Telekompaket: EU unter Zeitdruck
Was im vergangenen November als Telecom Review, ein umfassender Reformvorschlag der EU-Kommission für die Telekomregulierung, begann, ist mittlerweile zum umstrittenen Telekompaket geworden. Doch den EU-Institutionen läuft angesichts der Europawahl 2009 allmählich die Zeit davon.
Kernpunkte des EU-Vorschlags waren ursprünglich effizientere Regulierung, die Stärkung des Binnenmarkts und des Wettbewerbs, mehr Rechte für Konsumenten und die Schaffung einer europäischen Telekommarktbehörde. Während einige der ursprünglichen Vorschläge längst vom Tisch sind, kamen zahlreiche neue dazu.
Von Regulierungsfragen zum Urheberrecht
Diskutiert werden mittlerweile zahlreiche Änderungsvorschläge, die mit der reinen Strukturierung der Telekombranche nur noch wenig zu tun haben, sondern viel tiefer gehen: Datenschützer und Bürgerrechtsbewegungen sehen gar das freie Internet in Gefahr, sollten Änderungsvorschläge wie jene des konservativen Abgeordneten Malcolm Harbour angenommen werden.
Diese Änderungen würden, so befürchten Kritiker wie die Initiativen Netzpolitik.org aus Deutschland und La Quadrature du Net aus Frankreich, die Provider zur permanenten anlasslosen Überwachung des Datenverkehrs in ihren Netzen führen.
Der nächste logische Schritt, so die Kritiker, wäre dann die Einführung von Sanktionen nach dem Vorbild des französischen Gesetzesentwurf zur "Loi HADOPI". Der sieht vor, dass die Nutzer bei mutmaßlichen Urheberrechtsverletzungen auf Zuruf der Medienindustrie erst "informiert" und am Ende vom Provider den Internet-Zugang gesperrt bekommen ["Eins, zwei, drei - Internet abgedreht"].
Einigung bis Jahresende fraglich
Im Rahmen des 9. Salzburger Telekomforums erklärte Fabio Colasanti, Generaldirektor Information in der EU-Kommission, im Rahmen eines Vortrags, dass die EU beim Telekompaket unter Zeitdruck geraten sei. Die Diskussion hätte sich als schwieriger als gedacht erwiesen.
"Wenn wir bis Jahresende keine Einigung erzielen, droht eine extreme Zeitverzögerung." Zur Erklärung: Im Juni 2009 wird das EU-Parlament neu gewählt. Die derzeitige Abordnung ist deshalb nur bis März voll funktionstüchtig.
Zu den jüngst diskutierten Änderungen im Telekompaket wollte Colasanti im Gespräch mit ORF.at nicht Stellung nehmen: "Das Copyright kommt im Review nur in einem einzigen Punkt vor: nämlich betreffend die Information der Konsumenten, was erlaubt ist und was nicht. Ansonsten ist Copyright kein Thema."
Vom Review zum Telekompaket:
Regulator: "Völlig überschießend"
Der heimische Telekomregulator Georg Serentschy sieht die entsprechenden Änderungsvorschläge "mit großer Skepsis". Zudem hätten Modelle a la "Three Strikes Out" im Review-Paket eigentlich nichts verloren: "Man sollte nicht den Fehler machen, in irgendwelche paranoiden Vorstellungen zu verfallen, aber diese Frage einer so weitgehenden Kontrolle, die über ISPs ausgeübt werden soll - das scheint mir völlig überschießend zu sein", sagte Serentschy gegenüber ORF.at.
Die Frage des Schutzes geistigen Eigentums für die Kreativindustrie müsste viel grundsätzlicher diskutiert werden. "Ich denke, dass die Frage einer gerechten und fairen Kompensation für die Content-Schaffenden nicht notwendigerweise nur in einer polizeistaatlichen Verteidigung von bestehenden Abrechnungssystemen erfolgen muss", so Serentschy zu ORF.at. Die Internet-Anbieter zu verlängerten Armen der Sicherheitsbehörden zu machen, halte er daher für den falschen Weg.
Serentschy zeigte sich auch skeptisch, was eine baldige Verabschiedung des Pakets betrifft: "Ich bin mir nicht so sicher, ob das Review-Paket in dieser Periode der Kommission überhaupt durchgeht." Die Skepsis, die viele nationale Behörden gegenüber Teilen des Pakets hätten, sei aber keine Skepsis gegenüber der Zuständigkeit von Brüssel für ordnungspolitische Fragen.
Gegen die "Superbehörde"
Serentschy: "Es gibt bestimmte Fragen, die nur in Brüssel erledigt werden können. Ich bin nur grundsätztlich und aus der praktischen täglichen Arbeit heraus extrem kritisch, wenn in Brüssel mit den falschen Gewichten gearbeitet wird."
Grundsätzlich gebe es eine Reihe von sehr guten Dingen in dem Paket: "Die grundsätzliche Erweiterung der Regulatory-Toolboxen in Richtung funktionale Separation haben wir total begrüßt", so Serentschy. Mit der Schaffung einer zentralen EU-Regulierungsbehörde würde man aber eingespielte Strukturen über Bord werfen. "Deswegen sagen wir, wir setzen auf Netzwerkstrukturen und nicht auf zentralistische Strukturen."
EU-Parlament schützt Regulierer
Der maßgebliche Industrieausschuss des Parlaments stimmte im Juli in Straßburg zwar für die Möglichkeit zur organisatorischen Aufspaltung von Telekommunikationsfirmen in einen Netz- und einen Dienstanbieter. Doch die Abgeordneten schützten die nationalen Branchenregulierungsbehörden vor einem Verlust an Einfluss zugunsten der Europäischen Kommission.
(futurezone | Nayla Haddad)