Ohrfeige für "Three Strikes Out"
Mit der Annahme der drei Berichte zum Telekompaket hat das EU-Parlament heute drei Richtlinien novelliert. Das bedeutet mehr Daten- und Konsumentenschutz und mehr Rechte für Benutzer. Den französischen Plänen für Internet-Sperren wurde eine überraschend deutliche Abfuhr erteilt.
Das EU-Parlament verabschiedete mit großer Mehrheit drei verschiedene Berichte zum Telekompaket.
Über zwei dieser Reports hatte es ein monatelanges Hickhack gegeben, und zwar über einige wenige Punkte, die nach Ansicht vieler Parlamentarier gar nicht ins Telekompaket gehörten: Schutz von Urheberrechten und Strafverfolgung bei Verstößen dagegen im Internet.
Die Letztfassungen der bis zuletzt mehrmals abgeänderten Berichte der Abgeordneten Malcolm Harbour [Ausschuss Konsumenschutz; PPE DE] und Catherine Trautmann [Industrieausschuss; SP] gingen in allen Punkten mit großer Mehrheit durchs Parlament.
Abstimmungsergebnis zum Bericht von Malcolm Harbour [Universaldiensterichtlinie]: 548 Zustimmungen, 88 Gegenstimmen, 14 Enthaltungen.
Abstimmungsergebnis zum Bericht von Catherine Trautmann: 597 Zustimmungen, 55 Gegenstimmen, 29 Enthaltungen.
Im Diskussionsschatten
Der Abgordnete und ÖVP-Europaklubobmann Othmar Karas, der sich bereits vor Monaten gegen Internet-Sperren als Maßnahme gegen Urheberrechtsverletzungen ausgesprochen hatte, verwies darauf, dass "Internet-Dauerüberwachung durch das EU-Telekompaket nicht möglich" werde. Unter dem Strich würden die Rechte der Internet-Nutzer gestärkt.
Die verbraucherfreundlichen Inhalte des Telekompakets waren über den Diskussionen über Urheberrechtsverletzungen und Internet-Sperren vorübergehend in den Hintergrund getreten.
Schuld daran waren die mittlerweile sattsam bekannten Bestrebungen der französischen Ratspräsidentschaft und eine ganze Reihe von Anträgen, die selbst von Kollegen der Konservativen Fraktion gegenüber ORF.at unter der Hand als "extremistisch" eingestuft wurden.
In einer ersten Reaktion zum Abstimmungsergebnis zeigten sich die deutschen Bürgerrechtler von Netzpolitik.org, die gemeinsam mit der französischen Initiative La Quadrature du Net gegen "Three Strikes Out" kämpfen, vorsichtig optimistisch. "Einigen unserer Positionen und Forderungen wurde heute von einer deutlichen Mehrheit im Europaparlament zugestimmt. Das ist besser gelaufen als erwartet", heißt es im Weblog der Organisation. Man habe zwar nicht alle Positionen durchsetzen können, aber die radikalsten Vorschläge seien herausgefallen. Die Bürgerrechtler werden sich nun der Analyse der verabschiedeten Papiere widmen.
Was das Paket bringt
Zu den positiven Aspekten: Unter anderem regelt das Telekompaket ganz klar, dass der Kunde bei Abschluss des Vertrags etwa informiert werden muss, wenn der Provider bestimmte Internet-Services wie etwa Skype sperrt.
Auch die Netzneutralität wird durch das Großvorhaben - insgesamt werden drei veraltete Richtlinien zum Thema gleichzeitig runderneuert - einigermaßen festgeschrieben, fixe IP-Adressen, die einer Person zugewiesen sind, gelten als persönliche Informationen, die unter Datenschutz stehen.
Dazu kommen die ebenfalls beschlossene Einrichtung einer europäischen Regulierungsbehörde [BERT], die ebenfalls dem Konsumenten zugutekommen soll, sowie die Neuverteilung der analogen TV-Frequenzen, die im dritten Bericht abgehandelt wurde.
Kritik an "außergerichtlichen Einigungen"
Die grüne Abgeordnete Eva Lichtenberger störte, dass im Harbour-Bericht die Provider zur Kooperation in der Förderung "legaler Inhalte" verpflichtet werden.
