Suche und Macht

06.11.2008

Die Konferenz "Deep Search", die am Samstag in Wien stattfindet, untersucht die gesellschaftliche Macht der Suchmaschinen. ORF.at hat mit den Konferenzveranstaltern Konrad Becker und Felix Stalder vom World Information Institute über digitale Wissensordnungen, Bürgerrechte bei Google und Paranoia als Erkenntnisinstrument gesprochen.

ORF.at: Mit der Konferenz "Deep Search" wollen Sie gesellschaftspolitische Auswirkungen von digitalen Suchtechnologien thematisieren. Wie lässt sich das Feld abstecken?

Becker: Es hängt vieles mit vielem zusammen, das macht die Thematik sehr spannend. Uns interessiert vor allem die Frage der Kategorisierung und Klassifizierung als zivilisatorisches Instrument, aber auch als Missbrauchsinstrument.

Stalder: Wir haben vier Schwerpunkte in der Konferenz. Zum einen versuchen wir, die Vorstellung des revolutionären Wandels, der in der Verfügbarkeit von Information über Google und andere Suchmaschinen besteht, in einen historischen Kontext zu stellen und Kontinuitäten und Brüche festzustellen.

Wir fragen auch nach dem Zusammenhang von Suchen und Bürgerrechten. Einerseits stellt sich da die Frage nach der Privatsphäre und des Wissens über den Suchenden, das auf der Seite der Suchmaschine angehäuft wird. Andererseits stärkt die durch die Suchmaschinen gegebene Möglichkeit über sehr spezifische Informationen zu verfügen auch zivilgesellschaftliche Akteure. Lose organisierte Gruppen, etwa NGOs, können so den Informationsvorsprung gegenüber großen Organisationen verringern.

Wir versuchen auch herauszufinden, auf welche Art und Weise sich bei Suchmaschinen neue Machtzentren bilden. Es gibt etwa den Begriff des Gatekeepings, der aus der Kommunikationswissenschaft kommt, und eigentlich Redaktionen beschreibt, die entscheiden, was ins Radioprogramm, in eine Zeitung oder auf eine Website kommt. Auch Suchmaschinen wählen aus einer großen Anzahl von Informationen kleinere Subsets aus. Allerdings wird die Auswahl algorithmisch - und nicht semantisch oder auf Inhalte bedacht - gesteuert. Gleichzeitig sind Suchmaschinen offene Systeme und können zu einem gewissen Grad beeinflusst werden. Bei Suchmaschinen findet das Gatekeeping auf der Ebene der Konstruktion, des Algorithmus, statt. Wir stellen die Frage, was es bedeutet, wenn sich Auswahlprozesse auf diese Ebene verlagern.

Eine weitere zentrale Frage bei der Konferenz wird jene nach der Darstellung des Wissens durch Suchmaschinen sein. Dabei wollen wir auch alternative Darstellungsformen vorstellen.

Bei der von den Medienforschern Becker und Stalder kuratierten Konferenz "Deep Search" sind unter anderen Paul Duguid von der US-Universität Berkeley, der Medienwissenschaftler Richard Rogers [Universität Amsterdam], Theo Röhle von der Uni Hamburg und der österreichische IT-Journalist und Autor von "Die Google-Falle", Gerald Reischl, zu Gast.

"Deep Search" findet am Samstag, dem 8. November, im Wiener Hotel Savoyen [Rennweg 16, 3. Bezirk] von 10.30 Uhr bis 20.00 Uhr statt. Der Eintritt ist frei. Detaillierte Informationen zum Programm finden sich auf der Website zur Konferenz.

ORF.at: Wie haben digitale Suchmaschinen die Ordnung und Organisation von Wissen verändert?

Becker: Die Frage, wie ich Informationen ordne, war schon in den Bibliotheken des Altertums ein Problem. Es ist charmant, sich rückblickend anzusehen, was es für Kategorisierungsvorstellungen gab. Klassifizierungsysteme sind immer auch ein Spiegelbild des Weltbilds der jeweiligen Zeit. Und diese Art von "Blind Spots" setzt sich in einem exponentiell größeren Rahmen in der digitalen Erfassung von Daten fort.

Diese Weltbilder auf die digitalen Anwendungen hin zu untersuchen, ist sicherlich eine Herausforderung. Wie werden diese Datenflüsse und Datenbestände gelenkt, prozessiert und sichtbar gemacht? Wir sprechen hier über eine Datenmenge, die rein physikalisch nicht mehr zu bewerkstelligen ist. Das ist auch der Punkt, wo eine Intransparenz entsteht. In einer Bibliothek kann man noch in den Keller gehen und die Regale durchsuchen. Bei Datenbeständen, wo es um Milliarden Datensätze geht, ist das in einer Lebenszeit gar nicht mehr möglich. Es gibt also einen Kompetenztransfer an Maschinen, die weitgehend als Blackbox funktionieren.

