steht dabei als Projekt aber nicht allein. Google hat schon immer freie Software verwendet, also überrascht es nicht, dass sie weiterhin in Konzepte freier Software investieren. Google Chrome steht eher für den Wettbewerb im Internet. Es geht dabei weniger um den Code an sich als vielmehr darum, sich auf dem neuen Markt für Dienstleistungen zu positionieren.
Eines der wichtigsten Projekte der FSF[E] war die Einführung der GNU Public License [GPL] Version 3. Die soll unter anderem verhindern, dass sich Konzerne den Code freier Software-Projekte aneignen. Was passiert nun, wenn ich als Software-Entwickler Google nicht mag, meine Programme aber Teil eines Projekts von Google werden?
Coughlan: Man muss bei den Lizenzen Unterscheidungen treffen. Freie Software ist Software, die man nutzen, mit anderen teilen und verbessern kann. Aber es gibt hier verschiedene Ansätze. Einer davon ist der, den ich als "starkes Copyleft" bezeichnen würde, sprich, der Nutzer kann den Code verwenden, aber er muss auch den geänderten Code wieder unter den gleichen Bedingungen frei verfügbar machen.
Ein anderer Ansatz wäre das "schwache Copyleft", unter dem der Nutzer den Code nehmen kann, aber diesen durchaus mit anderen Komponenten kombinieren und unter anderen Bedingungen veröffentlichen darf. Ein Beispiel für den ersteren Ansatz wäre die GPL, eines für den zweiteren Ansatz wäre die LGPL. Dann gibt es noch die "Non-Copyleft-Lizenzen", wie die modifizierte BSD-Lizenz. Diese lassen den Nutzern die Freiheit, den unter ihnen veröffentlichten Code zu nutzen, zu untersuchen, zu teilen und zu verbessern, aber sie verpflichten ihn nicht darauf, die von ihm veränderte Software danach wieder frei zu veröffentlichen.
Letztendlich können sich die Programmierer dafür entscheiden, unter welcher Lizenz sie ihre Produkte veröffentlichen wollen. Viele von ihnen entscheiden sich für die GPL, den Ansatz des starken Copyleft. Was Chromium angeht, das Projekt hinter dem Chrome-Browser, so hat sich Google dazu entschlossen, die BSD-Lizenz zu verwenden. Das ist eine Non-Copyleft-Lizenz. Es gibt anderen Programmierern gewisse Freiheiten, aber verpflichtet sie nicht darauf, diese Freiheiten auch weiterhin zu gewähren. Das bedeutet, dass andere Nutzer den Code von Chromium nehmen und auch in proprietärer Software einsetzen können. Aber der Code von Chromium ist freie Software.
Die GPL ist eine zukunftssichere Lizenz, die Klarheit speziell in der Debatte um Patente schaffen soll. Ich habe hier eine Statistik, der zufolge ein Jahr nach Veröffentlichung der GPLv3 2.345 Projekte unter dieser Lizenz laufen - in den ersten sechs Monaten nach Einführung der GPLv3 lag die monatliche Wachstumsrate bei 20 Prozent. Das fand ich schon beeindruckend, bis mir ein Google-Mitarbeiter eine Mail schrieb, in der er darauf hinwies, dass auf Google Code bereits über 16.000 Projekte unter der GPLv3 laufen. Die GPLv3 gewinnt an Popularität, weil sie für starke Freiheiten steht und uns gut auf kommende Herausforderungen vorbereitet.
Sie sind derzeit auf Vortragsreise durch Europa und haben einen guten Überblick über die Entwicklerszene. Was ist derzeit die wichtigste Herausforderung an die Entwickler freier Software?
Coughlan: Dass sie im Mainstream angekommen ist. Laut der 2007 veröffentlichten UNU-Merit-Studie wird freie Software bis 2010 in 32 Prozent der IT-Dienstleistungen in der EU involviert sein. Diesen Schätzungen zufolge wird bis 2010 bis zu vier Prozent des Bruttoinlandsprodukts der EU mit freier Software erwirtschaftet werden. Diese Zahlen sind beachtlich.
Einige freie Software-Projekte sind mittlerweile für viele Firmen und andere Organisationen überlebenswichtig. Damit meine ich den Linux-Kernel und den Webserver Apache. Unsere wichtigste Aufgabe ist in dieser Situation, das Management und die Planung zu verbessern.
