Netzhaut-Direktbestrahlung im Flakturm
Die Ausstellung zum paraflows-Festival "Utopia" zeigt Medienkünstler beim Grübeln über die Bedingungen ihrer Gegenwart und angemessene Präsentationen für Netzkunst. Ein Rundblick durch die Ausstellung im Flakturm Arenbergpark in Wien.
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Eingangsbereich Flakturm Arenbergpark.
"Utopia" ist ein schönes Wort, das sich schnell als leere Phrase entpuppt. Auf den ersten Blick überrascht die Medienkunstaustellung des paraflows-Festivals im Gefechtsturm Arenbergparkt durch die Abwesenheit "utopischer" Zukunftsentwürfe.
Ein Stückchen Utopie zum Mitnehmen - Simona Kochs Wien-Postkarten gelten nicht einmal in Wahlkampfzeiten als Zukunftsvision.
In den Gängen des Flakturms versteht man Utopia als "U-Topos", als Unort: Ein "Unspace", den die "Gstettn" im Vorhof zum Garten Eden weitaus mehr interessiert als ein vermeintliches Paradies.
Zarte Pflänzchen im Härtetest: Heavy Metal oder Johann Sebastian Bach als Dauerberieselung für Nikolaus Gansterers "Eden Experiment".
Im 21. Jahrhundert können und wollen Künstler nicht mehr als Propheten herhalten und konzentrieren sich darauf, Versatzstücke der Gegenwart zu sezieren.
Man entlarvt den falschen Traum vom Swimmingpool [mahony], wartet im Schatten der Überwachungskameras [Oetken] auf Flughäfen [Ruhm, Grubinger] oder biegt sich die Wirklichkeit vom Irak [Abidin] bis Sowjet-Unterzögersdorf [monochrom] zurecht.
"Bend me, shape me …" - Susanne Schudas "interaktive Psycho-Sex-Groteske".
Susanne Schuda verknotet menschliche Oberflächen zu einem hinreißenden Porno, Claudia Larcher bastelt sich eine Stadt, Clemens Kogler zaubert ganze Fantasielandschaften aus Körperteilen.
Es ist kein Zufall, dass Koglers Film auch als Musikvideo funktioniert und gap-Herausgeber Niko Alm statt am "Götzengenerator" lieber an seiner Werbeagentur und Zeitungsverlagen werkt.
Den Kampf um die besten Computerbilder kann die Kunst gegen Bildmaschinen aus Werbung und Wirtschaft ohnehin nicht gewinnen, sondern bestenfalls infrage stellen.
Peter Wehinger setzt Menschen mit Down-Syndrom aus Knetmasse ein Denkmal.
Gesellschaftliche Normen zu hinterfragen ist als Rollenbild für Künstler weiterhin aktuell. Florian und Werner Schmeisers Guerilla-Sticker, die im ganzen Flakturm verteilt sind, imitieren gewohnte Icon-Bildsprache und lenken die User-Aufmerksamkeit auf eine Website, die körperliche Beeinträchtigung am eigenen Mauszeiger erfahrbar macht.
Hören und fühlen. Analoger Sound-Input von Satoshi Morita.
Die Zukunft der Gegenwart ist bloß eine Frage der Wahrnehmung. Einige Werke und nicht zuletzt die Funkstille im Innern des Flakturms bieten gute Gelegenheit, einmal offline über die Schnittstellen der eigenen Hirnwindungen nachzudenken.
Nur direkt zu erleben - Ruth Schnells "Patterns of Perception" schreibt Textspuren direkt auf die Netzhaut.
Medienaktivisten tarnen sich im Realraum als bildende Künstler. Ubermorgen überträgt Digipixel auf Leinwand, die Hackaktivisten Zthoven erinnern via Beamer an das YouTube-Video ihres Atompilz-Hacks. Carlos Katastrofsky verpuppt seine Mailman-Manipulation "Last Wishes" in einem Endlosdrucker .
Analogvariante einer bockigen Mailingliste von Carlos Katastrofsky.
Es ist eines der Ziele des paraflows-Festivals, Online-Initiativen aus Mailinglisten und Community-Plattformen auch einem Offline-Publikum bekanntzumachen.
Für Kenner der heimischen Netzkultur-Szenen sind aber die jährlichen Big Brother Awards [am 25. Oktober], der altgediente Mojitobot der Roboexotica [noch bis 4. Dezember außer Betrieb] und monochroms Sowjetkommune Sowjet-Unterzögersdorf/ [Wir warten auf Teil 2] leider schon alte Bekannte.
Und schon gilt im Quake-Ambiente des Flakturms das gleiche Gesetz wie für Bannerwerbung im Internet: draufklicken oder weitersurfen zum nächsten Ausstellungsobjekt.
Paraflows08: Ausstellung "Utopia"
Bis 19. Oktober im MAK-Gegenwartskunstdepot, Gefechtsturm Arenbergpark, Dannebergplatz/Barmherzigengasse, 1030 Wien
(eSeL)