Internetrat für Online-Ethik gegründet
Seit dieser Woche hat Österreich einen Internetrat. Dieser wurde von fünf aktiven Social-Media-Experten, Medienforschern und Bloggern in Eigeninitiative ins Leben gerufen und möchte bei den Internet-Nutzern ein Bewusstsein für ethisches Verhalten im Netz schaffen. Erste Empfehlungen wurden bereits ausgesprochen.
Eigentlich wollte der Österreichische Internetrat (ÖIR) still und heimlich seine Arbeit aufnehmen, doch lange blieb er nicht unentdeckt. Kein Wunder, sind doch alle fünf Gründungsmitglieder aktive Internet-Nutzer, die sich selbst als "bekannte Proponenten der österreichischen Netzszene" bezeichnen. Die Social-Media-Expertin Judith Denkmayr und Medienforscher Peter Steinberger sind gemeinsam das vorsitzende Vorstandsduo, die Medienforscherin Jana Herwig und Michael Kamleitner Gremiumsmitglieder, und Blogger Richard Pettauer fungiert als Generalsekretär.
Zusammen wollen sie als Österreichischer Internetrat ab sofort die Internet-Nutzer zur freiwilligen Selbstkontrolle aufrufen und Online-Ethikempfehlungen aussprechen - allerdings nur nach einer entsprechenden Aufforderung über ein Eingabeformular. Ein erster Verstoß wurde vom ÖIR bereits bearbeitet. Er betraf ein österreichisches Medienunternehmen.
ORF.at hat mit den ÖIR-Gründungsmitgliedern über ihre Pläne und Zielsetzungen gesprochen. Sie haben gemeinsam auf die Fragen geantwortet.
ORF.at: Was genau ist das Ziel des Österreichischen Internetrats, was wollen Sie erreichen?
Internetrat: Wir wollen Internet-Surfer dazu bringen, sich näher und enger mit dem Konzept der freiwilligen Selbstkontrolle auseinanderzusetzen, und einen Dialog starten, der ansonsten möglicherweise schlimmere Maßnahmen verhindert. Österreich hat mit Frau (Maria) Fekter eine sehr strenge Innenministerin, für deren Tätigkeit Teile der Grünen im Rahmen einer Kampagne den Begriff "fektern" erfanden. Pointiert ausgedrückt möchten wir erreichen, dass durch vorauseilende freiwillige Selbstkontrolle die von manchen Gruppen befürchtete "Totalfekterung" des österreichischen Internets erforderlich wird.
ORF.at: Was bedeutet für den ÖIR "ethisch bedenklich"? Zählen etwa rechtsextreme Inhalte auf Websites dazu, oder auch Websites, die Magersucht und Bulimie unterstützen? Oder geht es um Minderheiten, Sexismus und Rassismus?
Internetrat: Alle diesen Themen können, müssen aber nicht relevant für uns sein. Um Missverständnissen vorzubeugen: Wir sehen uns keinesfalls als Gremium, das eine Art normative Ethik oder Gesetze für das Internet erarbeitet. Unsere Tätigkeit beruht auf ehrenamtlichem Einsatz, wir nutzen die selbstregulative Kraft, stellen Tools für Crowdsourcing-Projekte bereit und möchten generell Interesse am Thema Selbstkontrolle und Online-Ethik wecken. Man muss sich immer vor Augen halten, dass in Österreich, genauso wie in fast allen europäischen Ländern, ein duales System zur Beschränkung des Internets existiert, das sich einerseits aus gesetzlichen Regelungen und andererseits aus Selbstbeschränkungsrichtlinien zusammensetzt. Zur Überwachung und Reflexion dieser Selbstbeschränkungsrichtlinien gibt es jetzt den ÖIR.
ORF.at: Es gibt derzeit also keine thematischen Einschränkungen?
Internetrat: Wir möchten uns zu diesem frühen Zeitpunkt nicht auf bestimmte Themenfelder festlegen, weil wir damit derzeit noch unvorhersehbare Ethikverstöße ausschließen würden. Wir sehen unser Tätigkeitsfeld noch in hohem Maß als "Work in Progress".
