ACTA: EU-Kommission beschwichtigt
Nachdem weltweit Bürgerrechtsorganisationen auf die Öffnung der geheimen Verhandlungen über das Anti-Piraterie-Abkommen ACTA drängen, hat die EU-Kommission ein FAQ-Papier dazu veröffentlicht. Sicher ist, dass das Abkommen auch die Piraterie im Internet bekämpfen soll. Mit welchen Mitteln, ist weiterhin unklar.
"Die meisten alarmistischen Vorstellungen, die im Netz oder in der Presse zirkulieren, sind Spekulationen, die an der wahren Natur der ACTA-Verhandlungen vorbeigehen", heißt es in einem neuen "Frage und Antwort"-Dokument aus der EU-Kommission, Abteilung Handel.
Mit diesen FAQ samt beigelegtem "Fact-Sheet" reagiert die Kommission auf die zunehmende Kritik an der Geheimhaltung der Verhandlungen zum Anti-Counterfeiting Trade Agreement [ACTA]. Auch jetzt gebe es noch keinen Text, der Prozess sei nämlich noch immer in einem "frühen Stadium".
Der Zeitdruck wächst
Ein Zeitrahmen sei noch nicht festgelegt, das Timing werde "keine Priorität gegenüber der Qualität und Ausgewogenheit des Vertrags" haben. In einem Nebensatz wird jedoch erwähnt: Die G-8-Staaten erwarteten ein Resultat noch vor dem Jahresende.
Das ist der Grund für den im Netz kursierenden "Alarmismus" zum Thema ACTA. Nach jedem Treffen wird betont, dass der Vertrag im Zeitplan sei beziehungsweise bis Jahresende unter Dach und Fach sein müsse.
Der EU-Ministerrat hat am 25. September eine Resolution zur Bekämpfung von Produktpiraterie in der Union verabschiedet. In der Resolution unterstützt der Ministerrat die ACTA-Verhandlungen, ohne dabei aber auf die Inhalte des Abkommens einzugehen.
Unter anderem möchte der Ministerrat, dass die EU-Zollbehörden besser vernetzt werden. Hier soll es im Rahmen eines Aktionsplans von 2009 bis 2012 verstärkte Bemühungen gehen. Die Zollbehörden sollen auch besser mit den Rechteinhabern zusammenarbeiten.
"Frühes Stadium"
Nach der zweiten Verhandlungsrunde Ende Juli hatte die Delegation der EU-Kommission bekanntgegeben, die an den Verhandlungen teilnehmenden Staaten erwarteten eine Unterzeichnung von ACTA noch vor Ende des laufenden Jahres.
Zwei Monate später - drei Monate vor Jahresende - ist man laut EU-Kommission noch immer in einem so "frühen Stadium", dass es zu ACTA nichts Schriftliches gibt. Aus den USA und Frankreich kommen parallel dazu laufend andere Signale, regelmäßig wird auf die angestrebte Deadline gepocht.
Internet im Visier
Eben deshalb sind Beobachter des Abkommens weltweit äußerst skeptisch, solchen Äußerungen der EU-Kommission traut man nur sehr bedingt: "Es ist nur natürlich, dass Verhandlungen auf Regierungsebene, die ökonomische Auswirkungen haben, nicht öffentlich abgehalten werden und die Verhandler zu einem gewissen Grad an Diskretion gebunden sind."
Auf die selbst gestellte Frage: "Wird die Kontrolle des Internets verstärkt?", antwortet die Kommission so: "Natürlich hat der Vermittler eine Rolle dabei zu spielen, wenn es darum geht, die Handelskanäle frei von Pirateriegut zu halten, das gilt auch für das Internet."
Kooperation der Provider angemahnt
Und: "Es kann zwischen Service-Providern und Rechteinhabern mehr dafür getan werden, um einen ausgewogenen Weg zu finden, ihren Geschäften nachzugehen, ohne dass sie zur Verteilung illegaler Güter missbraucht werden."
Das dockt an jene Passagen im gerade erst vom EU-Parlament verabschiedeten Telekompaket an, um die es bis zum Schluss ziemliche Kontroversen gab. Hier wie dort gibt es eine diffuse Verpflichtung zur "Kooperation" von Providern und Rechteinhabern.
Am vergangenen Donnerstag und Freitag hatte der Rat der EU-Wirtschaftsminister nicht ganz überraschend zum erweiterten Thema "Produktfälschung und Piraterie" getagt.
Im Resolutionsentwurf der EU-Handelsminister heißt es, zu bekämpfen seien "Produktfälschung und Raubkopien im Internet", unter anderem durch "den Abschluss interindustrieller Vereinbarungen" auf europäischer Ebene. In Absatz 14 werden diese Kooperationen auf "Public-Private Sector Partnerships" ausgeweitet.
Grund des "Alarmismus"
In einem seit über einem Jahr bekannten einschlägigen Gesetzesentwurf der französischen Regierung sehen "interindustrielle Zusammenarbeit" und "Public-Private-Partnership" so aus: "Rechteinhaber", also die Medienindustrie ["Private"], und eine neue Copyright-Behörde namens HADOPI ["Public"] arbeiten zusammen ["Partnership"], um Tauschbörsennutzer aufzuspüren.
Internet-Provider werden dann dazu verpflichtet ["interindustrielle Zusammenarbeit"], die betreffenden Kunden zu verwarnen und beim dritten Verstoß den Netzzugang zu sperren.
De minimis
Was die Durchsuchungen von Datenträgern beim Grenzübertritt angeht - in den USA ist das mittlerweile Routine -, weist die Kommission darauf hin, dass es in der Zollregulation von 2003 eine "De minimis"-Klausel gebe. Diese nehme Reisende von Durchsuchungen aus, wenn es sich nicht um großangelegten Schmuggel handle.
Zudem hätten europäische Zöllner, "die laufend mit dem Schmuggel von Drogen, Waffen oder Menschen konfrontiert" seien, weder die Zeit noch die legale Basis, um ein paar raubkopierte Songs auf einem iPod oder Laptop zu suchen.
Die nächste ACTA-Verhandlungsrunde findet vom 8. bis 10. Oktober in Tokio statt.
(futurezone | Erich Moechel)