Diese Technologien sind aber auch für staatliche Nachrichtendienste und Sicherheitsagenturen von hohem Interesse. Wir kommen hier in einen Bereich, wo wir es mit den Technologien der Kontrollgesellschaft zu tun haben. Im Gegensatz zu historischen Formen der Sicherheitsarchitektur sind hier Algorithmen und Software-Systeme bestimmend, die weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit zur Anwendung kommen.

ORF.at: Die Organisation von Wissen ist immer auch eine Machtfrage. In Klassifizierungen fließen immer gesellschaftliche Machtverhältnisse ein. Bietet die Folksonomy, die kollaborative Verschlagwortung von Informationen [Tagging] durch Nutzer, wie sie in Social-Media-Plattformen zur Anwendung kommt, eine Möglichkeit, diese Machtverhältnisse zu relativieren?

Stalder: Eine der wichtigsten Veränderungen in der Strukturierung des Wissens ist, dass diese Strukturierung selbst dynamisch wird. Ein Bibliothekskatalog ist ein hierarchisches System mit Unterklassifizierungen, in dem jedes Objekt nur einen Platz hat. Was wir jetzt haben, sind Systeme, in denen die Ordnung ad hoc entsteht.

Die Möglichkeit, ein eindeutiges Ordnungssystem zu schaffen, ist von der Quantität und der Dynamik und auch kulturpolitisch nicht mehr möglich. Die Idee der stabilen Ordnung wird durch dynamische Ordnungen abgelöst. Es gibt eine Vielzahl von Blickwinkeln. Folksonomys erlauben es, damit pragmatisch umzugehen.

Becker: Durch das Tagging wird einerseits eine breitere Streuung von heterogenen Meinungen ermöglicht. Andererseits werden auch die dümmsten Formen von Tribalismus und Modeerscheinungen verstärkt. Das ist ein zweischneidiges Schwert.

ORF.at: Die Praktiken des Suchmaschinenmarktführers Google sind zuletzt massiv in die Kritik geraten. Google wird exzessives Datensammeln vorgeworfen. Kritiker entwerfen auch Bedrohungsszenarien, die mitunter paranoide Züge annehmen - Stichwort Weltherrschaft. Kann man da mit William S. Burroughs sagen, dass Paranoia nur bedeutet, dass man alle Fakten hat ["Paranoia means having all the facts"]?

Becker: Paranoia ist ein Triebwerk jeglicher wissenschaftlicher Neugier. Als Wissenschaftler ist man dazu angehalten, Zusammenhänge zu erkennen, die zunächst nicht offensichtlich sind. Wir versuchen aber, uns nicht so sehr auf Google zu konzentrieren, weil es bei allen tatsächlichen oder unterstellten Weltherrschaftsplänen sicher auch andere historische und gesellschaftliche Dynamiken gibt, die hier am Werk sind.

Stalder: Paranoia entsteht sicherlich auch aus einer falschen Konzeptionierung dessen, was die spezifische Macht von Suchmaschinen ausmacht. Die Frage nach der Überwachung und der Gefahr für die Privatsphäre sind sicherliche keine paranoiden Angelegenheiten. Wobei jedoch völlig unklar ist, was Google mit persönlichen Daten macht oder machen kann.

Google ist sehr stolz auf die Möglichkeit der Personalisierung. So weit ich sie sehe, ist sie jedoch recht minimal. Ich finde nicht, dass sie wahnsinnig clever sind. Vieles ist auch Marketing. Google muss ja sagen, dass sie wissen, was jeder Einzelne will. So verkaufen sie ihre Produkte.

ORF.at: Welche Bedeutung schreiben Sie Suchmaschinen wie dem vom Wikipedia-Gründer Jimmy Wales gestartete Suchdienst Wikia zu, der seine Algorithmen offenlegt und maschinelle Intelligenz mit Bewertungen und Einträgen von Nutzern verbinden?

Stalder: Ich halte Wikia für nicht sehr hoffnungsvoll, aber Wikipedia hat auch alle überrascht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Wikia skaliert. Bei Wikipedia ist es eine relativ kleine Anzahl von Leuten, die den überwiegenden Teil der Arbeit machen. Die Wikipedia hat den relativen Vorteil, dass sie ein einigermaßen statisches Universum ist. Die Klassifikation von Information im Netz ist jedoch extrem dynamisch. Eine Bewertung von gestern zählt heute nicht mehr viel.

Das Geniale an Google ist eben, dass es wahnsinnig skaliert. Yahoos früherer Ansatz, Verzeichnisse zu erstellen, kommt da nicht mehr mit. Ich bin auch skeptisch, ob es Wikia gelingt, wirklich die für die Suche notwendige Infrastruktur zu betreiben.

