Kritik an "Wegzoll" für das Internet

Neutralität
30.03.2006

Über die Neutralität des Internets wird derzeit in den USA heftig debattiert. Telekoms und Kabelnetzbetreiber wollen von Content-Anbietern Geld für die Lieferung von Inhalten an deren Kunden. Für WWW-"Urvater" Tim Berners-Lee wäre das das Ende des Internets.

Er sei sehr besorgt über den Wunsch der US-Telekoms und -Kabelnetzbetreiber, von Anbietern wie Yahoo, Google und Amazon eine Art Wegzoll zu verlangen, damit diese einen sicheren Breitbandzugang zu ihren Kunden erhalten, meinte Berners-Lee gegenüber dem "Toronto Star".

Die ganze Idee sei, dass das Internet für alle mehr oder weniger gleich sei, so Berners-Lee weiter. Mit dieser Forderung wäre es aber kein offener Informationsplatz mehr.

Wer soll Investitionen zahlen?

Internet-Service-Provider [ISP] wie AT&T und Comcast in den USA wollen für den Ausbau ihrer Netze nicht mehr alleine aufkommen. Doch dieser Ausbau ist unumgänglich, wenn, wie allerorts erhofft, demnächst das große Geschäft mit Video-Downloads und TV über das Internet, also dem Transfer großer Datenmengen, beginnt.

Wenn ein Anbieter von Video-Downloads aber dafür bezahlen würde, dass er Zugang zu bestimmten Kunden eines bestimmten Kabelnetzbetreibers bekommt, würde das Internet als solches aufhören zu existieren, so Berners-Lee.

Alle wollen mitverdienen

In der Debatte in den USA geht es - wenig überraschend - vor allem um Geld: in Form von Investitionen, aber auch alltäglichen Geschäften.

Zudem geht es auch um einen Anteil an den guten Geschäften, die Anbieter wie Google, Amazon, aber auch Microsoft übers Netz machen, etwa mit Internet-Telefonie.

Deutsche Telekom brachte Stein ins Rollen

Derzeit wird das Thema mit dem "Internet Non-Discrimination Act of 2006" im US-Kongress behandelt, doch auch in Kanada startete vor kurzem eine ähnliche Diskussion.

In Europa hat die Deutsche Telekom [DT] mit ihrem schnellen VDSL-Netz die Sache aufs Tapet gebracht.

Sie will einige Milliarden Euro in den Bau eines schnellen Glasfasernetzes [VDSL] investieren und forderte dafür eine zeitweilige Befreiung von der Regulierung. Damit könnte sie die Preise und Zugangsbestimmungen mit ihren Konkurrenten selbst aushandeln. Nur in dem Fall will die DT die Investitionen tätigen.

Die Netz-Neutralität soll garantieren, dass ISPs die Netze nicht zu ihren eigenen Gunsten konfigurieren dürfen: etwa eigene Services mit einer höheren Geschwindigkeit liefern oder von anderen Anbietern für eine schnellere Lieferung Geld verlangen.

EU-Kommission legt Veto ein

Die deutsche Bundesregierung wollte diesen Wunsch mit einem entsprechenden Gesetz unterstützen. Dagegen hat allerdings die zuständige EU-Kommissarin Viviane Reding ein Veto eingelegt, sie will im Sinne des Wettbewerbs den Zugang für alle möglich machen. Zuletzt drohte Reding wegen Verletzung der EU-Verträge mit einem Gerichtsverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof.

In einem Interview mit der "Wirtschaftswoche" hatte DT-Chef Kai-Uwe Ricke zudem im Februar in Aussicht gestellt, auch Internet-Unternehmen wie eben Google, Yahoo und Amazon zur Kasse zu bitten. Diese Unternehmen seinen künftig darauf angewiesen, dass die ISPs für neue Anwendungen die erforderliche Netzqualität garantieren.

Verhaltene Diskussion in Österreich

Es könne nicht sein, dass nur der Kunde über das monatliche Grundentgelt für diese "schöne neue Welt" bezahle. Auch alle Web-Unternehmen, die Infrastrukturen für ihr Geschäft nutzen, sollten dann ihren Beitrag leisten, so Ricke.

In Österreich gibt man sich in der Diskussion noch verhalten bis abwartend. In der Branche gebe es schon Gespräche, diese würden aber wohl eher hinter verschlossenen Türen stattfinden, so ISPA-Sprecherin Andrea Cuny-Pierron.

Die ISPA [Internet Service Providers Austria] will beim nächsten Internet-Summit im September das Thema auf den Tisch bringen.

DT ausschlaggebend für Europa

Der Sprecher der Telekom Austria, Martin Bredl, meinte, für Österreich bzw. die gesamte Europäische Union sei der aktuelle Fall Deutsche Telekom vs. EU bzw. dessen Ausgang ausschlaggebend.

Hierbei gehe es darum, ob Investitionen wie Glasfasernetze, die auch eine echte Neuerung darstellen würden, von vornherein reguliert werden sollen oder nicht. In den USA und Südkorea sei neue Infrastruktur von der Regulierung von vornherein ausgeschlossen.

Die Debatte stehe aber sehr wohl auch hier zu Lande an, da das ADSL-Netz in seiner derzeitigen Form nicht für echte Multimedia-Angebote wie hochauflösende Videos ausgelegt sei, so Bredl.

Während in den USA und Teilen Europas immer mehr Anbieter auf ein breites Videoangebot und Online-Fernsehen setzen, müssen sich heimische Nutzer noch gedulden. Derzeitige Angebote sind nicht zuletzt wegen der komplizierten Copyright-Rechtslage stark eingeschränkt.

Computer als eigenes Monopol

Berners-Lee bezeichnet als sein persönliches Horror-Szenario, wenn Computer so billig werden, dass sie mit eigenem Betriebssystem, Browser und eingebautem Internet-Service quasi verschenkt werden – und alles zielgerichtet auf bestimmte Produkte und Geschäfte.

"Der Platz, wo sie Ihre Schuhe kaufen, wurde vom Browser bestimmt, der von ihrem Betriebssystem bestimmt wurde, das wiederum von dem von Ihnen benutzten Rechner bestimmt wurde", skizziert er ein Beispiel.

Computer bestimmt Auswahl

Wenn diese Dinge voneinander unabhängig bleiben, funktioniere es. Würden sie aber stärker miteinander verbunden, dann hinge etwa die Auswahl an Schuhen von der Wahl des verwendeten Computers ab, so Berners-Lee.

Auch Vint Cerf, derzeit Internet-Evangelist bei Google, hat die ISPs jüngst scharf kritisiert. Die Haltung von Providern wie der Deutschen Telekom gefährde langfristig Innovationen, so Cerf.

(futurezone | dpa | APA | Toronto Star)