© Bild: Nadja Igler/ORF.at, Gähnende Katze

4chan: Lolcats und Splatter

NETZKULTUR
21.04.2009

Das Bilderforum 4chan verzeichnet mehr als 450.000 Postings pro Tag und hat "Lolcats" und "Rickrolling", aber auch einige weit weniger familienfreundliche Web-Phänomene hervorgebracht. ORF.at hat mit 4chan-Gründer "moot" über die Mem-Fabrik 4chan, Anonymität im Netz und Kinderpornosperrlisten gesprochen.

In den vergangenen Tagen sorgte die Online-Community 4chan einmal mehr für Aufsehen im Netz. Grund dafür waren diesmal aber nicht Bilder von Katzen, die mit Slang-Ausdrücken versehen sind ("Lolcats"), oder Links zu Videos von 80er-Jahre-Popstars mit schmalzigen Frisuren ("Rickrolling") - allesamt Web-Phänomene, die in der Community ihren Ausgang nahmen -, sondern ein Web-Voting des US-Nachrichtenmagazins "Time", bei dem derzeit über die hundert einflussreichsten Persönlichkeiten des Jahres 2009 abgestimmt wird.

4chan

Ursprünglich sollte 4chan ein Austauschforum für Anime-Bilder nach dem Vorbild des japanischen Futuba Channel sein. Heute umfasst es mehr als 40 Boards, deren berüchtigtstes wohl /b/ - Random ist, auf dem neben Lolcats auch ausgewählte Geschmacklosigkeiten ihren Weg ins Netz finden.

Das elektronische Ranking wurde kurzerhand von der 4chan-Community gekapert und wird seither vom Gründer des Netzforums, "moot", angeführt. Der heute 21-jährige New Yorker, der mit bürgerlichem Namen Christopher Poole heißt, startete mit 15 Jahren das Bulletin Board System (BBS) 4chan, auf dem jeder anonym posten kann, wozu er gerade Lust hat. Seither überschwemmen die Mems aus dem Imageboard, das monatlich rund 5,5 Millionen Besucher verzeichnet, das Web und die E-Mail-Postfächer Tausender Nutzer.

ORF.at hat Poole Anfang April bei der Social-Media-Konferenz re:publica in Berlin getroffen und versucht, dem Phänomen 4chan auf die Spur zu kommen.

4chan-Gründer "moot" im Gespräch mit ORF.at.

ORF.at: 4chan gilt nicht ohne Grund als Mem-Fabrik. Dort sind unter anderen Lolcats und Rickrolling entstanden. Was macht Ihrer Meinung nach ein Mem erfolgreich.?

Poole: Ein Mem ist der Definition nach eine Information, die sich von einer Person zu einer anderen überträgt. Meme gibt es in allen Popularitätsgraden. Einige sprechen nur eine kleine Gruppe von Leuten an, andere erreichen Millionen Menschen. Der wichtigste Faktor ist aber wahrscheinlich das Motiv selbst und die Anziehungskraft, die es ausübt. Die Meme müssen aber auch einfach gestrickt und leicht zu verstehen sein. Katzen sind etwa allgegenwärtig. Sie werden wesentlich mehr Leute finden, die sich für Katzen interessieren als für Elefanten. Katzenbilder mit Texten kann jeder verstehen. Aber auch das Timing könnte wichtig sein. Manche Image-Macros, Redewendungen oder Videos kommen einfach zur richtigen Zeit. Es gibt also eine Reihe von Faktoren, die darauf einwirken, ob etwas abhebt oder nicht. Manchmal passiert es aber auch einfach so.

ORF.at: Warum nehmen eigentlich so viele Web-Phänomene auf 4chan ihren Ausgang?

Poole: Ich glaube, dass vor allem die Zugänglichkeit der Site und die Möglichkeit, anonym Inhalte zu posten, dafür verantwortlich sind. Es gibt auch kaum Beschränkungen in Hinblick darauf, was auf 4chan gepostet werden kann. So ist eine große, dynamische Community entstanden, die in 4chan ein ideales Umfeld findet, um Ideen, Bilder oder was auch immer zu verbreiten.