"Was heißt das, bitte? Sollen die Provider jetzt verpflichtet werden, für die großen Musik- und Filmverlage zu werben?", sagte Lichtenberger nach der Abstimmung zu ORF.at.
Auch die Einführung von "außergerichtlichen Einigungen" sei keineswegs konsumentenfreundlich, sondern arbeite großen Unternehmen in die Hände, die zum Zweck der Einschüchterung Konsumenten erst einmal anzeigten.
Der Status quo, post
"Es bleibt Sache der Nationalstaaten zu schauen, mit welchen Maßnahmen sie gegen Urheberschutzverletzungen und Kinderpornografie kämpfen", schrieb ÖVP-Europaklubobmann Karas nach der Abstimmung an ORF.at.
Der Harbour-Report lässt den Mitgliedsstaaten dezidiert offen, welche Internet-Inhalte, -Anwendungen und -Dienste als legal bzw. illegal gewertet werden und wie mit Verstößen umgegangen wird.
A la francaise
Die geplante Regelung a la francaise, die bei dreimaligem Verstoß gegen Urheberrechte Internet-Sperren vorsieht, ist nach Verabschiedung des Harbour-Reports europaweit genauso möglich wie gar keine Sanktionierung.
Ebenso wie bei der umstrittenen Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung bedeutet die Umsetzung des Telekompakets in dieser Form, dass es eben keine einheitliche europäische Regelung gibt.
Das gilt aber nur für die Regelungen im Harbour-Bericht. Die eigentliche Überraschung steckte im Bericht von Trautmann, der ebenfalls eine Mehrheit im Parlament fand.
Koalition in letzter Minute
In den letzten 48 Stunden vor der Abstimmung war nämlich noch einmal Bewegung ins Spiel der Kräfte gekommen. Eine Gruppe von Parlamentariern rund um die französischen Sozialdemokraten Michel Rocard, Guy Bono und Trautmann hatte einen Änderungsvorschlag eingebracht und dafür in den anderen Fraktionen mobil gemacht.
Abgeordnete aus allen anderen Fraktionen, von Daniel Cohn-Bendit [Grüne, Frankreich] bis Christopher Fjellner [PPE DE, Schweden], schlossen sich dem an.
"Grundrechte der Union"
Kernaussage dieses Zusatzes ist, "dass die Rechte und Freiheiten der Endnutzer, insbesondere gemäß Artikel 11 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union zur Meinungs- und Informationsfreiheit, keinesfalls ohne vorherige Entscheidung der Justizbehörden eingeschränkt werden dürfen" [Änderungsantrag 138 zu Absatz 4].
Zunächst waren aber auch hier noch Ausnahmen vorgesehen: "es sei denn aufgrund höherer Gewalt, aufgrund der Erfordernisse zum Schutz der Integrität und Sicherheit von Netzen oder aufgrund nationaler strafrechtlicher Bestimmungen, die aus Gründen öffentlicher Belange, der öffentlichen Sicherheit oder der öffentlichen Moral erlassen wurden". Dieser Passus wurde in letzter Minute durch einen mündlichen Antrag von Catherine Trautmann aus dem Text gestrichen.
Auch bei großzügiger Interpretation dieser Bestimmungen wird die die Verfolgung von Urheberrechtsverstößen durch Tauschbörsenbenutzer ohne Einschaltung eines Richters nicht möglich sein.
Abfuhr für Sarkozy
Damit wurden der französischen Ratspräsidentschaft sowie dem französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy gewissermaßen Ohrfeigen angetragen.
Sarkozys Gesetzesvorhaben von Internet-Sperren für Urheberrechtsverstöße ["Loi HADOPI" alias "Three Strikes Out"] steht zu einer solchen Formulierung in Widerspruch. In Frankreich soll nämlich eine Behörde die Provider anweisen, welche Inhalte zu sperren sind und welcher Kunde vom Netz abzutrennen ist.
Im April hatte eine knappe Mehrheit der Parlamentarier das Vorhaben, Benutzern den Internet-Zugang zu sperren, mit deutlichen Worten abgelehnt.
Da es sich nur um einen Zusatz im Rahmen des "Bono-Berichts zur Lage der Kulturindustrie" handelt, war das ohne rechtliche Bindung. Österreichische EU-Parlamentarier der vier großen Fraktionen hatten sich unisono gegen die Maßnahmen der Franzosen ausgesprochen.
(futurezone | Erich Moechel)