ORF.at: Ist für die Zukunft eine Ethikrichtlinie geplant oder wird es so etwas beim ÖIR nie geben?
Internetrat: Doch. Diese Antwort mag Sie jetzt vielleicht überraschen und ein wenig im Gegensatz zum bisher Gesagten stehen. Eine unserer Arbeitsgruppen erstellt derzeit eine erste Betaversion eines generischen Leitfadens für Möglichkeiten eines ethischen Online-Verhaltens. Wir wollen dieses Dokument aber keinesfalls als fertiges Werk präsentieren, sondern sehen darin eine Diskussionsgrundlage für den Dialog mit der betroffenen Community.
ORF.at: Wie wird entschieden, was ethisch bedenklich ist und was nicht?
Internetrat: Der ÖIR wird, wie viele österreichische Kontrollgremien wie etwa der Werberat, Medienrat oder die FMA, niemals initiativ, sondern ausschließlich als Reaktion auf Eingaben durch Mitglieder oder Nichtmitglieder tätig. Ob ein Begutachtungsverfahren eingeleitet werden kann, hängt dabei sowohl von formalen Kriterien als auch, in einem zweiten Schritt, von der konkreten inhaltlichen Situation ab.
ORF.at: Wollen Sie sich nur mit Websites befassen oder auch Leute in Sozialen Netzwerken und Microblogs abmahnen?
Internetrat: Für uns zählen durchaus auch Social Networks und Microblogs zur Kategorie Websites. Wenn man so will, stellt ja jedes Tweet eine Webseite für sich dar, die auch einzeln von Google indiziert wird. Ähnliches kann man über Social-Network-Profile sagen. Grundsätzlich befassen wir uns mit sämtlichen Spielarten von Information, die online publiziert werden. Es sind auch zukünftige Verweisverfahren aufgrund von Ethikverstößen in virtuellen Welten wie "Second Life" für uns durchwegs denkbar.
ORF.at: Wie steht der ÖIR zu Netzsperren?
Internetrat: Der ÖIR spricht sich aufs Schärfste gegen Netzsperren aus. Mit unserer vorauseilenden Selbstkontrolle und Selbstethik möchten wir ja gerade Netzsperren überflüssig machen, in diesem Sinne könnte man uns also durchaus als Idealisten bezeichnen.
ORF.at: Auf Ihrer Website kann man Ethikverstöße melden. Was machen Sie mit den erfolgten Eingaben, die bei Ihnen eintreffen? Werden diese im Falle eines Gesetzesverstoßes auch an die Behörden weitergeleitet, oder schreiben Sie die betreffenden Website-Betreiber selbst an?
Internetrat: Nach einer formalen Prüfung beginnt ein Begutachtungsverfahren, welches im Extremfall bis zu einem scharfen Verweis führen kann. Die betreffenden Webmaster und allenfalls involvierte Dritte schreiben wir an, wenn zur Klärung einer Eingabe weitere Informationen erforderlich sind. Was die Zusammenarbeit mit den Behörden betrifft, dürfen keinerlei Missverständnisse aufkommen: Wir sind keine Internet-Polizei und auch kein erweiterter Arm der Staatsanwaltschaft. In der Tat befassen wir uns genau mit jenen ethischen Verstößen, die aufgrund der herrschenden Gesetzeslage eben nicht sanktioniert werden. Für den Umgang mit pornografischen und ähnlichen Seiten existieren ausreichende gesetzliche Regelungen, aber wer fühlt sich für Beleidigungen auf Twitter zuständig? Aus diesem Grund leiten wir auch keinerlei Informationen an die Behörden weiter.
ORF.at: Was sind die nächsten Schritte des ÖIR?
Internetrat: Wir werden eine Pressekonferenz einberufen, in der wir den ÖIR offiziell präsentieren. Parallel dazu beginnt ab sofort die Bearbeitung und Begutachtung von Eingaben. Die ersten Verstöße sind bereits gemeldet worden.
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(futurezone/Barbara Wimmer)