ORF.at: Wie wichtig ist dabei die Anonymität?

Poole: Die Anonymität ist sehr wichtig für die Art und Weise, wie 4chan funktioniert und sich entwickelt hat. Unser Vorbild war das japanische Internet-Forum Futuba Channel, das wiederum aus dem Forum 2channel hervorgegangen ist. Dessen Gründer Hiroyuki Nishimura hat einmal gesagt, dass in einem anonymen System jede Information gleich behandelt wird. Ich finde, das bringt die Sache sehr gut auf den Punkt. In anonymen Systemen gibt es keine Hierarchien unter den Nutzern. Es ist vollkommen egal, wie viele Nachrichten jemand gepostet hat oder wie lange jemand schon in dem Forum aktiv ist. Das führt in gewisser Weise auch zu einem Grad an Aufrichtigkeit, der in Systemen, die eine Identifizierung voraussetzen, nicht erreicht werden kann. Auf der anderen Seite können anonyme Systeme auch leicht missbraucht werden. Aber ich denke, dass die Vorteile anonymer Systeme und die damit einhergehende Möglichkeit, alles zu sagen, gegenüber den Nachteilen überwiegen.

ORF.at: Auf 4chan, vor allem aber auf dem Board /b/ - Random wird kräftig an jeder Art von Tabu gekratzt. Welche Bedeutung hat das Board innerhalb von 4chan? Wer postet dort?

Poole: /b/ - Random ist mit rund 350.000 Postings am Tag wohl unser populärstes Forum. Der Großteil der Nutzer ist zwischen 18 und 25 Jahren alt und männlich. Die Nutzer kommen aus den USA und Kanada, aber auch aus Europa und Asien. Es sind Leute, die Videospiele und Animes mögen und sich für Dinge interessieren, für die man sich in diesem Alter eben interessiert. Sie teilen ihre Meinungen sehr ungeniert untereinander aus.

ORF.at: Man hat den Eindruck, dass /b/ - Random eine eigene Subkultur hervorgebracht hat.

Poole: 4chan und /b/ - Random sind wohl ein Schmelztiegel verschiedenster kultureller Einflüsse. Es sind Leute aus der ganzen Welt, die dort posten. Dadurch entstehen sicherlich auch eigene Arten von Subkulturen. /b/ - Random ist aber auch sehr polarisierend. Es gibt einige sehr extreme und schockierende Dinge, die gepostet werden. Viele Leute, die zum ersten Mal auf /b/ - Random sind, werden durch solche Bilder abgeschreckt und kommen wohl nie wieder. Aber jene, die die anfängliche Schockbarriere überwinden, lassen sich von dieser Subkultur anstecken, bleiben uns sehr lange treu und beteiligen sich auch sehr aktiv an der Community.

ORF.at: Das Fehlen von Beschränkungen und die Anonymität der Nutzer führen in gewisser Weise auch dazu, dass eine Art kulturelles Unterbewusstsein zum Vorschein kommt.

Poole: Ja, man könnte es durchaus so ausdrücken. Ich habe aber auch schon andere Analogien gehört. Es gibt Leute, die sagen, 4chan gleiche einer beschmierten Klowand. 4chan bringt sicherlich eine Seite bei Leuten hervor - ich würde es nicht unbedingt die dunkle Seite nennen, aber es ist eine Seite, die sie normalerweise nicht so zeigen. Die Anonymität bringt auch Dinge zum Vorschein, von denen die Nutzer vielleicht nicht einmal gewusst haben, dass sie sie in sich haben, und die mit Hilfe unserer Tools und eines Keyboards an die Oberfläche geraten.

Mehr zum Thema Internet-Sperrlisten:

ORF.at: 4chan scheint auch auf einer australischen Kinderpornosperrliste auf, die vor kurzem über Wikileaks an die Öffentlichkeit gelangte.

