Teurer Fetisch E-Card-Foto

30.10.2008

Aus der Politik kommen regelmäßig Forderungen danach, die E-Card mit Fotos oder anderen Identifikationsmerkmalen auszustatten. Der häufig unterstellte Missbrauch der Karte hält sich nach Auskunft der Versicherer jedoch in sehr engen Grenzen. Allein die Aufbringung von Fotos auf die E-Cards würde mindestens 18 Millionen Euro kosten, wie Recherchen von ORF.at ergaben.

Der kürzlich ausgebrochene Disput, in dem sich Ärzteschaft und Hauptverband der Sozialversicherungsträger einmal mehr darüber streiten, ob die Fotos von Patienten zu Kontrollzwecken nun auf der E-Card oder doch in den EDV-Systemen der Ärzte gespeichert werden sollen, gleicht etwas einem absurden Theater.

Weder die Ärzte noch die Sozialversicherungen - also die beiden hauptsächlich Beteiligten - hatten dieses zusätzliche Erkennungsmerkmal auf der E-Card ursprünglich verlangt. Die Forderung war vielmehr stets von der Politik gekommen, die Begründung ist dabei mehr als fragwürdig.

Ärzte und Patienten

Zum einen kennen Haus-, aber auch Fachärzte in der Regel die meisten ihrer Patienten. Spätestens dann, wenn sie während der Untersuchung Computer oder Kartei zwecks Durchsicht der Krankengeschichte zurate ziehen, sind auch die nicht sofort bekannten Patienten schnell wieder zugeordnet.

"Und sollte der Arzt wirklich Zweifel an der Identität eines Patienten haben, kann er jederzeit einen Ausweis verlangen", sagte Dieter Holzweber vom Hauptverband der Sozialversicherungsträger zu ORF.at.

Bei verlorener oder gestohlener E-Card genüge ein Anruf bei der Hotline, und die Karte werde sofort im System deaktiviert.

Fotografie und Pflegefälle

So viel zur Identifikation, wie sie seit jeher üblich sei. Ein zusätzliches Identifikationsmittel in Form eines Fotos auf die E-Card zu applizieren stelle an sich kein Problem dar, so Holzweber.

Die aktuellen Kosten von zwei Euro pro E-Card würden durch die zusätzliche Aufbringung eines Fotos nicht wesentlich steigen, sie betragen etwa zehn Prozent pro Karte. Die wahren Kosten lägen nämlich woanders.

Da die Datenbanken der Sozialversicherungen keine Fotos enthalten, müssten von etwa sechs Millionen Österreichern über 14 Jahren Lichtbilder beschafft werden, sagt Holzweber. "Wir haben in Österreich allein 300.000 Pflegefälle in Heimen, bitte wer fotografiert uns die?"

18 Mio. Euro für Fotos

Nach den Erfahrungen in Deutschland, wo Bundesländer-Krankenkassen bereits die Fotos von Patienten einholen müssen, fielen, sehr konservativ geschätzt, allein für die Einführungsphase drei Euro pro Karte an.

Bei sechs Millionen E-Cards seien das 18 Millionen Euro, "und die wollen wir für etwas Sinnvolleres, nämlich für Gesundheitsdienstleistungen ausgeben", so Holzweber.

Was aber ist mit den Passdaten im Innenministerium? Hier liegen ja etwa drei Millionen Bilder von Passinhabern vor.

Vernetzung mit dem Innenministerium

"Nach der derzeitigen Rechtslage können wir nicht auf die Server des Innenministerium zugreifen", sagt Holzweber. Und: "Wollen das die Österreicher wirklich, dass die Datenbanken von Sozialversicherung und Innenministerium solcherart vernetzt werden?"

Seitens des Lieferanten der E-Cards, Giesecke & Devrient, wurden die Angaben Holzwebers bestätigt. Personalisierung in Form von Fotos sei zum einen ein weiterer Arbeitsschritt bei der Herstellung, zum anderen liege der logistische Aufwand für die Bildbeschaffung bei den ausführenden Organen, also den Sozialversicherungen.

"Wir selbst können ja nicht an die Datensätze der Versicherten rangehen, das kann nur eine autorisierte Institution tun", sagte eine Sprecherin der Münchner Firma zu ORF.at.

Im faktenfreien Raum

Von Beginn an ist die gesamte Diskussion, die sich am angeblichen organisierten Missbrauch von E-Cards entzündete, fast völlig im faktenfreien Raum verlaufen.

Wie eine Archivrecherche ergab, stammten die ersten in Zusammenhang mit Missbrauch der E-Card genannten Zahlen von FPÖ-Chef

Heinz-Christian Strache. Vor ziemlich genau einem Jahr hatte Strache in der ORF-"Pressestunde" einen jährlichen Schaden durch betrügerisch

verwendete E-Cards von 80 Millionen Euro angegeben. Angebliche Verursacher: Ausländer.

Schätzungen statt Zahlen

Den Aussagen Straches lagen allerdings überhaupt keine Zahlen aus Österreich zugrunde, vielmehr operierte der FPÖ-Chef mit Angaben aus

der Schweiz und Deutschland sowie mit Schätzungen. Strache musste das dann auch zugeben.

Den vielfach - besonders auf bestimmten Leserbriefseiten - kolportierten Erzählungen von organisiertem Missbrauch und E-Card-Tourismus steht so eine Faktenlage gegenüber, die äußerst dünn ist.

"Jeder kennt irgendwen, der einen besonders schweren Fall von Missbrauch kennt", sagt auch Holzweber. Man tue sich bloß extrem schwer, diese Fälle auch zu verifizieren.

Fünf Fälle seit 2005 in Salzburg

Eine Untersuchung der Salzburger Gebietskrankenkasse aller Versicherungsfälle von 2005 bis 2007 konnte im Sommer gerade einmal fünf Missbrauchsfälle mit "insgesamt geringem Schadensbetrag" an den Tag bringen.

Auch beim Hauptverband, über den die Abrechnungen der Sozialversicherungen laufen, konnte man auf Nachfrage von ORF.at keinerlei Hinweise auf organisierte, große Betrügereien finden, obwohl man diese mit relativ einfachen statistischen Methoden unschwer entdecken müsste.

In Reaktion auf Forderungen von FPÖ und BZÖ hatte Gesundheitsministerin Andrea Kdolsky [ÖVP] 2007 zwischenzeitlich sogar verlangt, Fingerabdrucksdaten auf der E-Card aufzunehmen. Nach einer Woche - so lange hatte man offenbar für eine Kostenschätzung gebraucht - war dieser Plan im Gesundheitsministerium wieder verworfen worden.

Die Funktionen der E-Card wiederum sollen in den kommenden Monaten deutlich erweitert werden, in Pilotprojekten wird sie bereits für elektronische Überweisungen von Patienten genutzt.

Auch Krankmeldungen werden schon bald direkt vom Arzt an den Sozialversicherungsträger gehen.

(futurezone | Erich Moechel | Fact Check: Juk06, FH Joanneum, Graz)