Der Fan als Plattenfirma

10.09.2008

Auf der Online-Musikplattform Sellaband finanzieren Fans die Produktionen von Bands und Musikern und werden dafür an den Einnahmen beteiligt. ORF.at hat Unternehmensgründer Pim Betist zu Sellaband und Veränderungen im Musikgeschäft befragt.

Die polnische Sängerin Julia Marcell hat vor kurzem ihr erstes Album produziert. Bezahlt wurde die Produktion nicht von einer Plattenfirma, sondern von 625 Fans, die auf der Online-Musikplattform Sellaband gemeinsam die Kosten für die Aufnahmen aufbrachten.

Über Sellaband können Fans in die Produktionen von Musikern und Bands investieren. Im Gegenzug werden sie an den Einnahmen aus der Musik beteiligt. Der Mindesteinsatz beträgt zehn Dollar. Haben die "Believers", wie zahlende Fans auf Sellaband genannt werden, gemeinsam 50.000 Dollar für eine Band gesammelt, werden die Musiker ins Studio geschickt.

8.500 Bands und Musiker

13 Alben entstanden bisher über die im August 2006 gegründete Plattform, fast ein Dutzend weiterer Künstler hat die Produktionskosten für ein Album bereits zusammen. Die Einnahmen aus der Musik werden zu je einem Drittel zwischen Musikern, Fans und Sellaband geteilt. Heute tummeln sich rund 8.500 Bands auf Sellaband, die um die Aufmerksamkeit und die Unterstützung der "Believers" buhlen.

Insgesamt habe Sellaband bereits mehr als 2,5 Millionen Dollar von seinen Nutzern gesammelt, sagt Sellaband-Gründer Pim Betist, der am Montag bei der Konferenz "Mission Future" im Rahmen der Ars Electronica in Linz zu Gast war. Er sieht Sellaband als ein Modell für ein Musikunternehmen der Zukunft. Fans übernehmen die Aufgaben der Labels: Von der Auswahl der Musik bis hin zur Finanzierung der Produktionen.

Pim Betist

Mit dem Musikgeschäft hatte Betist vor der Gründung von Sellaband nichts zu tun. Er studierte Betriebswirtschaft und landete beim Ölmulti Royal Dutch Shell. Der Job langweilte den heute 30-Jährigen. Betist sah sich um Alternativen um und hatte die Idee zu Sellaband, das er gemeinsam mit dem Musikmanager Johan Vosmeijer und dem Internet-Spezialisten Dagmar Heijmans im August 2006 gründete.

ORF.at: Was hat Sie auf die Idee gebracht, Sellaband zu gründen?

Betist: Ich komme zwar nicht aus dem Musikgeschäft, habe mich aber immer sehr für Musik interessiert. Vor einigen Jahren sah ich, dass sich immer mehr Musiker auf der Online-Community MySpace präsentierten. Ich überlegte, was wohl passieren würde, wenn die Fans der Band Geld spenden würden. In Sendungen wie "Pop Idol" [Anm.: Britisches Vorbild für "Starmania", "American Idol" und "Deutschland sucht den Superstar"] versenden Tausende Leute SMS, um junge Künstler zu unterstützen, das ist auch nicht billig.

Mit dem Musikgeschäft ging es währenddessen weiter bergab. Die großen Labels entließen viele ihrer Künstler. Gleichzeitig suchten Hundertausende Musiker im Netz ihr Publikum. Fans wollten umgekehrt neue Musik kennenlernen. Daneben beteiligten sich im Web sehr viele Leute an der Kreation von Produkten. Sie entwickelten etwa bei Puma ihre eigenen Sneaker. Ich dachte, es sei eine gute Zeit, eine Plattform wie Sellaband zu gründen.

ORF.at: Sie bezeichnen Sellaband als die "Plattenfirma der Zukunft". Produktions- und Vertriebskosten von Musik haben sich durch digitale Technologien stark verringert. Werden Musiker in Zukunft überhaupt noch eine Plattenfirma brauchen?