Poole: Weil 4chan offen ist, lässt es sich nicht vermeiden, dass auch illegale Inhalte gepostet werden. Das verstößt gegen unsere Regeln, und wir entfernen diese Postings so schnell wie möglich. Damit müssen sich aber auch andere Websites mit nutzergenerierten Inhalten auseinandersetzen. Ich weiß, dass 4chan auf einer australischen Sperrliste aufscheint. Genauso wie auch andere Seiten sind wir ins Kreuzfeuer geraten. Es gibt Seiten, die sehr stark polarisieren. Ich kann in gewisser Weise nachvollziehen, wie sie auf so eine Liste geraten. Das macht eine solche Entscheidung aber nicht richtig. Ich denke auch, dass Leute zu Recht besorgt sind, wenn sich ihre Regierungen dazu entscheiden, das Netz zu filtern und Seiten zu sperren. Das Problem mit dem Filtern und Sperren von Sites ist jedoch, dass sich schwer sagen lässt, wo es aufhört, wenn einmal damit begonnen wurde. Ich finde es auch problematisch, dass die Listen nicht öffentlich gemacht werden.

ORF.at: Einige Nutzer auf 4chan machen sich über Kinderpornografie lustig - etwa mit dem Pedobear. Das ist eine Art von Humor, die sich vielleicht staatlichen Sittenwächtern nicht so schnell erschließt.

Poole: Der Humor auf /b/ - Random ist sicherlich nicht politisch korrekt, und es gibt zweifellos familienfreundlichere Seiten. Aber wir haben mit Kinderpornografie nichts am Hut und unternehmen alles, was in unseren Möglichkeiten steht, um illegale Inhalte auf 4chan zu verhindern. Wenn man den Leuten so viele Freiheiten gibt, muss man sich auf die Selbstkontrolle der Nutzer verlassen können. Es gibt allerdings nicht nur bei uns Leute, die damit Probleme haben.

ORF.at: Haben Sie eigentlich Probleme mit Rechteinhabern?

Poole: Wenn wir Aufforderungen erhalten, geschützte Inhalte von der Seite zu nehmen, reagieren wir natürlich darauf. Wir halten uns an die Gesetze und sind bisher auch nicht mit Klagen konfrontiert worden. Ein Grund dafür ist aber sicherlich auch, dass wir kein Archiv haben. Inhalte, die auf die Seite gepostet werden, verschwinden sehr schnell. Im Fall von /b/ - Random sogar innerhalb von wenigen Minuten. Länger als ein, zwei Tage bleibt kaum etwas auf 4chan abrufbar. Wir stellen also keine Gefahr für das Geschäftsmodell der Rechteinhaber dar, sondern bieten ihnen eher ein Promotion-Tool.

ORF.at: Verdienen Sie mit 4chan Geld?

Poole: Derzeit sind wir etwas über dem Break-even. Wir haben keine sehr hohen Kosten. Das Geld verdienen wir mit Werbung. Aber das ist gar nicht so einfach. Viele Unternehmen wollen zwar in Online-Communitys werben, scheuen aber vor nutzergenerierten Inhalten zurück, weil sie keine Kontrolle darüber haben. Sony will seine Filme nicht unbedingt neben pornografischen Bildern bewerben. Wenn wir irgendwann Geld verdienen, wäre das natürlich großartig. Aber andererseits habe ich die Seite nicht gestartet, um reich zu werden, sondern um mich mit meinen Freunden austauschen zu können.

Mehr von der re:publica:

ORF.at: Sie haben 4chan im Alter von 15 Jahren gestartet. Was haben eigentlich Ihre Eltern damals gesagt?

Poole: Meine Eltern haben sehr lange nicht gewusst, dass ich 4chan mache. Ich konnte es ganz gut vor ihnen verbergen. Wenn ich mir die Kreditkarte meine Mutter ausgeliehen habe, um gewisse Sachen zu bezahlen, für die man eben eine Kreditkarte braucht, habe ich ihr gesagt, es sei für Server oder Ähnliches. Ich habe das nicht näher ausgeführt, und sie hat mich immer unterstützt. Tatsächlich habe ich es ihnen erst vor rund eineinhalb Jahren gesagt. Ich vermute, dass sie anfänglich schockiert waren. Sie haben es aber mit Fassung aufgenommen. Ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass sie wirklich verstehen, was da passiert.

(futurezone/Patrick Dax/Thomas Thaler)