"Essen bestellen 2.0"
Das Wiener Start-up Mjam.at will mit einem Bewertungsalgorithmus, bei dem die tatsächlich erfolgten Transaktionen im Vordergrund stehen, den Markt für Essensbestellungen im Netz aufrollen - Teil fünf der futurezone.ORF.at-Serie "Start-up-Geschichten".
Paul Böhm, Angelo Laub und Markus Hametner sind keine Neulinge im Internet-Geschäft. Seit Jahren sind sie als Berater und Entwickler tätig - auch international. Das Brüten über Projekte zieht sich oft bis in die Nacht. Irgendwann stellt sich der Hunger ein. Nicht immer bleibt Zeit für einen Restaurantbesuch. Also wird das Essen über das Netz bei einem Zulieferer bestellt. "Man fragt sich, wie find' ich raus, wo es gutes Essen gibt", meint Böhm. Es gebe zwar jede Menge Seiten, die Restaurants auflisten. Ob die Qualität passe, sei jedoch schwer ersichtlich.
Nutzerbewertungen seien nur eine kleine Hilfe, meint Böhm: "Es gibt Erkenntnisse aus der Psychologie, dass die Leute nicht bereit sind, Extreme zu berühren." Daneben gebe es auch Manipulationsversuche der Essenslieferanten.
Tatsächliche Bestellungen als Basis
Böhm, Laub und Hametner machten sich Gedanken zu einem besseren Bewertungssystem und entwickelten schließlich im vergangenen Jahr das Konzept für Mjam.at.
Bei der Evaluierung der Lieferanten stehen auf Mjam.at die tatsächlich erfolgten Transaktionen im Vordergrund. "Wenn jemand öfter beim selben Anbieter bestellt, sagt das etwas darüber aus, ob er mit ihm zufrieden ist", meint Böhm. "Nur wenn die Kunden wirklich zufrieden sind und tatsächlich Geld dort lassen, steigen die Restaurants im Ranking."
Der Bewertungsalgorithmus enthält auch weitere Parameter. Komplett offenlegen will Böhm die Formel nicht. "Für uns ist es wichtig, dass die Bewertungen nicht manipuliert werden können."
Registrierung nicht notwendig
Geben Nutzer auf Mjam.at ihre Adresse ein, werden die in der jeweiligen Gegend ausliefernden Restaurants gemäß ihrer Bewertung gelistet und über Google Maps auch auf einer Karte angezeigt. Speisen können direkt über den Online-Dienst bestellt werden.
Die Bestellungen werden von Mjam an die Restaurants weitergeleitet. Nutzer erhalten eine Bestellbestätigung per SMS oder E-Mail. Um Fake-Bestellungen zu vermeiden, ist die Angabe der Telefonnummer obligatorisch. Registrieren müssen sich die Nutzer auf der Plattform nicht. "Wir wollten die Einstiegsschwelle so niedrig wie möglich halten", sagt Böhm.
"Testmarkt" Wien
Seit rund einem Monat ist Mjam.at auf dem "Testmarkt" Wien online. Derzeit komme man - weitgehend ohne Werbung - auf rund 30 Essensbestellungen pro Tag, so Böhm. Der Dienst werde bereits von einigen hundert Leuten genutzt.
In den nächsten Wochen will Mjam auch in Deutschland an den Start gehen. Danach sollen weitere österreichische Städte folgen. Auch die baldige Expansion in die USA und nach Asien ist geplant.
Die 2.0-Sache
Böhm sieht Mjam.at als Weiterentwicklung bestehender Essensbestelldienste im Netz. Dem Schlagwort "Essen bestellen 2.0" steht er ambivalent gegenüber: "Wir sind keine Fans des Web-2.0-Hypes und der Inflation von Buzzwords."
Testwerbungen auf Google AdWords hätten jedoch bei der Verwendung des 2.0-Zusatzes zu "Essen bestellen" doppelt so viele Clicks gebracht wie die schlichte Beschreibung alleine, meint Böhm: "Vielleicht erklärt es ja doch ganz gut, was wir machen."