Betist: Musiker werden immer eine Plattform brauchen, die dafür sorgt, dass sie wahrgenommen werden. Ich glaube, dass sie auch immer Unterstützung beim Marketing brauchen werden.

Wir verstehen uns als eine Art Trampolin für Künstler. Wenn Musiker es schaffen, über Sellaband 50.000 Dollar zu sammeln, um ein Album zu produzieren, werden sie auch von den großen Labels wahrgenommen und möglicherweise unter Vertrag genommen. Die investieren dann vielleicht 500.000 Dollar in die Band.

ORF.at: Inwieweit nehmen die Fans oder Sellaband auf die Produktionen Einfluss?

Betist: Die künstlerische Freiheit ist wahrscheinlich der wichtigste Aspekt bei Sellaband. Wir versuchen nicht, auf die Arbeit der Künstler einzuwirken. Es gibt eine Menge Reaktionen von den "Believers". Es bleibt aber immer den Künstlern überlassen, ob sie darauf eingehen oder nicht.

Es ist wichtig, den Künstlern diese Freiheiten einzuräumen. Nur so kann neue Musik entstehen. Wir vermitteln den Künstlern aber Zugang zu Produzenten, von deren Erfahrungen sie profitieren können.

Crowdfunding

"Crowdfunding" ["Schwarmfinanzierung"] - nennt sich das Prinzip, bei dem über das Netz Geld für unterschiedliche Zwecke gesammelt wird. Beispiele dafür gibt es viele. Über das US-Medienprojekt spot.us können etwa Journalisten Themen vorschlagen. Interessierte kommen dann für die Recherchekosten auf. Die Plattform catwalk genius ermöglicht es Modebegeisterten, sich am Erfolg junger Designer zu beteiligen. Der demokratische US-Präsidentschaftskandidat Barack Obama konnte über seine Website beträchtliche Spenden für seinen Wahlkampf lukrieren. Selbst Brauereien und Fußballklubs greifen heute auf Crowdfunding zurück. Auch von Sellaband gibt es bereits einige Klone, darunter Slicethepie und Bandstocks.

ORF.at: Wie verdienen Sie in einer Zeit, in der Musik weitgehend frei im Netz verfügbar ist, Geld?

Betist: Wir setzen nicht nur auf ein Pferd und haben eine Reihe von Einnahmequellen. Rund die Hälfte unserer Umsätze generieren wir aus dem Verkauf unserer Musik. Mittlerweile können die Alben auch auf Amazon, iTunes, eMusic und Rhapsody heruntergeladen werden. Die andere Hälfte kommt aus Werbeeinnahmen von der Website und dem Verkauf von Lizenzen. Wir veranstalten auch Partys und verdienen so Geld über Sponsoren.

Wir verdienen aber auch an den Zinsen. Das von den Fans zur Verfügung gestellte Geld wird erst verwendet, wenn eine Band 50.000 Dollar erreicht hat. Insgesamt haben wir bisher 2,5 Millionen Dollar gesammelt.

ORF.at: Wie sieht es mit den Einnahmen der Musiker aus?

Betist: Bei uns verdienen die Künstler Geld. Nemesea, die erste Band, mit der wir ein Album produziert haben, hat bereits zuvor eine CD über eine Plattenfirma veröffentlicht.

An dieser CD haben sie nichts verdient, weil sie Vorschüsse zurückzahlen mussten. Mit ihrem zweiten bei uns produziertem Album haben sie bereits rund 5.000 Dollar verdient.

ORF.at: Traditionelle Labels wollen künftig auch an den Konzert- und Merchandising-Einnahmen ihrer Künstler mitverdienen. Haben Sie ähnliche Pläne?

Betist: Ich glaube, dass die sogenannten 360-Grad-Verträge, die Plattenfirmen Künstlern derzeit anbieten, nicht sehr sinnvoll sind. Wenn ich zu einem Fleischhauer gehe, will ich Fleisch kaufen. Wenn ich Käse will, gehe ich in den Käseladen. Was die Labels machen, ist so, als würde ein Fleischhauer plötzlich ein Supermarkt sein wollen. Man braucht sowohl im Live-Geschäft als auch im Merchandising-Geschäft Erfahrungen, professionelle Herangehensweisen sind notwendig. Ich rate Künstlern davon ab, solche Verträge zu unterzeichnen.

