Unsterblichkeit für Computerspiele
Kopierschutzmaßnahmen und Copyright-Probleme verhindern, dass Computerspiele auch langfristig als eigene Kunstform anerkannt werden. Das neue Projekt KEEP will dafür sorgen, dass die Software von heute auch morgen noch verwendet und wissenschaftlich untersucht werden kann.
Als Electronic Arts kürzlich sein neues Blockbuster-Spiel "Spore" veröffentlichte, stellten sich bald Wut und Enttäuschung bei der internationalen Gamer-Gemeinde ein. Das Spiel verfügt nämlich über einen Kopierschutz, der dafür sorgt, dass der User das Spiel nur auf drei Computern installieren darf.
"Spore" ist nur das jüngste Beispiel für den Wettlauf der Spieleindustrie mit Crackern und Kopierern. Neben den Bewegungen der Akteure, die zuweilen an alte Cartoons mit Carl dem Koyoten und dem Roadrunner erinnern, hat der Streit aber auch einen ernsthaften Hintergrund.
Computerspiele als Kunstform
Kopierschutzmaßnahmen und Copyright-Gesetze hindern Wissenschaftler, Bibliotheken und Archivare nämlich ernsthaft daran, Computerspiele wie andere zeitgenössische Werke unserer Kultur für die Nachwelt zu sichern. Unter diesen Bedingungen ist es schwierig, Computerspiele und andere Software als Kunstwerke wahrzunehmen und auch als solche an künftige Generationen weiterzugeben.
ORF.at sprach mit Andreas Lange, der als Leiter des Berliner Computerspielemuseums damit befasst ist, für Wissenschaftler und Interessierte Computerspiele als Kulturgut zu bewahren. Dass Lange dabei nicht allein ist, zeigt sich in dem Projekt Keeping Emulation Environments Portable [KEEP], das die Nationalbibliotheken von Frankreich, Deutschland und den Niederlanden bei der EU einreichten.
Im Rahmen von KEEP soll evaluiert werden, inwieweit es möglich ist, eine virtuelle Maschine zu schreiben, in der Emulatoren, also Software-Nachbildungen alter Computersysteme, laufen können. Das Ziel ist es, dass Emulatoren für alte Systeme wie den Commodore C64, den Sinclair Spectrum und die Atari-Konsole 2600 nicht mehr mühsam auf jedes neue Betriebssystem angepasst werden müssen.
Zur Person:
Andreas Lange ist studierter Religions- und Theaterwissenschaftler und arbeitet als Ausstellungsmacher, Autor und Dozent zum Thema digitale Unterhaltungskultur. Er war von 1994 - 1995 Gutachter der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle [USK] und ist seit 1997 Direktor des Computerspielemuseums in Berlin und war 2002 Mitbegründer von DiGA e. V. – The Digital Game Archive.
Lange konzipierte mehrere Ausstellungen und veröffentlichte Bücher, darunter "Spielmaschinen" [Berlin, 2002] und "pong.mythos" [Berlin, 2006].
Dozenturen und Lehraufträge führt er u. a. für die Games Academy Berlin und die Universität Potsdam aus. Andreas Lange ist Mitglied in dem vom deutschen Wissenschaftsministerium [BMBF] finanzierten Projekt nestor - dem deutschen Kompetenznetzwerk zur digitalen Langzeitarchivierung - der AG Games der Gesellschaft für Medienwissenschaft [GfM] und der Akademie des Deutschen Entwicklerpreises.
ORF.at: Am aktuellen Beispiel von "Spore" hat sich gezeigt, dass die Computerspielebranche immer noch großen Wert auf Kopierschutzmechanismen legt. Behindert das alte Wettrennen zwischen Industrie und Crackern nicht auch die kulturelle Wirksamkeit von Computerspielen und deren Anerkennung als Kunstform? Schließlich gehört es zur Anerkennung einer Kunstform als solcher, dass ihre Artefakte über längere Zeit hinweg professionell gesichert, betreut und untersucht werden können.
Andreas Lange: Auch marktaktuelle Spiele sind natürlich kulturell wirksam. Trotzdem kommen zu uns immer mehr Wissenschaftler, um sich auch alte Spiele anzusehen.
Im Internet gibt es zwar viele gecrackte Spiele und sogenannte Abandonware, also alte Computerspiele, die nicht mehr auf dem Markt sind, aber unsere Sammlung ist legal. Dazu kommt, dass die Branche sehr dynamisch ist. Auch für uns ist es nicht einfach, ausfindig zu machen, wer die Rechte an bestimmten Spielen hält.
Das Copyright auf Computerspiele läuft 70 Jahre lang. Und es gibt keine zentrale Stelle, bei der wir nachfragen können, wer die Rechte an bestimmten Komponenten eines Spiels besitzt. Die Firmen wissen manchmal selbst nicht, was ihnen nach den branchenüblichen Fusionen und Zukäufen gehört und was nicht.
In Deutschland gibt es das Börsenblatt des Buchhandels, in dem veröffentlicht wird, wer an welchem Text welche Rechte hält. Das gibt es für Computerspiele noch nicht.
Das heißt, auch gecrackte Spiele helfen Ihnen nicht weiter.
Nein. Wir wollen die Spiele im Originalzustand bitgetreu archivieren, das heißt, dass auch der Kopierschutz dazugehört.
