ECHELON blockiert Cybercrime-Abkommen
Es hatte lange Zeit ganz danach ausgesehen, als würde sich außer zwei Dutzend besorgten Civil-Liberties- und Bürgerrechtsorganisationen niemand öffentlich dafür interessieren, was die Experten des Komitees "Crime in Cyber-Space" [PC-CY] beim Europarat an Plänen zur grenzüberschreitenden Suche in digitalen Netzen und Datenbanken ausgearbeitet hatten.
Der wie alle anderen hinter verschlossenen Türen zwischen Lobbyisten und gesetzlich ermächtigten Behörden ausgehandelte Entwurf Nr. 22, Revision zwei, ist nach einem Monat seiner Publikation in weiten Teilen den Speicherplatz nicht mehr wert, den das Dokument einnimmt.
Abrücken von "engagierten Lösungen"
Nach dem letzten G7-Gipfel habe es ein Abrücken der Großen von
"engagierten Lösungen" gegeben, erfuhren wir aus dem
österreichischen Justizministerium. Rund um das Abkommen sei nun
wieder "das Sensible raus" und "alles im Fluss".
In mehreren Punkten keine Einigung
Das deckt sich mit anderen Informationen aus dem Bereich IT-Industrie [siehe nächster Teil], die der FutureZone vorliegen, denn das Abkommen soll gleich in mehreren sensiblen Punkten aus verschiedenen Gründen vorläufig gescheitert sein.
Der politisch Sensibelste dabei heißt wieder einmal ECHELON und anverwandte nationale, militärische Spionagesysteme.
Für diese Staaten hatte man im Artikel drei "Illegales Abfangen von Daten" [illegal interception] eine fast österreichisch anmutende Ausnahmeregelung gefunden, deren Schlitzohrigkeit sich letztlich gegen die hauptsächlichen Betreiber der Lauschsysteme kehrte.
Offener Brief an den EuroparatWirtschaftsspionage ist "unlauter"
Ganz offensichtlich wurde den Beteiligten erst in der vorliegenden Fassung 22.2 klar, welchen Sprengstoff Artikel drei, der nationale Gesetze gegen illegales Abfangen von Daten aus nicht öffentlichen Computernetzen und so genannte Tempest-Angriffe einfordert, in sich birgt.
Der Zusatz, dass sich jeder Staat selbst eine Ausnahmeregelung von Artikel drei genehmigen könne, wenn zwar diese Delikte begangen würden, dies aber nicht mit "unlauteren Absichten" [dishonest intent] geschehe, war offenbar der Auslöser
Der Begriff "unlautere Absichten" wird in seiner Brisanz nämlich erst dann erkennbar, wenn man weiß, dass darunter schlicht "Wirtschaftsspionage" zu verstehen ist.
Will heißen:
Das ist die Argumentation der Amerikaner und Briten, seit die
Existenz von ECHELON nicht mehr in Abrede zu stellen ist. Diese
Versicherung, keine Wirtschaftspionage zu betreiben, konterkariert
freilich etwa das Ermächtigungsgesetz für die britischen General
Communication Headquarters [GCHQ] von 1994. Eines der Ziele dieses
Militärgeheimdienstes sei, "das ökonomische Wohlergehen des United
Kingdom in Beziehung zu Aktionen oder Ansichten von Personen
außerhalb der britischen Inseln" zu fördern.
Unterschiedliche Auffassungen
Unterschiedliche Auffassungen darüber, inwiefern die nationalen Legislaturen - besonders in Großbritannien, den USA, Frankreich, Deutschland und Japan - das Abfangen von Daten zum Vorteil der eigenen Wirtschaft als "unlauter" einstuften, brachten den gesamten Komplex rund um Artikel drei damit zu Fall.
Die Möglichkeiten des grenzüberschreitenden Durchsuchens von Datenbanken und -netzen [trans border search] im Zuge der Bekämpfung von "Cybercrime" sollten in den nächsten Versionen des Dokuments stark beschränkt werden - quasi auf den ohnehin öffentlichen Bereich.
Mehr Hintergünde über den Widerstand der IT-Industrie gegen anderen Punkte des Abkommen folgen im zweiten Teil.