Wir verdienen an jenen Einnahmen mit, zu denen wir auch tatsächlich etwas beitragen. Derzeit können wir das nur bei der Aufnahme des Albums. Deshalb konzentrieren wir uns vorerst voll und ganz darauf.

Marillion und Neubauten als Pioniere

Das Modell, die Labels zu umgehen und stattdessen mit Hilfe neuer Technologien die Fans zur Finanzierung neuer Produktionen zu mobilisieren, wird auch von zahlreichen etablierten Bands angewandt. Die britischen Rock-Veteranen Marillion verzichten bereits seit 1996 auf eine Zusammenarbeit mit der Musikindustrie und finanzieren ihre Produktionen ausschließlich aus den Zuwendungen ihres Publikums.

Die Berliner Einstürzenden Neubauten lassen sich bereits seit Jahren ihre Produktionen über ein Subskriptionsverfahren von ihren Fans bezahlen. Diese bekommen dafür über eine Webcam Einblick in die Studioaufnahmen sowie CDs, DVDs und exklusive Downloads.

ORF.at: Die Tonträgerindustrie geht scharf gegen nichtlizenzierte Downloads in Online-Tauschbörsen vor. Wie stehen Sie dazu?

Betist: Wir stellen von jedem Album, das wir veröffentlichen, drei Songs ohne Kopierschutzbeschränkungen und kostenlos zum Download bereit. Filesharing kann dazu beitragen, dass Musiker bekannt werden und ein breiteres Publikum finden.

Würden wir alle Downloads kostenlos anbieten, hätten wir sicher ein Problem. Wir sehen daher auch, dass Filesharing eine Bedrohung für die Musikindustrie darstellt.

ORF.at: Andere neue Labelmodelle, wie etwa Magnatune, stellen ihre Musik unter nichtkommerziellen Creative-Commons-Lizenzen zur Verfügung. Sind solche Lizenzen auch für Sellaband eine Option? Auch, um etwa Nutzer zu Remixes zu ermuntern?

Betist: Wir haben uns mit freien Lizenzen bisher noch nicht beschäftigt. Das ist sicherlich eine Richtung, in die wir denken könnten. Derzeit stellen wir, wie bereits erwähnt, drei Songs zur nichtkommerziellen Verwendung kostenlos zur Verfügung.

Das Remixen von Songs unserer Musiker findet bereits statt. Maitreya, ein Hip-Hop-Musiker, hat etwa mit zahlreichen Sellaband-Künstlern zusammengearbeitet und Remixe angefertigt oder ihre Stimmen in seinen Tracks verwendet. Einer der Produzenten seines Albums kommt aus der Sellaband-Community.

Viele Leute sind als Künstler auf Sellaband vertreten, sie unterstützen aber auch andere Sellaband-Musiker. Es gibt einen regen Austausch unter Musikern und Nutzern. Es gibt auch Leute, die Videos zu den Songs der Künstler machen. Manche Bands nützen auch einen Teil ihres Produktionsetats, um Videos von Nutzern aus der Sellaband-Community machen zu lassen.

ORF.at: Sie haben bereits einige Nachahmer im Netz gefunden. Was sagen Sie denen?

Betist: Es gibt mittlerweile fast zehn Dienste, die uns kopieren oder unser Modell geringfügig adaptiert haben. Es freut mich, wenn sich Leute von unserem Erfolg inspirieren lassen. Der Markt ist groß genug.

ORF.at: Wollen Sie das Sellaband-Modell auf andere Gebiete - etwa Film - ausdehnen?

Betist: Ich würde lügen, wenn ich sage, dass ich nicht darüber nachdenke. Aber ich würde diese Gedanken gerne noch für mich behalten.

Weitere Artikel zur Ars Electronica:

(futurezone | Patrick Dax)