© Günter Hack, Logo der Piratenpartei Schwedens

Fünf Irrtümer über die Piratenpartei

NETZ
26.07.2009

In nur drei Jahren ist die Piratenpartei in Schweden zu einer ernst zu nehmenden politischen Kraft herangewachsen und mittlerweile im EU-Parlament vertreten. In Deutschland tritt sie zur Bundestagswahl im September an. Ist die Piratenpartei eine politische Eintagsfliege, oder wird sie nachhaltig Felder besetzen, die von den traditionellen Parteien seit Jahren vernachlässigt werden? Ein Erklärungsversuch anhand von Vorurteilen.

Was ist die Piratenpartei?

Die erste Piratenpartei wurde 2006 in Schweden gegründet. Sie tritt unter anderem für eine Anpassung des Urheberrechts an die Bedingungen des digitalen Zeitalters ein, wobei diese Forderungen bis hin zur kompletten Abschaffung geistiger Eigentumsrechte gehen können. Zweiter thematischer Schwerpunkt der Piratenparteien ist der Schutz der Bürgerrechte vor Überwachungsmaßnahmen wie der demnächst auch in Österreich anstehenden Vorratsspeicherung aller Kommunikations- und Handystandortdaten. Derzeit gibt es Piratenparteien in 32 Ländern, darunter auch in Österreich, Deutschland und der Schweiz.

Populärer Irrtum #1: Die Piratenpartei wurde vom Team des umstrittenen Torrent-Trackers The Pirate Bay gegründet. Sie kommt also aus dem Umfeld notorischer Provokateure und Urheberrechtsverletzer.

Antwort: Falsch. Die schwedische "Ur-Piratenpartei" wurde 2006 auf Initiative des ehemaligen Microsoft-Projektleiters Rickard Falkvinge gegründet. Falkvinge hatte schon im Jänner 2006 im Netz vorgefühlt, ob sich genügend Interessenten für die Gründung einer neuen Partei finden würden, die sich um die Probleme des Urheberrechts und den Schutz der Privatsphäre im digitalen Zeitalter kümmern würde. Im Februar 2006 hatten die Piraten die 1.500 Unterschriften beisammen, die sie für die Registrierung als Partei gebraucht hatten, und wurden offiziell als solche anerkannt.

Nicht mit der Piratenpartei zu verwechseln ist das 2003 gegründete Piratenbüro (Piratbyran). Aus diesem wiederum ging 2004 der Torrent-Tracker The Pirate Bay als eigenständige Organisation hervor.

Die Ur-Piratenpartei wurde nicht von den Pirate-Bay-Machern gegründet, aber sie wurde durch sie relevant. Der erste Meilenstein in der Geschichte der Partei war die Razzia im Mai 2006, bei der die schwedische Polizei Durchsuchungen bei Pirate Bay und Piratenbüro durchgeführt und dabei auch die Server der beiden Organisationen konfisziert hatte. Zwei Tage nach der Razzia hatte die Piratenpartei nach eigenen Angaben 2.000 neue Mitglieder. Bei der darauffolgenden Reichstagswahl im September 2006 konnte die Piratenpartei 34.918 Stimmen und damit 0,63 Prozent holen.

Derzeit hat die schwedische Piratenpartei nach aktuellen Zahlen auf ihrer Website 49.985 Mitglieder und liegt in dieser Hinsicht hinter der Moderaten Partei (54.858) und den Sozialdemokraten (100.639) auf Platz drei in der dortigen Parteienlandschaft. Bei der Wahl zum EU-Parlament erreichte die schwedische Piratenpartei 7,1 Prozent und konnte den Informatiker Christian Engström nach Straßburg entsenden. In Deutschland kam die Partei bei dieser Gelegenheit auf 0,9 Prozent. Das Verzeichnis des internationalen Dachverbands der Piratenparteien zählt Mitgliedsorganisationen in 32 Ländern. Seit 1. Juli 2006 gibt es in Österreich eine Piratenpartei, die allerdings bisher nicht zu Wahlen angetreten ist.

Populärer Irrtum #2: Die Piratenpartei spricht nur oberflächliche Trendthemen an, die sich so schnell ändern werden wie die Technologie, die sie hervorgebracht hat.

Antwort: Die Probleme, die zur Gründung der Piraten geführt haben, wurzeln tief in den Ursprüngen der Computerkultur. Wer sich die Mühe macht, in Steven Levys Standardwerk "Hackers" nachzulesen, wird feststellen, dass der freie Austausch von Programmcode schon in der Frühzeit der digitalen Revolution ein heiß umstrittenes Thema war. Angesichts der Komplexität von Software müssen Programmierer modular denken. Patente - speziell Trivialpatente nach US-Vorbild - und Copyright-Fragen halten schnell den Betrieb auf und führen zu sinnlosen Redundanzen.