Wir müssen aber bei magnetischen Datenträgern wie Disketten und Kassetten schnell sein. Schon ab acht Jahren macht sich dort die Entmagnetisierung bemerkbar und der Datenverlust tritt ein.
Wenn bei einem Buch eine Maus ein Stück einer Seite anknabbert, dann ist das nicht so tragisch. Wenn aber bei einem digitalen Werk wie einem Spiel ein Bit ausfällt, dann kann das ganze Werk verloren sein.
Wie können Archivare dieses technische Problem lösen?
Mit Emulatoren, also Programmen, die alte Computersysteme und Spielekonsolen auf modernen Maschinen simulieren. Wir haben zusammen mit den nationalen Bibliotheken Frankreichs, Deutschlands und der Niederlande bei der EU ein Projekt eingereicht, mit dem wir die Emulatorenstrategie auf feste Füße stellen wollen.
Das geschieht im Rahmen größerer Projekte zur Sicherung komplexer digitaler Artefakte, zu denen auch andere Computerprogramme gehören. Wir sind zuversichtlich, dass das Projekt noch in diesem Jahr genehmigt wird und wir 2009 mit der Arbeit beginnen können.
Projekt KEEP
Mit dem im April 2008 eingereichten Projekt Keeping Emulation Environments Portable [KEEP] wollen die Bibliothekare und Archivare laut ihrem Antrag erreichen, dass "der universelle Zugang zu unserem Kulturerbe erleichtert wird, indem flexible Werkzeuge für den Zugriff und die Speicherung eines breiten Spektrums an digitalen Objekten entwickelt werden".
Zu diesem Zweck soll eine "Emulation Access Platform" entwickelt werden, die es erlaubt, die besagten Programme, darunter auch Spiele, möglichst naturgetreu auch auf den Rechnersystemen der Zukunft laufen zu lassen. Auch spezielle Dateiformate sollen definiert und Transfertools entwickelt werden, die alte Software und Daten auf der neuen Plattform einsatzfähig machen.
Schließlich soll der User in einer Datenbank nach den Software-Titeln suchen und sie sofort lokal verwenden können. Auch der Zugriff übers Netz ist geplant - allerdings, vergleichbar mit dem Zugriff auf wissenschaftliche Literatur via Bibliothekenverbund - nur im Rahmen eines Rechtemanagementsystems. Eine eigene Website hat das Projekt noch nicht.
Sie wollen also einen Emulator für Emulatoren schreiben lassen.
Es gibt derzeit zirka 40 verschiedene Software-Projekte, in denen Emulatoren für alte Computersysteme und Spielekonsolen wie den Commodore 64 und das Atari 2600 geschrieben werden.
Diese Projekte sind zwar frei, werden aber von Enthusiasten gepflegt, die vielleicht eines Tages das Interesse daran verlieren könnten, ihre Emulatoren immer wieder an neue Betriebssysteme anzupassen. Wir wollen eine virtuelle Schnittstelle definieren und prototypisch realisieren, die den verschiedenen Emulatoren zur Verfügung steht. Das kann man sich so vorstellen wie die Virtual Machine von Java, nur besser.
Wenn das Projekt erfolgreich ist, dann muss immer nur die virtuelle Maschine an die aktuellen Computersysteme angepasst werden. Die Arbeit, die einzelnen Emulatoren immer wieder neu anpassen zu müssen, würde wegfallen. Ob es funktionieren wird, wissen wir noch nicht. Im Rahmen des Projekts soll erst prototypisch ausgelotet werden, inwieweit das möglich ist.
Einige Emulatoren
Ist sich die Industrie dieser Probleme eigentlich bewusst?
Noch nicht, aber das Bewusstsein wächst. Die Industrieverbände gehen zwar manchmal gegen Emulatorenprogrammierer vor, aber man will diese auch nicht verärgern, weil es in der Szene wichtige Leute sind. Man kann die Situation derzeit mit jener vergleichen, in der sich Hollywood in den 1920er Jahren befunden hat. Damals hat sich die Filmindustrie der Politik angenähert und wollte den Film als schützenswertes Kulturgut anerkannt bekommen.
Natürlich stellte sich auch die Bewahrungsfrage, ein nationales Filmarchiv musste gegründet werden. Auch die Spieleindustrie sieht sich oft Prozessen oder Zensurbegehren ausgesetzt. Bisher hat sie sich dabei immer auf das Grundrecht auf Meinungsfreiheit berufen und ihre Produkte mit anderen Kulturgütern wie Literatur oder Film gleichgestellt. Wenn die Industrie die Archivierung ihrer Produkte vereinfachen würde, würde sie damit auch ihre eigene Argumentation stützen und letztendlich ihren Markt expandieren.
Bei Single-Player-Games, die auf alten Systemen gelaufen sind, ist die Archivierung zum Beispiel als Tape-Image nicht allzu schwer. Doch was ist mit Spielen wie eben "Spore" und "World of Warcraft", die übers Netz aktiviert werden müssen oder hauptsächlich im Netz stattfinden?
Online-Spiele wie "World of Warcraft" lassen sich nicht eins zu eins bewahren. Wenn sich Wissenschaftler dafür interessieren, müssen sie die Foren der Spiele dokumentieren und Chatprotokolle und Raids mitschneiden und auswerten, um eine spätere Rekonstruktion des Spiels möglich zu machen.
(futurezone | Günter Hack)