© gold extra, Screenshot vom 3D-Multiplayer-Onlinespiel Frontiers, Grenzzaun in Ceuta

"Frontiers": Flüchtlingsdrama als Computerspiel

SERIOUS GAMES
11.05.2010

Mit dem Serious Game "Frontiers - You've reached Fortress Europe" will die Salzburger Künstlergruppe gold extra die Situation von Migranten und Flüchtlingen erfahrbar machen. Warum sich ein 3-D-Ego-Shooter für die Vermittlung eines derart sensiblen Themas eignet, darüber sprach Karl Zechenter vom Künstlerkollektiv mit ORF.at.

40 Personen aus dem In- und Ausland haben an "Frontiers" mitgearbeitet, viele davon unentgeltlich. Das Kernteam von gold extra besteht aus fünf Personen: Tobias Hammerle, Georg Hobmeier, Jens Stober, Sonja Prlic und Karl Zechenter.

Wie sieht der Weg eines Flüchtlings aus, der versucht, über streng bewachte Grenzen nach Europa zu fliehen? "Es gibt viele Berichte zum Thema Flucht in den Medien: Dort ist ein Boot gesunken, hier wurde einer festgenommen, aber für viele Leute ist das oft nicht konkret wahrnehmbar", sagt Zechenter. Die Informationen würden vielmehr als "weißes Rauschen" wahrgenommen. Um dem entgegenzuwirken, sei 2006 die Idee entstanden, in Form eines Computerspieles das Thema Migration aufzugreifen.

Mit dem 3-D-Multiplayer-Online-Spiel "Frontiers" sei "ein Raum kreiert worden, in dem das Problem den Leuten bewusst gemacht wird, weil ich mir ein Bild machen kann, und die politische Realität erfahrbar wird", so Zechenter. Das Serious Game stelle die Realität der Migration und Flucht lehrreich dar und mache sie für die Spieler realistisch erlebbar.

Von der Sahara bis Rotterdam

Im Wesentlichen besteht das Spiel aus zwei Fluchtrouten, die über die Grenze Afrikas und Osteuropas in die holländische Hafenstadt Rotterdam führen. Route eins startet in der Wüste Sahara und führt über die in Nordafrika gelegene spanische Exklave Ceuta, die aufgrund ihrer Lage ein sehr begehrtes Ziel für Einwanderer ist und deshalb schwer bewacht wird.

Seit dem Start im Herbst 2008 wurden 20.000 Downloads von "Frontiers" gezählt.

Der zweite Fluchtweg beginnt im Irak und führt über die Türkei und Ukraine nach Europa. Die Umsetzung dieser Levels soll nach Fertigstellung der ersten Route "schneller erfolgen" als die bisherigen Levels, verspricht Zechenter. Die Levels in der Sahara und Ceuta sind bereits kostenlos online abrufbar, die Reise durch Spanien und die Ankunft in Rotterdam sollen bis spätestens Herbst dieses Jahres folgen.

In mehreren Levels von jeweils 15 Minuten muss der Spieler beziehungsweise das Team - entweder in der Rolle von Grenzbeamten oder Flüchtlingen - möglichst viele Punkte sammeln. An einem Spiel können maximal 16 Personen teilnehmen, die Rollen werden paritätisch verteilt, so dass ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Verfolger und Verfolgten herrscht.

Aufwendige Recherchearbeit an Ort und Stelle

Zwar sind bis dato nur zwei Levels des Spiels fertig, wie sehr die Flüchtlingsproblematik und die spielerische Umsetzung interessiert, zeigt jedoch die Aufnahme von "Frontiers" in das Museum für interaktive Kunst des Zentrums für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe (ZKM). "Frontiers" wird in dem Medienmuseum seit Februar 2010 in einer dreijährigen Dauerausstellung präsentiert.

Die Darstellungen der Levels basieren auf Recherchen an den realen Grenzorten. Die Ernsthaftigkeit des Spiels wird auch durch die Originaltöne betont, die bei den Reisen nach Spanien und in die Ukraine aufgenommen wurden. Im Zuge der Fahrten zu den Originalschauplätzen im Jahr 2007 und 2008 wurden Flüchtlingsorganisationen und Anhaltelager aufgesucht. Die Gespräche mit den Betreuern und den Flüchtlingen selbst, wie auch mit Grenzbeamten sollen dem Spiel einen realen Background zum Dilemma liefern.

Neben dem "gut recherchierten Kunstwerk, das zum Denken anregen soll", sei vor allem das Spielerlebnis ein wichtiges Projektziel. Eine Herausforderung sei das Aufbrechen der herkömmlichen Strukturen von First-Person-Shootern gewesen. Das Spiel baut auf der Game-Engine des Ego-Shooters "Half-Life 2" auf. "Wir haben die Engine stark verändert, weil wir viele Modifikationen beim Gameplay gemacht haben, wie die Möglichkeit zu bestechen oder zu verhaften", bemerkt Zechenter. Diese Veränderungen seien bei Ego-Shootern eher unüblich.

Vom Spiel zur Meinungsbildung

Ursprünglich sei geplant gewesen, das Spiel völlig ohne Waffen zu programmieren, "das wäre aber zu irreal gewesen". Um die Situation der Grenzbeamten, die über Schusswaffen verfügen, zu veranschaulichen, wurde schließlich der Human Rights Index zu Hilfe gezogen. Wenn der Beamte einen Flüchtling verletzt oder tötet, verliert das Land an Ansehen, was sich negativ auf die Punkteanzahl im Spiel auswirkt. Unethisches Verhalten wird also bestraft.