Wenn man überlebenswichtige Software produziert, wird es wichtig, mit festen Terminen zu arbeiten und sich rechtlich abzusichern. Wir brauchen eine neue Verwaltungsschicht, die die Verlässlichkeit dieser Prozesse sichert. Wir müssen uns zusammensetzen und uns fragen, wie wir diese Prozesse auf lange Sicht nachhaltig machen.
Wir haben hier gerade Wahlen. Was können Politiker tun, um die Entwickler freier Software zu unterstützen?
Coughlan: Früher haben viele Leute gedacht, dass freie Software nicht mit dem Konzept öffentlicher Ausschreibungen vereinbar sei. In Wirklichkeit hat freie Software sich sowohl im kommerziellen Umfeld als auch im öffentlichen Dienst bewährt.
Es wäre gut, wenn Politiker häufiger darauf bestehen würden, dass die IKT-Infrastruktur sich ihren Bedürfnissen anzupassen hat, anstatt den Vorgaben anderer Akteure im Markt. Sie sollten auch mehr auf Interoperabilität und Austauschbarkeit der Software-Komponenten achten. Das sollten die grundlegenden Voraussetzungen für eine fortschrittliche Gesellschaft sein.
Die Politik sollte der freien Software eine faire Chance im Wettbewerb einräumen. Das wäre der größte Gefallen, den sie der freien Software und den Bürgern tun können.
Wie die freie Software, so haben auch die Probleme um das "geistige Eigentum" die Mitte der Gesellschaft erreicht. Jeder, der im Netz Bilder, Videos und Texte veröffentlicht, ist davon betroffen.
Coughlan: Das sehe ich auch so. Als Koordinator der rechtlichen Aktivitäten der FSFE habe ich mit dem European Legal Network zu tun, einem Netzwerk von Rechtsexperten. Darin sind viele Interessensgruppen vertreten, etwa Firmen und gemeinnützige Projekte. Eigentlich sollte unsere Arbeit weithin ignoriert werden, weil sie schlicht und einfach langweilig ist.
Allerdings sind Rechtsprobleme in jüngster Zeit stark in den Vordergrund getreten. Der Grund dafür ist, dass die Kommunikation heute immer mehr über Computernetzwerke läuft. Sind die technischen Herausforderungen bewältigt, stehen gleich die rechtlichen Fragen an. Ich kümmere mich hauptsächlich um die rechtlichen Fragen rund um die Software-Entwicklung, aber es geht nun auch um die Frage nach der Kontrolle über die eigenen Daten in Netzwerken Dritter.
So wie sich unsere Gesellschaft entwickelt, hängen unsere alltäglichen Aktivitäten zunehmend davon ab, was andere uns zur Verfügung stellen. Das kann Software sein und auch Datendienste. Was die Software angeht, so garantiert die GPL die Freiheit. Was Datendienste angeht, so gibt es andere Lizenzen, die einen ähnlich hohen Grad an Sicherheit herstellen.
Beispiele dafür sind die Gnu Free Documentation License [GFDL] und andere Projekte wie Creative Commons.
Die werden aber nicht von allen verwendet, die im Netz publizieren.
Coughlan: Das Problem dabei ist, dass die Technologie das Rechtsverständnis weit überholt hat. Mir kommt es so vor, als ob das Rechtssystem von den modernen Informationstechnologien geradezu überfahren worden ist.
Vor 15 Jahren war an all das noch gar nicht zu denken. Jetzt stellt jedes Kind Texte und Bilder ins Internet, die eigentlich einer anderen Firma gehören. Wir arbeiten daran, schlüssige und einfache Antworten auf diese komplexen Probleme zu finden. Die freie Software spielt dabei eine Vorreiterrolle.
Die Lizenzen sind wohlbekannt, sie sind nicht schwer zu verstehen. Was die Software angeht, sind wir auf der sicheren Seite. Was die Daten angeht, so gibt es noch einiges zu tun. Die Leute haben die Wahl zwischen vielen verschiedenen Lizenzen und es wird sehr schnell sehr kompliziert.
Wenn man keinen Anwalt an der Seite hat, kann man da schnell Kopfschmerzen bekommen. Bei der freien Software hat es 25 Jahre gedauert, bis sie im Mainstream angekommen ist. Bei den freien Lizenzen für Inhalte wird es sicherlich schneller gehen, aber es dauert seine Zeit. Es ist aber sehr wichtig, sich um das Problem zu kümmern. Wir müssen dafür sorgen, dass unsere Inhalte von uns selbst kontrolliert werden, nicht von Dritten.
Sprechen Sie auch mit den Leuten von Creative Commons?
