Internet-Sperren: Sarkozy macht Druck

07.10.2008

Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy hat EU-Kommissionschef Jose Manuel Durao Barroso dazu aufgefordert, eine Passage aus dem Telekompaket zu streichen, die ihn daran hindern würde, Internet-Sperren bei Urheberrechtsverstößen ohne richterliche Kontrolle durchzusetzen.

Der französischen Tageszeitung "Liberation" ist es gelungen, in den Besitz eines Schreibens zu kommen, das Sarkozy an Barroso geschickt hatte. Das Blatt veröffentlichte den Brief am Montag in seinem Fachweblog Ecrans [Bildschirme].

In dem Brief fordert Sarkozy Barroso und Medienkommissarin Viviane Reding dazu auf, sich "persönlich" für die Streichung des Zusatzes 138 aus dem Telekompaket zu engagieren. Dieser verhindere den Kampf gegen Internet-Piraterie, was die Existenz der französischen und europäischen Medienindustrie bedrohe. Es gehe darum, die "finanzielle Gesundheit" der Industrie sicherzustellen.

Der Zusatz 138, der unter anderem von den sozialdemokratischen französischen Abgeordneten Catherine Trautmann und Guy Bono eingebracht worden war, soll sicherstellen, dass Sarkozy seinen "Three Strikes Out"-Plan für Internet-Sperren nicht durchsetzen kann. Der Text war am 24. September in letzter Sekunde ins Parlament eingebracht worden - auch mit Unterstützung zahlreicher konservativer Abgeordneter.

Besagter Abschnitt sieht vor, dass kein Internet-Nutzer ohne richterliche Kontrolle verfolgt werden kann. Sarkozy hingegen will in Frankreich eine Zentralbehörde, die HADOPI, einrichten, die auf Zuruf der Medienindustrie Filesharern erst zwei Warnhinweise schickt und ihnen dann beim dritten Urheberrechtsverstoß den Zugang zum Internet kappt - ohne dabei einen Richter hinzuziehen zu müssen.

Sarkozy will Schutzfristen verlängern

Sarkozy spricht sich in seinem Brief auch für die Verlängerung der Schutzfristen auf Tonaufnahmen aus. Diese seien dringend notwendig, damit die Musikindustrie ihre Investitionen amortisieren könne.

Die Schutzfristen betragen in der EU derzeit 50 Jahre, sie sollen aber auf Initiative der Medienindustrie und der EU-Kommission auf 95 Jahre angehoben werden. Sarkozy schreibt an Barroso, das sei notwendig, damit die Künstler ihr ganzes Leben lang von ihren Arbeiten profitieren könnten.

Sarkozy vs. Demokratie

Das Problem dabei ist nur, dass sich das EU-Parlament bei seiner Abstimmung am 24. September in Brüssel mit einer Mehrheit von immerhin 573 zu 74 Stimmen für Zusatz 138 ausgesprochen hatte. Auch zahlreiche Abgeordnete der Konservativen stimmten für Zusatz 138. Das Telekompaket, das aus drei EG-Richtlinien besteht, ist derzeit auf dem Weg zu Kommission und Ministerrat. Letzterer soll sich am 27. November mit dem Text befassen.

Sollte der Ministerrat an den vom Parlament verabschiedeten Texten Veränderungen vornehmen, wird das Telekompaket abermals durchs Parlament müssen. Diese zweite Lesung wäre für Frühjahr 2009 zu erwarten. Dann wird sich Sarkozy allerdings nicht mehr so leicht damit tun, "Three Strikes Out" auf die Agenda zu setzen, denn die EU-Ratspräsidentschaft liegt dann bei der Tschechischen Republik.

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Zum engsten Freundeskreis Sarkozys gehören zahlreiche französische Medien- und Rüstungsunternehmer wie Martin Bouygues, Vincent Bollore, Arnaud Lagardere, Serge Dassault und Bernard Arnault. Der Bauunternehmer und TV-Boss Bouygues ist ein Trauzeuge Sarkozys, genauso wie Arnault, der Chef des Luxusgüterkonzerns LVMH und Finanzzeitungsverleger.

Sarkozy vs. Kommission

Was die Meinung der EU-Kommission und der federführenden Ressortchefin Reding anbelangt, so gibt es dazu widersprüchliche Berichte. Die französische Bürgerrechtsinitiative La Quadrature du Net, die schon früh gegen Sarkozys Pläne eingetreten war, meldete am 25. September ohne Quellenangabe, dass Reding sich gegen Zusatz 138 engagieren würde.

"Liberation" dagegen schreibt im Beitrag zum Brief des Präsidenten, dass die im Sinne Sarkozys agierende französische Kulturministerin Christine Albanel [UMP] vergangene Woche damit gescheitert sei, Reding zur Änderung von Zusatz 138 zu bewegen. Daher, so das Blatt, habe sich Sarkozy dazu genötigt gesehen, auf oberster Ebene direkt an Barroso zu schreiben.

Das deckt sich mit den Beobachtungen der britischen Politologin Monica Horten, die auf ihrer Fachwebsite unter Berufung auf interne Quellen bei der Kommission schreibt, dass Reding sich nicht gegen Zusatz 138 engagieren werde.

Abfuhr von der Kommission

Laut einem Bericht des Nachrichtenkanals euronews vom Dienstag hat sich Martin Selmayr, ein Sprecher der EU-Kommission, dahingehend zu dem Brief Sarkozys geäußert, dass die Kommission die Entscheidung des Parlaments respektieren werde.

"Nach unserer Ansicht ist der fragliche Zusatz eine wichtige Bestätigung der grundlegenden Prinzipien der Rechtsordnung der Europäischen Union - besonders der Grundrechte", so Selmayr.

(futurezone | Günter Hack)