Ein Weblog-Universum rund ums Handy
Die US-Schweizerin Emily Turrettini betreibt gleich drei der weltweit wichtigsten Blogs zum Thema Handys - von der SMS bis zum mobilen TV-Empfang auf dem Handy.
Handys sind schon seit langem mehr als nur mobile Telefongeräte: Sie sind zugleich auch MP3-Player, Radios, Photoapparate und werden bald auch Fernsehgeräte sein.
Die in Genf lebende Amerikanerin Emily Turrettini hat frühzeitig erkannt, dass sich Handys immer mehr in Richtung Unterhaltungsmaschinen entwickeln und hat aus diesem Grund im Februar 2003 gleich drei Blogs gestartet: Eines zum Thema SMS, eines über Kamerahandys und eines über Handy-Klingeltöne.
Die drei Blogs verzeichnen mittlerweile zusammen zwei Millionen Pageviews pro Monat und haben sich international als eine der besten Umschlagplätze für Nachrichten aus dem Bereich mobile Kommunikation und Entertainment etabliert.
Aus der Fülle an online publizierten Artikeln und Einträgen auf Websites und Blogs in aller Welt wählt Emily Turrettini jeden Tag ein paar aus. Es sind nicht unbedingt die Geschichten, die an dem Tag gerade die größten Schlagzeilen machen, sondern oft Geschichte, die besonders sind.
Besonders interessant oder besonders aufschlussreich, weil sie etwas über den Umgang der Menschen mit den neuen Formen und Möglichkeiten mobiler Kommunikation verraten.
Jeder wird zum Paparazzi
Bildeten in der Anfangsphase vor allem Blog-Einträge zum Thema SMS den Schwerpunkt ihrer Blogging-Aktivitäten, so hat sich das mit dem Aufkommen von Kamerahandys etwas verlagert.
Kamerahandys haben vor allem auch einen Effekt auf die Medien: Bei wichtigen Ereignissen sind nicht mehr Pressephotographen als erste zur Stelle, sondern einfache Bürger mit ihren Kamerahandys. Und machen dann Photos von einem Hurrikan, einem Bombenanschlag wie etwa in London oder dem Tsunami.
Diese Entwicklung hat unter anderem zur Folge, dass plötzlich grauenhafte Bilder öffentlich kursieren. Und dass aus Durchschnittsbürgern Paparrazi werden, die immer und überall zur Stelle sind, wie unlängst etwa auch eine koksende Kate Moss erfahren musste.
Neues abscheuliches Phänomen
Ein weiteres, zutiefst beunruhigendes Phänomen im Zusammenhang mit Kamerahandys ist das sogenannte "Happy Slapping", das seinen Ursprung in England hat und dort im letzten Jahr auch extreme Formen angenommen hat.
Emily Turretini bemerkt dazu: "Happy Slapping ist einfach furchtbar, grauenhaft. Es ist gewalttätig und hat auch schon zu Todesfällen geführt. Erst letzte Woche wurde eine Gruppe Jugendlicher deswegen zu kollektiv 44 Jahren Gefängnis verurteilt - und die haben das auch verdient. Das Phänomen hat damit begonnen, dass Menschen, die im Bus eingeschlafen waren, unvermittelt geschlagen wurden und dieses plötzliche Zuschlagen mit Kamerahandys gefilmt wurde. Das Ganze wurde dann immer gewalttätiger, es kam zu Vergewaltigungen, Menschen wurden mit Baseballschlägern verprügelt - alles wurde per Handy mitgefilmt und dann weiterverbreitet. Es ist ein abscheuliches Phänomen."
Handys als Musikplayer
Bereits heute stammen 60 Prozent der Einnahmen aus dem Verkauf von Klingeltönen nicht mehr von Ringtones, sondern von Realtones, also: echter, aufs Handy heruntergeladener Musik. Monophone Klingeltöne gibt es dabei kaum mehr und auch polyphone werden bald der Vergangenheit angehören.
Für Emily Turrettini haben sie aber mitgeholfen, einen Markt aufzubauen: "Es ist erstaunlich, wie bereitwillig die Menschen ein paar Dollar für eine Klingeltonversion eines Songs bezahlt haben, für dessen Download sie im Original nie bezahlen würden."
Die Musikindustrie hat nach anfänglichem Zögern aus dieser Entwicklung die Konsequenzen gezogen: Die Plattenfirma EMI etwa wird bald ihren ganzen Musikkatalog über Ericsson-Handys vertreiben.
Generell geht die Entwicklung unaufhaltsam in Richtung All-in-One-Geräte. Am Schluss dieser Entwicklung, so vermutet Emily Turrettini, wird eine Art iPod mit Telefonfunktion stehen.
Sie glaubt aber auch, dass dieses Zusammenwachsen noch eine Weile dauern wird, bis etwa die Probleme mit unterschiedlicher Speicherkapazitäten und Batteriedauer zwischen iPod und Handys behoben sind.
Mobiles Fernsehen
Demnächst wird man auch Live-Fernsehen auf dem Handy empfangen und sehen können. Wie Emily Turrettini auf ihrem Blog Picturephoning.com in den letzte Wochen berichtete, waren die bisherigen Tests, etwa der britischen Telekom, auf diesem Gebiet noch nicht sonderlich erfolgreich. Dennoch glaubt auch sie an die Zukunftschancen von Fernsehen auf dem Handy:
"Es passt einfach perfekt zusammen. Allerdings glaube ich, dass vor allem die Sendungen und Shows erfolgreich sein werden, die kurzformatig sind und speziell fürs Handy produziert werden.
Ich glaube nicht, dass sich die Menschen Spielfilme auf dem Handy ansehen werden, aber es wird ein Verlangen nach Pausenfüllern geben - während man etwa auf den Bus wartet. Und da denke ich, dass die Formate Erfolg haben werden, die fürs Handy und für kurze Aufmerksamkeitsspannen maßgeschneidert sind."
Emily Turrettini weiß auch schon, wie speziell für Handys zugeschnittene Sendungen aussehen könnten. Es gibt sie sogar schon zum Ansehen: "Mobuzz.tv" heißt so eine in Spanien und auf Englisch produzierte Show; eine andere wird in der Schweiz produziert und nennt sich "NanoTV".
Heute um 22:30 Uhr: "Matrix" auf Ö1
Im Gespräch mit Richard Brem erzählt Emily Turrettini heute Abend in "Matrix" über ihre Erfahrungen und über ihren Arbeitsalltag als Mehrfach-Bloggerin. Um 22:30 Uhr auf Ö1.
"Matrix" für Ö1-Club-Mitglieder
Ab Sonntag 22:30 Uhr steht "Matrix - Computer & Neue Medien" für Ö1-Club-Mitglieder auch zum Download bereit.
(Ö1 Matrix | Richard Brem)