Coughlan: Ich treffe Mitglieder von Creative Commons regelmäßig auf Kongressen. Wir arbeiten zuweilen an sehr verschiedenen Projekten.
Während wir uns um Phänomene wie Lizenzregelungen für die Software-Produktion in Südostasien kümmern, arbeiten die Creative-Commons-Leute an Lizenzen für die Verbreitung von Fotografien.
Die grundlegende Herangehensweise ist aber sehr ähnlich. Viele freiwillige Helfer arbeiten auch in beiden Welten. Wir haben unsere Spezialisierungen, aber wir sind miteinander verbunden.
Welche Unterstützung würden Sie sich seitens der Gesellschaft wünschen?
Coughlan: Die beste Unterstützung für freie Software besteht schlicht und einfach darin, sie zu benutzen. Man braucht sich um freie Software nicht so liebevoll zu kümmern wie um ein Haustier. Was wir brauchen, sind gute Ideen, die sich auf unseren Alltag anwenden lassen.
Freie Software macht den Alltag einfacher, weil sie dabei hilft, Probleme zu lösen und man sich keine Gedanken darüber zu machen braucht, wenn man sie mit seinen Freunden teilt. Wenn man sich dann für ein Projekt interessiert, dann kann man auch daran mitarbeiten.
Wir haben den Punkt überschritten, an dem es darum gegangen sein mag, mit freier Software gegen etwas zu kämpfen. Die Projekte laufen aus sich heraus schon unglaublich gut. Es gibt weiterhin Herausforderungen rechtlicher Natur und Gegenwind von Firmen, die die Idee freier Software nicht mögen. Aber diese Probleme sollten nicht den Diskurs bestimmen.
Die Herausforderung durch bestimmte Firmen war aber auch ein wichtiger Treiber für die Motivation. Heute ist selbst Microsoft zumindest auf den ersten Blick auf Schmusekurs mit dem Konzept Open Source und schließt Abkommen mit Novell. Fehlt der Gegner?
Coughlan: Okay, die Antwort klingt jetzt arg politisch: ja und nein. Firmen wie Microsoft stellen manchmal sehr interessante Herausforderungen an die freie Software. Gerade das Abkommen, das Microsoft mit Novell geschlossen hat, wird von vielen als problematisch betrachtet.
Dabei handelt es sich um sehr komplexe rechtliche Probleme, die nicht einfach zu verstehen sind. Das Microsoft-Novell-Abkommen sieht auf den ersten Blick wie ein Erfolg für freie Software aus. Aus anderem Blickwinkel sieht es jedoch so aus, dass Microsoft andere freie Software-Projekte angreifen könnte, die nicht von dem Abkommen gedeckt sind. Aus rechtlicher Sicht gibt es da noch einige Bedenken.
Was das Tagesgeschäft angeht, so ist die Anzahl der vielen kleineren Konflikte zurückgegangen. Die Argumente, die von großen Firmen gegen freie Software vorgebracht werden, kreisen heute meistens um komplexe rechtliche Fragen. Es wäre übrigens wirklich ein Problem für die freie Software, wenn die Leute, die daran arbeiten, ihre Motivation wirklich nur aus dem Kampf gegen bestimmte Firmen ziehen würden.
Wir sind mittlerweile auch nicht mehr die kleinen Jungs, die aus einer Ecke heraus gegen eine Übermacht kämpfen. Wir sind Teil des Mainstreams. Wir sind diejenigen, die dafür sorgen, dass die Infrastruktur läuft. Die Motivation hat sich geändert und aus meiner Sicht noch interessanter geworden: Wir helfen dabei, die Welt am Laufen zu halten. Wie können wir dieser Aufgabe am besten gerecht werden? Die Leute, die schon länger dabei sind, fragen sich jetzt: ist es vorbei? Haben wir wirklich gewonnen?
Dabei geht es jetzt darum, die Gesellschaft besser zu machen. Das gibt uns neue Kraft. Unsere Arbeit betrifft jetzt alle. Bei meiner Arbeit treffe ich in ganz Europa gut motivierte Leute. Die Dynamik stimmt. Die neuen Herausforderungen sehe ich auf dem Gebiet der mobilen Geräte, der Optimierung des Codes und der Qualitätskontrolle. Nie war die Arbeit an freier Software so interessant wie heute. Und nie waren die Herausforderungen so groß. Wir haben nicht "gewonnen", weil es aus meiner Sicht nie ein Kampf gewesen ist.
(futurezone | Günter Hack)