Iran: Kommunikationsnetze fest im Griff
Die Teheraner Führung hat bereits seit einer Woche alle Kommunikationsnetze nahezu vollständig wieder unter Kontrolle. Die Freigabe von SMS war eine Falle, Twitter benutzte man zur Desinformation. Eine der wenigen verbliebenen Quellen ist das staatliche englischsprachige Press TV.
"Neda wurde in der Teheraner Innenstadt mit einer kleinkalibrigen Waffe erschossen", wie sie bei der Polizei nicht in Verwendung sei, sagte die Sprecherin des staatlichen iranischen Nachrichtensenders Press TV am Sonntagnachmittag.
Dann wurden zwei Augenzeugen aufgeboten, deren einer als jener Autofahrer vorgestellt wurde, der die Sterbende ins Krankenhaus gefahren habe. Die andere Person war nach Angaben des Senders Musiklehrer und Begleitperson der Getöteten.
Beide Zeugen sagten aus, dass weder Bassidsch-Milizen noch Polizei, sondern insgesamt nur "20 bis 30 Personen" auf der Straße gewesen seien und nur ein einziger Schuss gefallen sei. Fazit des Senders: Da hätten "dubiose Umstände" geherrscht.
Wichtigste Meldung in den Nachrichten war am Sonntag zu jeder vollen Stunde das geistliche Oberhaupt des Iran, Ajatollah Ali Chamenei, der dem Westen Einmischung in die inneren Angelegenheiten vorwarf.
Schlechte Verlierer
Dann kamen die drei unterlegenen Kandidaten zu Wort, die allesamt die Neuauszählung von nur zehn Prozent der Stimmen ablehnten und so irgendwie als schlechte Verlierer herüberkamen.
Normalität in Teheran, also nach Tagen der Kommunikationsfreiheit über Twitter und Proxy-Server, die rund um die Welt User aus dem Iran zur Verfügung gestellt wurden, um Website-Sperren zu umgehen?
Mitnichten. Alles spricht dafür, dass die Situation auf allen möglichen Kommunikationskanälen stets unter Kontrolle des Regimes war.
Ein Land wird umgeroutet
Ab Samstag, dem 13. Juni, kam es nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses zu immer mehr Störungen und Ausfällen, am frühen Abend Ortszeit verschwanden auf einen Schlag 180 iranische Subnetze aus den internationalen Routing-Tables, den "Straßenkarten" des Internets.
Wenig später waren diese Netze wieder zurück, doch anderswo angebunden. Sämtlicher Internet-Verkehr, der in beide Richtungen bis dahin über die Glasfaserkabel von FLAG, Singapore Telecom, PCCW, Telia und Telecom Italia geflossen war, ging jetzt über die Leitungen von Türk Telecom.
Von dort wurde über die internationalen Carrier Level 3, Global Crossing und Telia Sonera weitergeroutet. Das bedeutet, binnen Tagesfrist war die Anbindung des Iran an das Internet radikal umgestellt.
Politik an der Firewall
Ausgewählte Services wie HTTP, FTP und E-Mail wurden wieder eingeschaltet, andere blieben gesperrt: Verschlüsselte Verbindungen via HTTPS und SSH sind bis heute fast vollständig unmöglich. In den folgenden beiden Tagen ging man dann auf alle möglichen Arten gegen unerwünschte Kommunikation vor.
Das betraf beileibe nicht nur zunehmende Sperren ausländischer Websites und das Blockieren von Proxy-Servern, über die versucht wurde, die Blockaden zu umgehen. Betroffen waren alle Verbindungen. Während der Demonstrationen am 15. und 16. Juni, die mit Toten endeten, wurden Handys und Digicams auf den Straßen beschlagnahmt, dann wurde das Handynetz zeitweise abgedreht und SMS gesperrt.
TV-Jamming
Nach ORF.at vorliegenden Nachrichten aus Teheran wurden Demonstranten systematisch auf Handys angerufen und gewarnt, sich künftig von Demonstrationen fernzuhalten.
Bassidsch-Trupps gingen von Haus zu Haus und beschlagnahmten Satellitenschüsseln. Weiters wurde Satelliten-TV wenigstens in den Großstädten gestört: Mit starken Sendern wurden über die Dächer Störnebel gestrahlt.