Wer ein Computersystem administriert, wird sich auch schnell Fragen stellen müssen, die den Schutz der Privatsphäre berühren. Außerdem sind Computer Maschinen, die perfekte Kopien herstellen können. Sie mit DRM-Systemen und flankierenden gesetzlichen Maßnahmen daran hindern zu wollen, anstatt diesen Vorteil zu nutzen, um beispielsweise Vertriebskosten zu reduzieren und sein Geschäftsmodell entsprechend anzupassen, wirkt auf einen Profi wie der Versuch, mittels magischer Rituale die Gravitation aufheben zu wollen.

Auch das Internet selbst ist aus einer akademischen Kultur des freien Austauschs hervorgegangen. Darum sind im Gegensatz zu Ted Nelsons Konzept zum Hypermediensystem Xanadu in den grundlegenden Kommunikationsprotokollen des Internets auch keine Mechanismen für Micropayments und technischen Schutz von Inhalten vorgesehen.

Die Fragen, die die Piratenpartei aufgreift, werden im Kern unserer informationsverarbeitenden Systeme aufgeworfen, und zwar nicht erst seit 2006, sondern seit es Computer und Möglichkeiten zu deren Vernetzung gibt. Eines der gegenwärtigen Probleme besteht darin, dass mit der rapiden Ausweitung der Systeme auf andere Kulturen und soziale Gruppen die ursprünglichen Mechanismen der Netzwerker- und Computerprofis zur Selbstregulation wie Hacker-Ethik und Netiquette nicht mehr ausreichen. So hat sich ein neues Politikfeld geöffnet, das allerdings von den traditionellen Parteien bisher nicht ernsthaft und nachhaltig genug bearbeitet wurde.

Populärer Irrtum #3: Die Piraten sind raubkopierende Pickelboys, die ihre Luxusprobleme zu grundlegenden Fragen über die Zukunft der menschlichen Gesellschaft hochstilisieren und eigentlich nur gratis Trashfilme und Müll-Pop abgreifen wollen.

Antwort: Wie die zunehmend scharfen Auseinandersetzungen über das im Geheimen ausgehandelte Anti-Piraterie-Abkommen ACTA zeigen, berühren die Konflikte über Patente und Urheberrecht nicht nur den Umgang mit Medienprodukten. Es geht darum auch um Fragen wie jene, ob Pharmafabriken in Schwellenländern für Medikamente zur Aids-Behandlung hohe Lizenzgebühren zahlen müssen. Je intensiver die Wertschöpfung mit Ideen betrieben wird, desto härter werden die Kämpfe um das "geistige Eigentum". Die Piratenpartei ist sich auch dieser Dimension der Urheberrechtsthematik durchaus bewusst, wie ein Blick in ihr Wahlprogramm zeigt. Ob diese tiefer liegenden Probleme auch für die Wählerschaft eine Rolle spielen, sei dahingestellt. Und: Auch die Piratenpartei bleibt eine überzeugende Lösung des Problems der Entlohnung der Kreativen in der digitalen Ökonomie schuldig, in ihrem Gedankengut dominiert der Standpunkt der Konsumenten. Sie verschleiert das zumindest nicht.

Was die Trashfilme angeht, so lautet die Frage, ob der Kampf gegen das unlizenzierte Filesharing tiefe Eingriffe in das Grundrecht der informationellen Selbstbestimmung rechtfertigen kann. Die zwei zentralen Themen der Piratenpartei, Urheberrecht und Überwachungsgesellschaft, sind nicht voneinander zu trennen. Auch dieser Problemkomplex ist schon in der Architektur unserer IT-Systeme angelegt. Diese folgt nicht unbedingt dem Bauplan der Demokratie.

Der Admin kann theoretisch alles. Aber was soll er tun dürfen und unter welchen Umständen? Wer kontrolliert ihn und wie? Je weiter diese in alle Bereiche unserer Gesellschaften vordringen, desto häufiger wird man sich diese Frage stellen müssen. Mit diesen Fragen sind IT-Fachkräfte und jüngere Menschen, die in der Informationsgesellschaft aufgewachsen sind, naturgemäß früher konfrontiert worden als die "Babyboomer" oder Protagonisten der Ökobewegungen der 1970er und 1980er Jahre. Genauso wie die Ökologie ist auch der Umgang mit den alles durchdringenden IT-Systemen ein Querschnittsthema, das die ganze Gesellschaft betrifft. Die Frage lautet, ob sich die Bürger administrieren lassen oder ob sie selbst mitentscheiden wollen.