Mjam.at-Mitgründer Paul Böhm im metalab
Neben den drei Gründern Böhm, Hametner und Laub sind bei Mjam.at derzeit noch zwei weitere Mitarbeiter beschäftigt, Esther Schneeweisz und Tim Kuhn. Derzeit wird die Plattform vom Wiener Hacker-Space metalab aus betrieben, der ebenfalls von Böhm mitgegründet wurde.
Erste Finanzierungsrunde
Der Start von Mjam.at wurde aus privaten Geldern finanziert. Eine erste Finanzierungsrunde, an der sich auch Freunde und ehemalige Geschäftspartner der Gründer beteiligten, spülte einen fünfstelligen Betrag in die Kassen des Unternehmens. Das Geld wurde in Marktrecherche und die Entwicklung des Dienstes investiert.
Bei einschlägigen Förderstellen ging das Projekt leer aus. Es sei leichter, ein Projekt zu machen, das speziell auf Förderkriterien zugeschnitten ist, als bestehende Projekte darauf hinzutrimmen, Förderkriterien zu erfüllen, meint Böhm. Bei heimischen Förderstellen ortet er eine "gewisse Aversion gegen wirtschaftlich interessante Innovationen".
Strategischer Investor vor Einstieg
Der Einstieg eines strategischen Investors steht laut Böhm kurz bevor. Die Verhandlungen seien abgeschlossen, demnächst sollen die Verträge unterzeichnet werden. Auch weitere potenzielle Geldgeber - darunter ein deutsches Verlagshaus - haben bereits angeklopft.
Investorensuche in den USA
Im September waren die Mjam-Gründer auch auf Investorensuche an der Westküste der USA. Der Unterschied zu Österreich sei verblüffend. Die Risikokapitalgeber hätten einen "unglaublichen Erfahrungsschatz" und würden sofort mit Verbesserungsvorschlägen und Tipps zur Seite stehen. Möglichen Investitionen in Mjam sei jedoch die "Wirtschaftkrise dazwischengekommen", bedauert Böhm.
Provisionszahlungen von Restaurants
Das Geschäftsmodell des Start-ups beruht ausschließlich auf Provisionszahlungen von Restaurants für vermittelte Bestellungen. "Wir haben nicht vor, Werbung zu schalten oder Nutzerdaten weiterzuverkaufen", sagt Böhm.
Mjam.at biete Essenslieferanten eine alternative Möglichkeit der Kundenakquisition, die billiger sei, als Flyer zu drucken und zu verteilen, meint Böhm. Von dem Dienst profitiere neben dem Restaurant aber auch der Kunde, der schneller qualitativ hochwertige Angebote finde.
In den ersten 30 Tagen wurden nach Angaben Böhms in Wien bereits Bestellungen im Wert von mehr als 20.000 Euro über Mjam.at abgewickelt. Das Gros der Aufträge machten mit rund 40 Prozent Pizzas aus, gefolgt von indischer und asiatischer Küche.
Weiterentwicklung und mobile Dienste
Neben der internationalen Expansion arbeitet das Mjam-Team auch an der Weiterentwicklung des Angebots. Ideen dazu gebe es genug, sagt Böhm. Künftig sollen etwa auch Gruppenbestellungen über Mjam.at getätigt werden können. "Man wird sich dann gemeinsam von verschiedenen Computern oder mobilen Geräten in einen 'Warenkorb' einloggen können", kündigt Böhm an. Das gemeinsame Bestellen solle das mitunter mühsame Sammeln mehrerer Bestellungen in Büros über "Papierlisten" überflüssig machen.
Auch an einer mobilen Mjam-Applikation für das iPhone wird bereits gearbeitet. Sie soll in den nächsten Wochen veröffentlicht werden.
Die Zukunft sieht Böhm in mobilen Anwendungen: "Ich glaube, dass unsere Datenbasis ein toller Ausgangspunkt dafür ist, um in weitere Bereiche, die mit Geodaten und mobilen Diensten zu tun haben, hineinzuexpandieren."
"Start-up-Geschichten"
Im Rahmen der Serie "Start-up-Geschichten" berichten wir laufend über innovative Web- und IT-Unternehmen aus Österreich. Bisher erschienen:
(futurezone | Patrick Dax)