Die neuen Allianzen im Online-Musikbiz
Nachdem die Musikindustrie jahrelang starr vor Schreck auf das Phänomen der MP3-Tauschbörsen im Internet geblickt hat, scheint sie nun wild entschlossen, den sich abzeichnenden Milliarden-schweren Online-Musikmarkt zu erschließen.
Den Beginn hatte im Oktober 2000 Bertelsmann mit dem Einstieg bei Napster gemacht. Sony und Vivendi folgten mit "Duet".
Nun geht es Schlag auf Schlag: Diese Woche wurde gleich eine ganze Reihe von neuen Allianzen und Initiativen zum Online-Vertrieb von Musik bekannt gegeben.
Nachfolgend eine chronologische Auflistung einer der turbulentesten Wochen im Online-Musikbereich seit es Napster gibt:
Montag, 2. April 2001:
Bertelsmann, AOL Time Warner und EMI kündigen zusammen mit
RealNetworks ein gemeinsames kostenpflichtiges Angebot zum
Herunterladen von Musik aus dem Internet an. Das gemeinsame
Unternehmen soll im Spätsommer unter dem Namen "MusicNet" starten
und Musiktitel per Abonnement über das Internet verkaufen.An
MusicNet werden voraussichtlich zu 40 Prozent RealNetworks und
jeweils zu 20 Prozent Bertelsmann, AOL Time Warner und EMI beteiligt
sein. MusicNet wird Lizenzen aber auch an andere Abo-Dienste wie den
Bertelsmann-Partner Napster verkaufen. Voraussetzung sei aber, dass
Napster ebenso wie andere Interessenten Urheberrechts- und
Sicherheitsbedenken nachkomme. "MusicNet" soll nach dem Willen
seiner Betreiber die Grundlage zum sicheren Vertrieb von Musik im
Internet bilden, wobei RealNetworks die Technologie beisteuern wird.
MusicNet
Mittwoch, 4. April 2001:
Microsoft kündigt an, mit MSN Music ein eigenes Musikportal
einzurichten. Die Nutzer können über diese Seite Musik suchen, hören
und anschließend eine Audio-CD bestellen.
Donnerstag, 5. April 2001:
Yahoo schließt eine Allianz mit der Internet-Musikplattform
"Duet" der Medienkonzerne Sony und Vivendi Universal. Yahoo-User
könnten ab dem Sommer, wenn Duet starte, über das Internet Musik
abrufen, teilte Yahoo dazu mit. Den Nutzern stehe dann eine Vielfalt
von Liedern online zur Verfügung, ohne das die Urheberrechte der
Künstler dabei verletzt würden.
"Duet" startet im Sommer
Zugleich gab die amerikanische MTVi-Gruppe bekannt, ein eigenes Service zum Herunterladen von Musiktiteln aus dem Internet gestartet zu haben. Bis Ende April sollen 10.000 Titel der großen Labels online verfügbar sein, die kostenpflichtig über die Internet-Seiten der Musiksender MTV und VH1 angeboten werden. Den Angaben zufolge haben die fünf weltgrößten Plattenfirmen: Vivendi Universals Universal Music Group, Sony Music Entertainment, die zu AOL Time- Warner gehörende Warner Music Group, BMG Entertainment der Bertelsmann AG und die EMI Group ihre Titel für das neue Service lizenziert.
MTViFreitag, 6. April 2001:
EMusic, einer der ältesten Musikanbieter im Internet, hat nach
eigenen Angaben einen vorläufigen Vertrag zum Verkauf des
Unternehmens samt seiner Musikdateien an einen großen Medienkonzern
geschlossen. In den mit den Verhandlungen vertrauten Kreisen hieß
es, bei dem Interessenten handle es sich um die Universal Music
Group, dem weltgrößten Musikkonzern, der zum französischen
Unternehmen Vivendi Universal gehört. Die "Washington Post"
berichtet, Universal beabsichtige, EMusic für die
Internet-Musikplattform "Duet" zu nutzen, zu der es sich mit Sony
zusammengeschlossen hat. Derzeit umfasst der Online-Katalog von
EMusic rund 13.000 Musikalben. Für das Herunterladen eines Titels im
MP3-Format verlangt das Unternehmen 99 US-Cents, für ein gesamtes
MP3-Album 8,99 USD. Ende März hatte EMusic 10.000 Monats-Abonnenten.