ORF.at: Vom semantische Web, das es Maschinen ermöglichen soll, Bedeutungen zu erfassen, wird seit Jahren geredet. Welche Rolle werden semantische Technologien in der Internet-Suche spielen - welche Gefahren oder auch positive Potenziale bringt die Weiterentwicklung solcher Technologien mit sich?

Becker: Im schlimmsten Fall wird die Zentralperspektive auf Wissen über diese Technologien wieder eingeführt. Semantische Technologien wollen technisch ein Netz von logischen Verknüpfungen von Bedeutung schaffen. Es gibt auf einer philosophischen Grundlage sehr viel Zweifel und Kritik, inwieweit das überhaupt möglich sein kann. Im Endeffekt ist Bedeutung etwas wenig Greifbares etwas, das ständig im Fluss ist.

Sehr viel dieser in ihren Resultaten noch nicht wirklich überprüfbaren Forschung geht davon aus, dass regionale Wissensfelder durch semantischen Verknüpfungen geordnet werden sollen - ich habe den Eindruck, dass ihnen das nur in sehr begrenzten Wissensgebieten auch nur einigermaßen überzeugend gelungen ist. Etwa in der Pharmazie und Jurisprudenz, wo ein extrem starker Corpus von definierten Bedeutungen existiert.

Stalder: Ein semantisches System, das sich wie ein Bibliothekskatalog über alles drüberlegen lässt, ist unmöglich, außer in sehr engen Gebieten. Ein interessanter Aspekt ist jedoch, dass sich die im Moment nach wie vor technologisch sehr stark definierten Grenzen zwischen den Medien auflösen.

Textsuche ist heute viel präziser als etwa die Bildersuche und die Videosuche. In dem Moment, wo die verschiedenen Medien über Annotationssysteme ähnlich erfassbar werden, wird die Bedeutung von Text in Wissenssystemen und Wissensordnungen relativ zu den anderen abnehmen. Semantische Metadatenansätze haben das Potenzial, eine wirklich multimediafähige Wissenslandschaft zu kreieren.

ORF.at: Welche Anforderungen sollten an digitale Suchsysteme gestellt werden, damit sie mit demokratischen Wissensordnungen vereinbar sind?

Stalder: Die entscheidende Frage ist jene nach der Konstruktion der Algorithmen. Nach welchen Kriterien wird der Index durchpflügt? Die Vorstellung, dass auf dem Index verschiedene Algorithmen nebeneinanderlaufen können, ist eine Forderung. Ich will nicht sagen, dass sie sehr realistisch ist. Von der Denkrichtung her, ist es eine der besten Ideen, die mir bisher unterkommen ist. Warum soll es nur den auf Popularität basierenden Google-Pagerank geben? Warum ist das das einzige Kriterium, nach dem wir den Index durchsuchen können? Es gibt unendlich viele andere Vorstellungen, wie man so etwas machen könnte.

Ein weiterer zentraler Punkt ist die Frage der Privatsphäre. In irgendeiner Weise brauchen wir Rahmenbedingungen, um zu klären, wie mit den potenziell sehr detaillierten Wissen über Personen umgegangen wird. Die Forderung, dass Google unsere Privatsphäre respektieren muss, ist hingegen sinnlos. Wir wollen ja zu einem gewissen Grad personalisierte Dienstleistungen. Es ist nicht per se schlecht, dass sie etwas über uns wissen, und uns eben diese Dienstleistungen anbieten können. Ähnlich wie es nicht per se schlecht ist, dass der Arzt unsere Krankengeschichte weiß. Die Frage ist aber, was Google damit machen darf. Hier wäre ein effektiver Kontrollmechanismus notwendig. Etwa dass die Daten nicht für Marketingzwecke verwendet werden oder an die Staatssicherheit weitergegeben werden dürfen.

Eine andere Frage ist, welche Informationen überhaupt öffentlich zugänglich sind. Das hat viel mit Urheberrechten und der ganzen Ökonomie des Wissens zu tun. Man kann etwa einen Großteil der wissenschaftlichen Publikationen nur lesen, wenn man Mitglied einer gut geförderten wissenschaftlichen Institution ist. Das ist ein Skandal und undemokratisch.

Becker: Es ist schwierig auf einer technischen Ebene Forderungen zu stellen. Dazu verändert sich das Feld zu schnell. Es ist jedoch wichtig, Maßnahmen zur Bewusstseinsbildung zu setzen.

Dazu müssten unabhängige, kritische, zivilgesellschaftliche Institutionen, die Prozesse der Reflexion stützen und durchführen können, gefördert werden. Daraus würden sich sicherlich spannende Möglichkeiten ergeben, andere Perspektiven herauszuarbeiten.

Zum Thema:

(futurezone | Patrick Dax)