Ein Agent gegen ECHELON
Es klinge zwar merkwürdig, meint Nicky Hager, aber
die Rolle eines Journalisten, der über die Tätigkeiten der Nachrichtendienste berichte, sei weniger die eines neutralen Berichterstatters als vielmehr "die eines Agenten für die Demokratie".
Was die Dienste nämlich am meisten scheuten, seien öffentliche Diskussionen über ihre Tätigkeit per se.
Den im September startenden
Untersuchungsausschuss des EU-Parlaments sieht der neuseeländische Geheimdienst-Analyst als eine einmalige Gelegenheit für Journalisten, diesen gigantischen Überwachungskomplex zu dokumentieren.
Es gelte jetzt, die öffentliche Aufmerksamkeit zu nützen. "Wenn wir es es nicht tun, hier in diesen relativ freien Ländern", sagte Hager am Donnerstag vor Journalisten der FuZo und anderen Medien sowie Vertretern mehrerer Usergroups, "wer dann bitte sonst?"
ECHELON im EU-ParlamentDer Schmerz im Nacken des Establishments
Hager selbst, den der neuseeländische Ex-Premierminister David Lange einmal als "pain in the neck of the establishment" bezeichnet hat, kam mit dem Thema just im Jahr 1984 durch Zufall in Kontakt.
Bei einem Ausflug mit Freunden landete man an der kleineren der beiden neuseeländischen ECHELON-Stationen, Tangimoana, und wunderte sich, wie viel Technik made in USA da kaum bewacht im Freien stand. Vor allem aber: zu welchem Zweck?
Die Nummernschilder der in Tangimoana abgestellten Wagen waren die ersten Daten, die Hager zu ihren Besitzern zurückverfolgte.
Die stellten sich sehr bald als Agenten des "Government Communications Security Bureau" [GCSB] heraus - eines Geheimdienstes, der bis dato in Neuseeland offiziell nicht existierte. Seit der Publikation von Hagers Buch "Secret Power" [1996], das eben in dritter Auflage erscheint, ist das neuseeländische GCSB
der wohl am eingehendsten dokumentierte Geheimdienst der Welt.Fakten vom anderen Ende
Die weitaus meisten bekannt gewordenen Fakten zum Abhör-Komplex stammen nämlich nicht etwa aus Großbritannien oder den USA, sonder ausgerechnet vom kleinsten der ECHELON-Partner am anderen Ende der Welt.
In jahrelanger Kleinarbeit verglich Hager die in Neuseeland öffentlich einsehbaren Listen aller Staatsangestellten mit den Telefonlisten des Verteidigungsministeriums.
Dazu führte er ausgedehnte Interviews mit ehemaligen Mitarbeitern des GCSB und klagte unter der neuseeländischen Variante des in allen angelsächsischen Ländern gebräuchlichen "Freedom of Information Act" die Herausgabe von Dokumenten ein.
Geschwärzte Dokumente
"Meist unter Berufung auf den Schutz der Beteiligten waren diese
Dokumente bis auf wenige Worte zugeschwärzt", sagt Hager, "das ging
jahrelang so dahin, und niemand vom GCSB wunderte sich offenbar,
dass ich nicht aufgab." Das hatte seine guten Gründe. Auf weite
Strecken waren die Dokumente lesbar, wenn das Licht in richtigem
Winkel auf sie fiel.
Lange Listen von Agenten
Die Resultate waren jedenfalls dazu angetan, dass Hager nicht nur dem eigenen Geheimdienst auf die Nerven ging, sondern auch der mächtigen "National Security Agency" zum Schmerz im Nacken wurde.
Angesichts eines Buches, das die Geschichte des globalen ECHELON-Netzwerks von 1948 bis heute in allen Details schildert und - lange bevor Derartiges im Internet in Mode kam - Organigramme und Namenslisten der Mitarbeiter des GCSB veröffentlichte, mutet es seltsam an, dass Hager nie etwas passiert ist.
Gewissermaßen als Draufgabe drang er nach dem Erscheinen des Buchs zusammen mit einem Fernsehteam in die ECHELON-Station Waihopai ein und filmte technisches Equipment aus dem Inneren. Der Film wurde dann im neuseeländischen Fernsehen ausgestrahlt.
Dass Nicky Hager, dessen jüngstes Buch die durchaus brutalen Infowar-Konzepte eines pazifischen PR-Verbands gegen lokale Umweltschutzgruppen im Zentrum hat, sich als Agent für die Demokratie versteht, hat wohl auch mit seinem Besuch in Österreich zu tun. Im Jahr 1938 verließ sein Vater Österreich und siedelte sich in Neuseeland an.
Die Proteste gegen Waihopai