URL-Shortener: Kurzer Prozess
Dienste wie Tinyurl.com und Bit.ly machen Schluss mit ellenlangen Links. Twitter brachte diesen Diensten unzählige neue Nutzer ein. Venture-Kapitalisten sehen darin bereits jetzt neue Web-2.0-Wunderkinder. Doch die kurzen Links haben auch ihre Kritiker.
Alles begann mit einem Balanceakt. Als Webmaster eines Forums für Einradfahrer hatte Kevin Gilbertson immer wieder mit überlangen Links zu kämpfen. Unverändert wiedergegeben hätten diese Links das Layout seines Forums zerstört. Mit erzwungenem Zeilenumbruch kam es dagegen zu Problemen beim Copy & Paste. Gilbertson entschied sich deshalb 2002 für einen dritten Weg: Er startete ein Web-Angebot, das automatisch kurze und griffige Weiterleitungsadressen für lange Links erstellte.
Seine Website hörte auf den Namen Tinyurl.com, und die Idee dieser kurzen Links verbreitete sich wie ein Lauffeuer. E-Mail-Nutzern gefiel, dass sie diese kompakten Adressen ohne weiteres an Freunde und Bekannte weiterleiten konnten. Web-Foren lösten damit ähnliche Probleme wie Gilbertson und seine Einradfahrer. Und Chat-Teilnehmer hatten endlich die Möglichkeit, Links auszutauschen, ohne mit ellenlangen Netzadressen den Gesprächsfluss zu stören.
Bei Twitter zählt jedes Zeichen
Tinyurl.com hat seit 2002 mehr als 240 Millionen Links gekürzt. Jeden Monat verzeichnet der Dienst mehr als zwei Milliarden Zugriffe auf diese Websites. Lange Zeit hatte Tinyurl.com damit ein Beinahemonopol. Doch in den letzten Monaten sind plötzlich zahlreiche Angebote im Netz aufgetaucht, die sich ebenfalls kurzen und griffigen Links verschrieben haben.
Auslöser der Schwemme dieser "URL-Shortener" ist die wachsende Popularität des Microblogging-Diensts Twitter. Nachrichten sind bei Twitter auf 140 Zeichen beschränkt. Twitter-Nutzer sind deshalb auf Dienste wie Tinyurl.com angewiesen, um zusätzlich zu einem Link noch eigene Kommentare verschicken zu können.
Im Gegensatz zum per E-Mail verschickten Link zählt dabei auf Twitter jedes einzelne Zeichen. Linkverkürzer setzen deshalb gerne auf ungewöhnliche Top-Level-Domains und kreative Domain-Namen, um möglichst kurze Adressen zu produzieren. Zu den populärsten Diensten auf Twitter gehören derzeit Bit.ly, Is.gd, Owl.ly und Tr.im.
Die bekanntesten URL-Kürzungsdienste:
Zwei Millionen Dollar für kurze Links
Neben kurzen Adressen setzen diese Dienste auf zahlreiche Zusatzfeatures, um Tinyurl.com Konkurrenz zu machen. So bietet Bit.ly seinen Nutzern detaillierte Statistiken dazu, wie viele Twitter-Nutzer auf welchen Link geklickt haben. Teil dieser Daten ist nicht nur ein geografischer Überblick über die einzelnen Nutzer, sondern auch eine Liste relevanter Diskussionen auf Twitter und Friendfeed.
Bit.ly bietet zudem eine Programmierschnittstelle (API), mit der Drittentwickler Link-Verkürzungsfunktionen in ihre eigenen Dienste einbauen können. Das kommt an: Im März gab das Service bekannt, rund 20 Millionen Adressen pro Woche zu kürzen. Im Frühjahr sicherte sich Bit.ly zudem eine Investitionsrunde über zwei Millionen US-Dollar.
Anfang Mai begann Twitter schließlich standardmäßig damit, alle langen Web-Adressen mit Bit.ly zu komprimieren. Bit.ly wurde damit praktisch über Nacht zum populärsten Link-Kürzer auf Twitter. Heute verweisen mehr als 55 Prozent aller auf Twitter ausgetauschten Links auf Bit.ly.