In der Rolle des Grenzbeamten etwa werde der Spieler selbst in die Entscheidungssituation versetzt, ob er auf die Person zielen oder besser in die Luft schießen und die Person verhaften solle. "Ich kann reflektieren, was ich in der Situation machen würde, das heißt, es passieren viele Prozesse, die am Schluss zu einer fundierten Meinung führen", meint Zechenter.

Game-Engine:

Eine genaue Installationsanleitung für die notwendige Game-Engine und wo diese erworben werden kann, findet sich auf der Homepage von "Frontiers" unter Game/Download.

"Half-Life-2"-Mod

Um eine möglichst große Zahl an Personen zu erreichen, habe sich das Kollektiv für eine Modifikation (Mod) des Ego-Shooters "Half-Life 2" entschieden. Um das kostenlose Spiel "Frontiers" spielen zu können, muss jedoch die Game-Engine von "Half-Life 2" erworben werden, die es etwa mit dem auf "Half-Life-2-"basierenden Spiel "Deathmatch" bereits ab fünf Euro zum Download gibt.

Das Spiel ist damit zwar nicht vollständig kostenfrei, jedoch wäre die "jahrelange Programmierung einer eigenen Game-Engine am Ziel vorbeigegangen und auch wirtschaftlich nicht vertretbar", so Zechenter. Mit der offenen Game-Engine könne relativ einfach eine Mod auf eine bereits bestehende Infrastruktur aufgebaut werden, was auch Weiterentwicklungen für "Frontiers" durch andere Entwickler ermögliche.

Anspruchsvolles Grafikdesign

"Der Nachteil ist, dass die Game-Engine auf den Nutzen für das ursprüngliche Spiel zugeschnitten ist", erläutert Zechenter. Bei "Frontiers" sei auch auf ein anspruchsvolles Grafikdesign Wert gelegt worden. "Bei 'Half-Life 2' gibt es viele Innenräume und wir haben viele Außenräume." Im Ukraine-Level gebe es etwa viel Wald, was eine aufwendige Grafik und somit auch viel Rechenleistung erfordere.

"Das heißt, es muss ein Mittelweg zwischen Spielbarkeit und Realitätsnähe geschaffen werden", meint Zechenter. Das sei auch der Grund, warum die Fertigstellung der nächsten Levels etwas in Stocken geraten sei. "Der Spanien-Level ist zu groß, um ihn über das Netz zu spielen." Die "Half-Life"-Engine sei so konzipiert, dass alle Ereignisse auf der Landkarte zugleich geladen würden. "Das Problem ist, dass sehr viele 3-D-Objekte herumstehen und für alle berechnet wird, wie ich dazu stehe, auch wenn ich diese nicht sehe." An einer Lösung des Problems werde bereits gearbeitet.

3-D eine Chance für Serious Games

"Das Medium der Computerspiele ist noch sehr jung," insbesondere die 3-D-Welt. "Einer unserer Programmierer hat mit dreizehn Jahren seinen Turnsaal in 3-D modelliert, jetzt ist er 22 Jahre alt", erzählt Zechenter. Er sehe eine neue Generation "mit einem viel logischerem 3-D-Modelling aufkommen", was Computerspiele noch populärer und zugänglicher machen werde.

Für den Bereich Serious Games sei diesbezüglich auch noch einiges zu erwarten. "Frontiers" sei so ausgelegt, dass der Spieler einen Moment der Immersion, des Eintauchens ins Spielgeschehens, erlebe. "Dort wo der Bildschirm nicht mehr wahrgenommen wird und du drinnen bist im Spiel", erklärt Zechenter. Das sei ein wichtiger Aspekt und ermögliche einen anderen Zugang zum Thema.

Anders sei das etwa bei Flash Games wie "Last Exit Flucht" des UNO-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR). Zechenter findet das Spiel, wie viele Serious Games, "zu pädagogisch". Es sei so entwickelt, dass es "zu vorhersehbar ist, auf was ich rauswill. Damit leidet der Überraschungseffekt." Der Spieler wisse bereits im Vorhinein, was der "richtige" Spielzug sei.

Gemischte Reaktionen

Die Reaktionen auf "Frontiers", das in der Mod-Database einmal bereits Platz sechs belegt hatte, seien sehr unterschiedlich ausgefallen: Einerseits habe es viel Lob erhalten, es gebe aber auch Stimmen, die die Abhandlung eines ernsthaften Themas in einem Spiel als entwürdigend erachten. "Es wird gespielt, und es entstehen durch die Realitätsnähe sofort Diskussionen über die Situation an sich", meint Zechenter. Auch bei den Flüchtlingen auf der Recherchereise habe die Idee, das Thema Migration in einem Spiel aufzubereiten, zu Verwirrungen geführt.

Zechenter sieht in der Aussage einer Nonne in Ceuta den richtigen Gedankenansatz: "You have to change the information." "Für mich war das ein wichtiger Anstoß, die Sprachlosigkeit gegenüber dem menschlichen Leid der Flüchtlinge in Form eines Spiels zu überwinden." Mit "Frontiers" könnten die Spieler "die Nachrichten" selbst miterleben. "Ich hoffe, dass das dazu führt, den Nachrichten auch zuzuhören und die Situation der Flüchtlinge wahrzunehmen."

Das wahre Ziel

Das wahre Ziel der Flüchtlinge in "Frontiers" ist jedoch nicht Rotterdam, sondern London. Im Spiel endet die Flucht nach Erreichen eines Containers in der holländischen Stadt, der die Migranten weiter nach Großbritannien bringen soll. Für die oft bereits jahrelang Flüchtenden bedeutet das jedoch noch nicht, dass sie ihr Ziel erreicht haben: "Wir haben ein offenes Ende gewählt", so Zechenter, "denn viele Flüchtlinge haben uns erzählt, dass die Odyssee erst beginnt, wenn man das Zielland erreicht hat".

(futurezone/Claudia Glechner)