© Günter Hack, Grafik: Altes Telefon mit Wählscheibe

"Datenklo" mit Gummimuffen

ARCHÄOLOGIE
15.08.2009

In Teil zwei der Futurezone-Sommerserie "digitale Trichtergrammophone" erinnert sich Peter Glaser an Modems Marke Eigenbau. Und damit auch an jene Zeiten, als fernmeldetechnische Zentralämter noch bis auf den Schreibtisch des frühen Computernetzwerkers durchgreifen durften. Die Frage der Fragen aber lautete: mit Gehäuse oder ohne?

Im Anbeginn der PC-Ära traten zwei Stämme gegeneinander an – die Freunde und die Feinde von Gehäusen. Mein erstes Modem baute mir ein Freund aus dem Chaos Computer Club, das war Mitte der achtziger Jahre. Das Gerät war der Nachfolger des legendären "Datenklos".

Das "Datenklo" war die erste Bauanleitung für einen Selbstbau-Akustikkoppler. Bei dieser Apparatur musste man im Unterschied zu einem Modem die Verbindung zwischen dem Computer und dem Telefon noch gewissermaßen handvermittelt herstellen, indem man den Telefonhörer in zwei passende Gummimuffen koppelte respektive stopfte. Die aparte Bezeichnung "Datenklo" kommt daher, dass diese Muffen in der Selbstbauanleitung aus zwei Dichtungsringen für Waschbeckenabflüsse aus dem Sanitärfachhandel bestanden.

Zur Person:

Peter Glaser, 1957 als Bleistift in Graz geboren, wo die hochwertigen Schriftsteller für den Export hergestellt werden. Lebt als Schreibprogramm und Ehrenmitglied des Chaos Computer Clubs in Berlin.

Connect ohne Dichtungsring

Das Modem bedeutete fantastischen Fortschritt. Es stellte die Verbindung zum Telefonnetz ganz von selbst her. Darüber hinaus beherrschte es das Wunder der Wahlwiederholung. Um Datenfernübertragung zu betreiben, wie das Onlinesein damals noch etwas spröde genannt wurde, hatte man gemeinhin die gewünschte Gegenstelle anzurufen, und zwar vermittels fleißigen Drehens der Wählscheibe am Telefon.

Das Modem erledigte das nun automatisch. Leider - aus meiner Sicht jedenfalls leider - hatte mein neues Modem kein Gehäuse. Es bestand aus einer kleinen grünen Leiterplatte, auf der sich ein unglaubliches Gewöll von handgelöteten Kabelverbindungen türmte. Ganz vorne ragten zwei Riesenleuchtdioden hoch wie die Fühler einer außerirdischen Garnele.

Monster-LEDs für die Modemgarnele

"Vic", der das Modem für mich gebaut hatte, liebte solche Jumbo-LEDs. Seinen Hackernamen "Vic" hatte er von einem der ersten Homecomputer übernommen, dem Commodore VC-20 (der eigentlich VIC-20 hieß, aber um die zweideutige Aussprache zu vermeiden, in deutschsprachigen Raum in VC-20 umbenannt worden war). Ich fragte "Vic", ob er mir nicht vielleicht noch ein Gehäuse um das Modem herum machen könnte.

Gehäuse? Mein Ansinnen befremdete ihn. Man konnte doch alles so schön sehen ohne Gehäuse. Und man konnte sofort weiter herumbasteln - löten, verdrahten, integrierte Bauteile einstecken -, wenn einem wieder etwas zur technologischen Verbrilliantierung des Ganzen einfiel, und zwar ohne erst irgendwelche lästigen Umhüllungen aufschrauben zu müssen. Gehäuse waren uncool, der Vorwurf stand jedenfalls im Raum. Ich versuchte es mit einem drastischen Vergleich. Wenn das Ding hier so liegt, sagte ich, habe ich das Gefühl, da liegt ein Freund mit geöffneter Bauchdecke.

Das verkleidete Gerät

Mit den Gehäusen war es in den frühen Jahren der PC-Ära ähnlich wie mit den Verkleidungen der Menschen. Es gab zwei Stämme. Die Mitglieder des einen Stamms, die "Schrauber", hatten gerne alles möglichst offenliegend. Sie waren wie die Urwaldindianer, die nackt bis auf Blasrohr und Penisköcher durch den Dschungel flitzen, ohne ein Gramm unnötigen Ballast, wendig und effektiv. Die Mitglieder des anderen Stammes kann man mit missionierten Indianern vergleichen, denen bereits erfolgreich nahegelegt worden war, Kleidung zu tragen.

Wobei die Verkleidung in den siebziger und achtziger Jahren keine Frage der Ästhetik war. Es gab keine schönen Gehäuse, sondern nur unterschiedlich hässliche. Großrechner waren hässlich, um das Männliche an ihnen angemessen zum Ausdruck zu bringen. Sie waren in hammerschlaglackierten Blechkästen untergebracht, die sich widerstandlos öffnen ließen, umtost vom kraftvollen Geräusch von Kettendruckern. Frauen, die Nylons trugen, wurden in Rechenzentren nicht gern gesehen, da sich die Strümpfe reibungselektrisch aufluden und die empfindlichen Elektronengehirne störten. Mikrocomputer und PCs galten dagegen noch jahrelang als Spielzeug, das nicht ganz ernst zu nehmen war.

Digitale Trichtergrammophone

Machokrise mit Macintoshs

Die Hersteller der Kleinrechner mühten sich also nach Kräften, durch möglichst hässliche Gehäuse erwachsene Virilität zu signalisieren. Erst als 1984 der Macintosh auf den Markt kam, geriet das digitale Großgerätemachotum in die Krise. Der Untergang des Abendlandes stand kurz bevor – nun fingen sogar junge Frauen an, sich massenhaft für kleine Computer zu interessieren. Der Mac war schick und der erste Computer, der ohne die Eingabe undurchsichtiger Zauberformeln zu benutzen war. Maus und grafische Benutzeroberfläche entfachten einen Glaubenskrieg.

Die einen sahen die Maus als fahrbare Hilfetaste für Doofe, für die anderen war es die tollste Maus seit "Minnie". Bei seinem nächsten Besuch brachte mir mein Freund "Vic" damals übrigens ein Gehäuse mit. Natürlich war es ein supercooles Gehäuse, nämlich eines, in dem sich normalerweise ein BTX-Decoder befand. Ein selbstgebautes Modem mit dem Telefonnetz zu verbinden, war damals streng verboten. Der BTX-Decoder war erlaubt. Er war eine Art Modem für das Bildschirmtextsystem der Post, mit dem von Amts wegen der Cyberspace zugänglich gemacht werden sollte, nebst Prüfsiegel des deutschen fernmeldetechnischen Zentralamts (FTZ), das wirklich so hieß.

Sollte eine unerwartete Kontrolle in meiner Wohnung stattfinden, würde man nur ein hellbeige, legales Kästchen zwischen dem Telefonstecker in der Wand und dem Computer auf meinem Schreibtisch sehen. In seinem Inneren aber tobte das wunderbarste Chaos.

(Peter Glaser)