06.11.2000

HINTERGRUND

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Die Musikindustrie der Zukunft entsteht

Rund eine Woche nach dem spektakulären Napster-Deal macht Bertelsmann-Chef Thomas Middelhoff mit einschneidenden Maßnahmen deutlich, dass er seinen Medienkonzern ernsthaft nach den Bedürfnissen des Netzzeitalters umbauen will.

Wie tief greifend die geplanten Veränderungen sind, wird unter anderem daran deutlich, dass die beiden Topmanager von Bertelsmanns Musiksparte BMG das Unternehmen verlassen werden - und das offensichtlich nicht im Einvernehmen.

Künftig werden drei strategische Geschäftsfelder definiert: Inhalte [Content], mediennahe Dienstleistungen [Media Services] und Kundenbetreuung [Direct-to-Customer].

Management-Opfer

Die BMG-Musikinhalte gehen in den Bereich Content, die Produktion geht über in die Dienstleistungssparte und die Musicclubs übernimmt die E-Commerce-Gruppe. Bei BMG bleibt die Entdeckung und Betreuung von Talenten.

Da das nur ein Bruchteil des bisherigen Geschäfts ist, werden die bisherigen Verantwortlichen mit diesen Schritten glatt vor den Kopf gestoßen.

Ein Umbau des Musikgeschäfts und die Teilung in den Bereich Inhalte und Kreative auf der einen und Vertrieb auf der anderen Seite entspricht allerdings den bisher von der Musikindustrie gescheuten Maßnahmen, die offensichtlich nötig sind, um die Branche für das Geschäft im Netz fit zu machen.

Signalwirkung

Der radikale Umbau Bertelsmanns dürfte allerdings nicht auf den Musiksektor beschränkt bleiben: In einem Interview vom Wochenende kündigte Middelhoff bereits die Ausweitung des Napster-Angebotes auf andere Inhalte wie E-Books und Videos an.

Bertelsmann dürfte mit der geplanten Umstrukturierung die gesamte Branche in Zugzwang bringen: Die bisherigen Gehversuche der Musikindustrie im Netz waren nach einhelliger Meinung nur halbherzige Projekte, die im Umfeld von Services wie Napster keine echten Erfolgschancen hatten.

Auch der bislang radikalste Versuch der Muiskdistribution im Netz eines Majors [Universals Musik-Abo], sieht neben der kompletten Umstrukturierung aller Bertelsmann-Aktivitäten unvollständig aus.

Und da die Musikindustrie als Testfall für die Filmindustrie gilt, die wegen der Bandbreiten-Beschränkung die gleiche Entwicklung zeitverzögert nachvollzieht, sollte das Bertelsmann-Modell Signalwirkung für die gesamte Kulturindustrie haben.

Auf der Strecke

Der langjährige Bertelsmann-Manager Michael Dornemann, Chef der BMG, wird das Unternehmen zum Jahresende verlassen.

Er war einst vom damaligen Bertelsmann-Chef Mark Wössner auch als Kronprinz gehandelt worden, doch hatte er gegen den dynamischen Kommunikator Thomas Middelhoff, der den Konzern seit Ende 1998 führt, keine Chance.

Die Vorbereitungen für die Umstellung des Unternehmens gingen an ihm bereits weitgehend vorbei. Deshalb überraschte die Entscheidung Dornemanns Eingeweihte kaum.

Interessanter ist schon die Tatsache, dass auch der bislang als Nachfolger gehandelte BMG-Präsident Entertainment, Strauss Zelnick, ebenfalls das Handtuch warf.

Zelnick galt hausintern als außerordentlich ehrgeizig und ging keinem Konflikt aus dem Weg. Diesem Machtkampf fielen gleich mehrere hochverdiente Manager zum Opfer, zuletzt der legendäre Chef und Gründer des zu BMG gehörenden Arista-Labels, Clive Davis. Der hatte für den Konzern so herausragende Talente wie Whitney Houston und Carlos Santana entwickelt, die entsprechend verärgert auf den Rausschmiss reagierten. Ein anderes Zelnick-Opfer war Rudi Gassner, einer der Gründer der BMG und bei den Mitarbeitern beliebter Auslandschef. Der gab 1998 entnervt auf und folgte dem Ruf als Aufsichtsratsvorsitzender der Edel Musik AG in Hamburg. Er ist der neue BMG-Verantwortliche und zieht in den Vorstand der Bertelsmann AG ein.