Das Nadelöhr des Webs
Nicht jedem ist eine derartige Dominanz geheuer. Kritiker fürchten, dass Link-Verkürzer zu einer Art Nadelöhr des Webs werden könnten. Fällt ein derartiger Dienst aus, dann sind plötzlich alle von ihm verkürzten Links unbrauchbar. Der Readwriteweb-Blogger Marshall Kirkpatrick schrieb dazu bereits vor anderthalb Jahren nach einem Ausfall von Tinyurl.com: "Es sollte nicht einen einzelnen Punkt geben, der so einfach zum Ausfall eines großen Teils des Webs führen kann."
Von Bit.ly heißt es dazu, man besitze eine redundante Infrastruktur. "Wenn unsere Website ausfällt, funktionieren die Weiterleitungen trotzdem weiter", erklärten die Betreiber des Dienstes dazu kürzlich auf ihrem Blog.
Offen ist bisher auch, wie Bit.ly Geld verdienen will. Im Gegensatz zu Tinyurl.com kommt der Dienst ganz ohne Anzeigen daher. Die Firma hält sich bisher zu ihrem Geschäftsmodell bedeckt. Schlüssel zum finanziellen Erfolg könnten möglicherweise die Statistiken sein, die Bit.ly zu seinen einzelnen Links sammelt. Mit ihnen könnte der Dienst problemlos ermitteln, welche Inhalte besonders populär sind und über welche Links Netznutzer am meisten reden - genug Informationen, um damit beispielsweise ein soziales Nachrichtenportal zu betreiben, spekulieren Brancheninsider.
Aufregung über Toolbars
Es ist denn auch kaum verwunderlich, dass soziale News- und Bookmark-Dienste wie Digg und StumbleUpon mittlerweile selbst Link-Verkürzer in ihre Angebote integriert haben. Beide Angebote setzen dabei auf Frames, die Besuchern das Bewerten der jeweiligen Seite und das Weiterleiten der verkürzten Links über eine Toolbar erlauben. Für Nutzer von Digg und StumbleUpon mag das praktisch sein, doch manch Website-Betreiber ist darüber nicht eben glücklich.
So sorgte der Start der Digg-Toolbar für einige Aufregung im Netz. Blogger kritisierten, dass Digg Leser damit zum Besuchen anderer Digg-Links verleite und damit die Interaktion auf dem jeweiligen Blog einschränke. Auch die in die Toolbar integrierte Werbung sorgte für Kritik. "Sie versuchen, mit deiner harten Arbeit Geld zu verdienen", meinte dazu beispielsweise der Blogger Kevin Eklund.
Erfolg mit Minimalismus
Die Aufregung über die Digg-Toolbar könnte ein Zeichen dafür sein, dass der Wettbewerb der Link-Verkürzer vielleicht doch nicht mit zahlreichen Zusatzfeatures gewonnen wird. "Viele Nutzer wollen einfach nur ein schnelles und simples Angebot, das hält, was es verspricht", glaubt etwa Richard West. Der von ihm betriebene Dienst Is.gd ist längst nicht so populär wie Bit.ly und Tinyurl.com. Mit 15 Millionen gekürzten Web-Adressen und 92 Millionen Zugriffen pro Monat hat es Is.gd jedoch auf Platz drei der meistgenutzten Link-Kürzer auf Twitter geschafft.
Wests Erfolgsrezept ist das Konzentrieren aufs Wesentliche. "Es ist besser, eine Sache gut zu meistern, als 50 Sachen schlecht zu machen", so sein Mantra. Is.gd bietet nur sehr simple Statistiken an und kommt mit Ausnahme eines Links zu Wests Webhosting-Anbieter vollkommen ohne Werbung aus. "Ich habe keine Pläne, damit Geld zu verdienen", erklärt West. "Deshalb kann ich entwickeln, was immer ich für die beste Lösung halte."
(Janko Röttgers)