Internet-Sperren wieder auf dem Tisch
Nachdem sich das EU-Parlament mit großer Mehrheit gegen Internet-Sperren ausgesprochen hat, versucht es die französische Ratspräsidentschaft nun über den Ministerrat. Die zuständige Ratsarbeitsgruppe hat den entscheidenden Paragrafen, der solche Maßnahmen ausschließt, kommentarlos aus dem Telekompaket gestrichen.
Nach einigem Hin und Her hatte sich das EU-Parlament Ende September auf eine Fassung des Telekompakets geeinigt. Sodann ging der Entwurf zur Modernisierung dreier teilweise veralteter Richtlinien plangemäß in den Ministerrat.
Gleich aus der allerersten Fassung - das Dokument ist seit kurzem im Netz -, die aus dem Ministerrat bekanntwurde, wurde nun genau jene entscheidende Passage gestrichen, auf die sich eine große Mehrheit im Parlament letztendlich geeinigt hatte.
Artikel 32a
Dabei geht es um Artikel 32a [Amendment 166], in dem klar festgehalten wird, dass Maßnahmen, wie sie die französische Regierung von Präsident Nicolas Sarkozy seit gut einem Jahr durchzusetzen versucht, auf europäischer Ebene nicht eingeführt werden.
Dabei handelt es sich um das mittlerweile sattsam bekannte dreistufige Verfahren, das Internet-Sperren bei Verstößen gegen das Urheberrecht vorsieht ["Eins, zwei, drei - Internet abgedreht"].
Einfache Streichung
Dagegen hatte sich das Parlament ebenso klar ausgesprochen wie gegen die verpflichtende Filterung von Inhalten durch die Provider. Genau das aber verlangt Sarkozys nationaler Gesetzesentwurf, und genau deshalb wurde die betreffende Passage in der Ratsarbeitsgruppe "Telekommunikation und Informationsgesellschaft" einfach gestrichen.
Den Vorsitz im Ministerrat hat derzeit Frankreich inne, damit ist man auch in den Ratsarbeitsgruppen federführend.
Bekannte Sitten
Es geht also zu wie so oft in der jüngeren Vergangenheit, wenn die EU-Gremien Richtlinien vorbereiten, die auch das Internet betreffen: Das Parlament einigt sich nach längerer Diskussion auf eine bestimmte Fassung, im Ministerrat wird dann prompt versucht, jene Partikularinteressen durchzusetzen, die das Parlament gerade mehrheitlich verworfen hat.
Die strittigen Punkte
Im Fall des betreffenden Absatzes im Telekompaket, einem nach Ansicht aller politischen Lager insgesamt sehr wichtigen und gelungenen Novellenbündel, handelt es sich um eine Mischung aus Parteiinteresse und Branchenlobbyismus, ja eigentlich um französische Innenpolitik.
Die strittigen Punkte im Telekompaket sind nämlich jene, die auch in Frankreich am heftigsten umstritten sind.
Vorbild Vorratsdatenspeicherung
Im Fall der Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung war das nicht anders. Nachdem die britische Regierung unter Tony Blair keine Mehrheit gefunden hatte, um ein entsprechendes Gesetz im eigenen Parlament durchzubringen, versuchte man es über die EU.
Zusammen mit den Regierungen Frankreichs, Schwedens und Irlands und unter Billigung Deutschlands wurde das Vorhaben auf EU-Ebene angegangen. Die Bombenanschläge in der Londoner U-Bahn und in Madrid wirkten dabei als "Katalysator" im Entscheidungsprozess.
Das Prozedere
Während Änderungen im Prozedere des Werdens einer EU-Richtlinie stets ausgewiesen werden, wurde der folgende Paragraf durch den Ministerrat anmerkungslos gestrichen, als ob es ihn nie gegeben hätte, erklärt die britische Politologin Monica Horten in ihrer Analyse.
Der gestrichene Artikel 32a
"Member States shall ensure that any restrictions to users' rights to access content, services and applications, if they are necessary, shall be implemented by appropriate measures, in accordance with the principles of proportionality, effectiveness and dissuasiveness. These measures shall not have the effect of hindering the development of the information society, in compliance with Directive 2000/31/EC, and shall not conflict with citizens' fundamental rights, including the right to privacy and the right to due process."
Kooperation, französisch
Dazu komme noch eine ganze Reihe weiterer Änderungen im Text, die allesamt in die gleiche Richtung gingen, merkt Horten in ihrer Analyse an. Die vom Parlament gebilligte Kostenrückerstattung für Internet-Provider, wenn sie zur "Kooperation" verpflichtet werden, wurde gestrichen. Unter "Kooperation" versteht etwa die französische Regierung, dass Provider über eine neu zu schaffende Behörde verpflichtet werden, gewissermaßen auf Zuruf der "Rechteinhaber" - also der Medienindustrie - Mahnschreiben an ihre Kunden zu versenden.
Was geblieben ist
Im Text geblieben ist hingegen jene Richtlinienpassage, die durch das oben zitierte gestrichene Amendment erläutert wird. Nun heißt es also kommentarlos, die Provider seien zur "Kooperation" verpflichtet, ohne zu definieren, was "Kooperation" bedeutet.
In Frankreich versteht man darunter eben, dass der Zugang zum Internet gesperrt wird - eine Auslegung, über die sich der Ministerrat nicht einig ist. Neben Österreich haben auch Deutschland, Großbritannien, Irland und Ungarn Vorbehalte gegen die neue Version im Ministerrat angemeldet.
Die Position Österreichs
Anfang Oktober hatte sich der britische Premier Gordon Brown gegen Internet-Sperren ausgesprochen. Österreichische EU-Parlamentarier aus allen vier großen Fraktionen waren von Beginn an dagegen aufgetreten.
Der stellvertretende Vorsitzende der konservativen Fraktion im EU-Parlament, Othmar Karas [EVP], hatte sich im Gespräch mit ORF.at sicher gezeigt, dass die entsprechenden Passagen im Telekompaket den weiteren politischen Prozess nicht überleben würden.
Einer persönlichen Intervention Sarkozys hatte die EU-Kommission vor einer Woche eine prompte Abfuhr erteilt.
(Futurezone | Erich Moechel)