Populärer Irrtum #4: Die Piratenpartei ist unnötig. Die traditionellen Parteien haben mehr Macht und Reichweite und nehmen sich ebenfalls auf ihre Weise der Problemstellungen der Informationsgesellschaft an.

Antwort: Es gibt immer wieder einzelne Akteure in traditionellen Parteien, die sich mit dem oben skizzierten Problemkomplex befassen. Aber bisher bearbeitet die offizielle Politik diese Fragen in der Regel mit dem altbekannten Instrumentarium der Industrie- und Infrastrukturpolitik, zuweilen garniert mit Law-and-Order-Rhetorik. Das führt schnell zu Widersprüchen, wenn etwa die Logik des Infrastrukturausbaus verlangt, dass in schnellere Breitbandnetze investiert werden muss, während die Aktivitäten der Medienindustrielobby beispielsweise in Frankreich darauf abzielen, möglichst viele User von diesen Netzen der Zukunft auszuschließen. Während Regierungsvertreter gerne das Internet als "rechtsfreien Raum" darstellen, sorgen diese Widersprüche gerade dafür, dass rechtsfreie Räume geöffnet werden, etwa wenn in Entwürfen zu Netzsperren- und Überwachungsgesetzen die Gewaltenteilung aufgehoben wird.

Bei der Diskussion über das Netzsperrengesetz in Deutschland hat sich beispielhaft gezeigt, dass Menschen, die es gewohnt sind, mit Computern und Code umzugehen, mit symbolischer Politik nicht zufriedenzustellen sind. Im Netz schafft der Code die Wirklichkeit, und wenn in ihm ein Zeichen nicht stimmt, dann funktioniert er nicht. Es ist daher nicht besonders klug, einer Klientel, die unter diesen Bedingungen lebt und arbeitet, einreden zu wollen, dass Stoppschilder im Internet etwas gegen Kinderpornografie ausrichten können. Es ist noch weniger intelligent, dieser Klientel mit Umfragen und Statistiken begegnen zu wollen, die diese mittels ihrer Kompetenz im Umgang mit informationstechnischen Systemen innerhalb weniger Sekunden demontieren kann. Und es muss Menschen, die es gewohnt sind, ihre eigenen Systeme zu administrieren, zynisch vorkommen, wenn eine Regierung eine zentral verwaltete geheime Sperrliste von Internet-Adressen ausgerechnet unter dem Vorwand der Kinderpornobekämpfung durchsetzt.

Mag sein, dass solche Mechanismen im Paralleluniversum von "Bild, BamS und Glotze" noch funktionieren, wie Deutschlands Ex-Kanzler Gerhard Schröder das einmal formuliert hat. Es kann aber genauso gut sein, dass nach der nächsten Wahl jene 0,9 Prozent der Piraten-Wähler der einen oder anderen Partei fehlen werden.

Populärer Irrtum #5: Die Piratenpartei ist eine Single-Issue-Protestpartei, der schnell die Luft ausgehen wird.

Antwort: Siehe oben: Vom Wachstum und der zunehmenden Relevanz der Netze bleiben nur wenige Teilbereiche moderner Gesellschaften unberührt. Die Relevanz der Informationsökologie wird daher eher steigen als fallen. Und es gibt Parteien, die mit bedeutend weniger intellektueller und programmatischer Substanz Erfolge feiern, als sie die Piraten zu bieten haben.

Die Piratenparteien selbst mögen zuweilen schwach, übereifrig oder ungeschickt anmuten, aber die Probleme, die sie ansprechen, sind real und werden in absehbarer Zeit eher schwieriger werden, als dass sie verschwänden. Ob eine Generation, die in digitalen Systemen an "instant gratification" gewöhnt ist, dazu bereit ist, den langen Marsch durch die Instanzen anzutreten, bleibt abzuwarten. Das Urheberrecht zu verdammen, ist einfach. Eine tragfähige Weiterentwicklung oder Alternativkonzepte für das digitale Zeitalter zu erarbeiten, wird sehr schwierig. Erfolg wird sich sicher auch erst dann einstellen, wenn sich auch in anderen Ländern politische Talente wie Rickard Falkvinge finden, die in der Lage sind, die Ziele der Piraten überzeugend zu präsentieren und sie für andere gesellschaftliche Gruppen attraktiv zu machen. Die Piraten stellen viele richtige Fragen. Ihr politisches Überleben wird stark davon abhängen, ob sie diese auch nur ansatzweise werden beantworten können.

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(futurezone/Günter Hack)