Drei Monate zuvor waren es nur 4.500.
Analysten sind skeptisch
Skeptisch äußerten sich Analysten zu den neuen Allianzen im Online-Musikgeschäft. Der Jupiter MMXI-Analyst Mark Mulligan etwa sieht viel PR in den Ankündigungen der Musikindustrie: "Man will zeigen: 'Napster hat in der letzten Zeit im Rampenlicht gestanden, aber jetzt gibt es einige wirkliche positive Initiativen der Musikindustrie'."
Duet habe deutlich weniger an Strukturen bekannt gegeben als MusicNet: "Das war viel mehr PR als eine greifbare digitale Lösung."
Der Präsident der US-Website Listen.com fügt hinzu: "Es gibt einen großen Unterschied zwischen Presseerklärungen und einem Massenmarkt." Man sei von der Marktreife weiter weg, als die Ankündigungen vermuten ließen.
Zwei Blöcke zeichnen sich ab
Uneins sind die Experten, wie sich der Markt weiter entwickeln
wird. Jupiter Analyst Mulligan sagte, kurzfristig werde es wohl bei
den zwei Blöcken Duet/Yahoo und MusicNet bleiben. Langfristig werde
es aber Kooperationen geben. "Der Grund ist, dass jeder, der beim
digitalen Musikvertrieb erfolgreich sein will, einen umfassenden
Musikkatalog braucht. Es reicht nicht, nur zwei oder drei der großen
Plattenfirmen zu haben, weil dann immer noch einige wichtige
Künstler fehlen."
Teuer und umständlich
In der Flut der Ankündigungen neuer Services und Allianzen wurde allerdings der entscheidende Faktor fast durchgehend ausgeklammert: Wie Nutzer, die bisher nicht nur umsonst, sondern auch äußerst bequem fast unbegrenzten Online-Zugriff auf Musik haben, dazu gebracht werden sollen, die neuen Modelle zu akzeptieren.
Das Dilemma der Musikindustrie im Netz besteht vor allem darin, dass alle derzeit diskutierten Bezahlmodelle [Abonnements oder das einzelne Bezahlen von Downloads] Einschränkungen im Bedienungskomfort und des Angebotes bedeuten: Niedrigschwelliger und einfacher als Napster oder Gnutella können die Angebote der Industrie nicht werden, da sie durchweg auf Kontrolle der Downloads aufbauen.
Diese Kontrolle geht aber zwangsläufig mit Einschränkungen für die Nutzer einher.
User lehnen Preisvorstellungen der Musikmultis ab
Hinzu kommen die Preisvorstellungen der Musikmultis, die der Realtität im Netz kaum Rechnung tragen. Bei dem MTVi-Service etwa soll das Herunterladen eines Songs zwischen 99 Cents [1,1 Euro/15,1 ATS] und 1,99 Dollar kosten, für komplette Alben werden User zwischen 10,98 und 18,98 Dollar berappen müssen. Entsprechend negativ fielen die Reaktionen von Usern im FuZo-Forum aus, von denen im folgenden zwei zitiert seien:
"ich schätze ich werd ned der einzige sein, dem bei den preisvorstellungen ein kurzer lacher entkommen is ... 11-19 dollar für ein album??? dafür, daß ich es eine stunde runterladen darf, keine covers & inlays hab, den rohling & brenner selber zahl? da krieg ich das originalalbum im geschäft ja schon günstiger. bei SOLCHEN alternativ-konzepten wundert es nicht, wenn die gratistauschbörsen weiter boomen."
"Nicht jeder der saugt ,kauft auch. Daran werden die ganzen Pay-Modelle scheitern,ist ja wie bei der SW, wieviele Progs liegen da auf der Platte, die man nie im Leben kaufen würde...bitte meldets euch, wenn der erste von denen Gewinne macht,dann leiste ich Abbitte."
Multis stürzen sich auf Online-Musikmarkt