Auf Twitter gewannen bereits in der ersten Woche nach der Wahl die Postings von Regierungsseite langsam die Oberhand. Wenn zu einer Demonstration aufgerufen wurde, meldeten sich prompt andere User, die mitteilten, die Demonstration sei abgesagt. Und: Es sei sehr gefährlich hinzugehen.
Fallen, Proxys, SMS
Das ging so Zug um Zug auf allen Ebenen, bis Staatsoberhaupt Chamenei eine Woche nach der Wahl (Freitag, 19. Juni) nun selbst vor Blutvergießen warnte. Da war die Zahl der Protestierenden bereits sehr übersichtlich geworden, und plötzlich war SMS wieder möglich.
Ebenso, wie manche Proxys irgendwo auf der Welt nicht an der Firewall geblockt wurden, um der Regierungsseite die Verfolgung der Opposition zu erleichtern, erwies sich SMS als Falle. Auch hier hatte das Regime längst vorgesorgt.
Erst in der zweiten Hälfte 2008 waren von Nokia Siemens Networks - nach eigenen Angaben - Monitoring-Center in den Iran geliefert worden. Zu deren Grundfunktionen gehört etwa, SMS-Verkehr mitzuschneiden und ihn mit Anschlussnummer (IMSI) von Absender und Adressat sowie Geolocation in einer Datenbank zu speichern.
Ausgezwitschert
Das iranische Regime kontrollierte die Handykommunikation der Bevölkerung schon vor der Wahl mit denselben Systemen zur Mobilfunküberwachung, die in Europa zur Strafverfolgung eingesetzt werden. Die von Nokia Siemens Networks gelieferten Systeme tracken und analysieren alles, was telefoniert oder SMS schickt.
Im Griff
Sobald eine gewisse Mindestzahl an derlei Verkehrs- und Geodaten im System vorhanden sind, lassen sich kommunizierende Gruppen automatisch identifizieren. Ebenso schnell können die Leute dann durch die Funkzellen verfolgt und einzeln von den Straßen gefischt werden.
Nach zehn Tagen hatte das Regime die elektronische Kommunikation also mehr oder minder vollständig im Griff. Das Gros der internationalen TV-Korrespondenten musste abreisen, die verbliebenen Journalisten sind in ihrer Bewegungsfreiheit stark eingeschränkt.
Die Umroutung, warum
Für den einleitenden Zug, die internationale Anbindung des Iran so radikal umzurouten, gibt es zwei Deutungen, die einander freilich nicht ausschließen.
Zum einen sind so umfassende und zeitdynamisch gestaffelte Filtermaßnahmen wohl am schnellsten umzusetzen, wenn sie nur an einem physischen Ort im Netz stattfinden müssen: wenn sozusagen eine Firewall den Datenstrom des ganzen Landes kontrolliert.
Zum anderen waren Ende Jänner 2008 die beiden wichtigsten Glasfaserleitungen im Mittelmeer zur Versorgung von Ägypten und Nahost zeitgleich ausgefallen.
Ein dritter Kabelbruch vor Dubai folgte zwei Tage später, der alles rund um den Persischen Golf abschnitt. Der größte Teil des Datenverkehrs, aber auch der Telefonie in der gesamten Region musste danach wochenlang über die USA geroutet werden.
Derlei Kalamitäten sollten offenbar vermieden werden.
Live aus Teheran
Am Sonntagabend zeigte sich der iranische Geheimdienstchef live auf Press-TV. Er sagte, die iranischen Geheimdienste seien schon Monate vor der Wahl über die Umsturzversuche informiert gewesen, hinter denen "Zionisten" steckten.
Ständig eingeblendet war die Kernaussage: "Feinde bestürzt über stabilen und sicheren Iran".
Da hatte Press TV, dessen Moderatoren gewähltes britisches Idiom sprechen und aller Übertreibung strikt abhold sind, eine Sendung des Inlandsdienstes IRIB übernommen, und zwar live. In der englischen Simultanübersetzung hörte sich das dann doch alles ziemlich anders an.
(futurezone/Erich Moechel)