Das Verfahren gegen Wikipedia.de
Die deutsche Ausgabe des freien Nachschlagwerks ist als Folge einer einstweiligen Verfügung gegen die Betreiber von Wikipedia.org nur auf Umwegen erreichbar. Die Eltern des Hackers Boris F., der 1998 unter nie ganz geklärten Umständen zu Tode kam, wollen damit bewirken, dass sein voller Name nicht genannt wird.
Die deutsche Web-Adresse der freien Online-Enzyklopädie Wikipedia ist wegen eines Streits über die Namensennung des verstorbenen Hackers "Tron" in einem Artikel derzeit nicht in Betrieb.
Es sei per einstweiliger Verfügung bis auf weiteres untersagt worden, von Wikipedia.de auf die deutschsprachige Fassung zu verlinken, teilte die Betreiber am Donnerstag mit. Unter der Adresse de.wikipedia.org ist die Enzyklopädie aber weiterhin in deutscher Sprache erreichbar.
Einstweilige Verfügung
Die einstweilige Verfügung des Amtsgerichts Berlin-Charlottenburg vom Dienstag wurde von der Familie des 1998 unter dubiosen Umständen zu Tode gekommenen Hackers "Tron" erwirkt.
Name soll nicht genannt werden
Der bürgerliche Name des Hackers soll nach dem Willen der Familie nicht mehr genannt werden. Wegen des laufenden Verfahrens nennt Wikimedia Deutschland selbst keine Gründe und gibt keine weitere Stellungnahme dazu ab.
"Tron" war im Oktober 1998 in einem Berliner Park erhängt aufgefunden worden. Nach Angaben der Ermittlungsbehörden hatte der Hacker Selbstmord begangen. Die offizielle Todesursache wurde jedoch vielfach bezweifelt.
Der unter anderem auf Sprachverschlüsselung und das Entschlüsseln von TV-Signalen spezialisierte "Tron" sei vielmehr Mordopfer des Geheimdienstes oder der organisierten Kriminalität geworden - diese und andere Verschwörungstheorien kursieren seitdem im Netz.
Anonymität und Informationsfreiheit
"An sich bin ich ja Sprecher eines Vereins, der die Informationsfreiheit auf seine Fahnen geschrieben hat", sagt Andy Müller vom CCC [Chaos Computer Club], dessen Mitglied der verstorbene F. gewesen war.
Andererseits vertrete man auch das Recht auf die Integrität persönlicher Daten und auch jenes auf Anonymität, so Müller-Maguhn, denn natürlich handle es sich hier um einen Grenzfall.
Für die Familie F. habe mit der kürzlichen Publikation eines Romans über das Hacker-Milieu, dessen Protagonist den vollen Namen des Verstorbenen trug, nun Jahre nach einem viel beachteten Film über dasselbe Milieu ["23"] ein Medien-Albtraum neu begonnen.
Die "menschliche Komponente"
Der Autor des Romans habe sich geweigert, seine fiktionale Figur anders zu benennen, da der - im Übrigen in Deutschland sehr seltene - Name F.s auch in Wikipedia stehe, so Müller-Maguhn.
Als sich die Eltern daraufhin an die Redaktion des freien Nachschlagswerks mit der Bitte wandten, den Namen in dem artikel abzukürzen, wurden sie abgewiesen. Eine Prinzipiendiskussion sei das Letzte gewesen, was man angestrebt habe, sagt Müller-Maguhn, der nicht versteht, dass in der über den Fall ausgebrochenen Diskussion niemand "die menschliche Komponente" sehe.
"Hier geht es um Eltern, die Jahre nach dem Tod ihres Sohnes endlich Ruhe haben wollen", sagt Müller-Maguhn, das sollte man eigentlich respektieren.
(Futurezone | dpa)