© Günter Hack, Nahaufnahme eines Netzwerkkabels

Wie das Internet nach Österreich kam

MATRIX
06.06.2010

Vor 20 Jahren ist Österreich via Standleitung permanent über TCP/IP mit dem Internet verbunden worden. Bis es jedoch so weit war, mussten einige Hürden überwunden werden. Heimische Internet-Pioniere erinnern sich an die Anfänge des Rechenzentrums der Uni Wien und an ihre Erfahrungen mit dem damaligen Wächter der Telefonleitungen, der österreichischen Post- und Telegraphenverwaltung.

"Eine Mutter erzählt der Tochter von ihrer Jugend und der Zeit, als sie noch keinen PC Zuhause hatte. Fragt die Tochter: Und wie seid ihr dann ins Internet gekommen?" (Peter Rastl)

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Seit dem 10. August 1990 ist Österreich über eine Standleitung mit dem Internet verbunden. Bis sich die Nachricht im Netzwerk verbreitet hatte und in der letzten Tabelle vermerkt war, dass Wien jetzt auch über TCP/IP erreichbar sei, dauerte es zwei Tage, erinnert sich Hermann Steinringer. Schließlich war Wochenende und Routing im heutigen Sinne gab es damals noch nicht. Die Nachricht "Vienna is up and running" von den Kollegen, der Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung in Bonn, erreichte ihn schließlich am 12. August.

Aufgabe Datenfernverarbeitung

Steinringer übernahm 1974 am interfakultären Rechenzentrum der Uni Wien - wie der Zentrale Informatikdienst (ZID) damals genannt wurde - den neu geschaffenen Posten der Datenfernverarbeitung, der durch das Universitätsorganisationsgesetz 1974 erstmals ausgeschrieben werden konnte.

In diesem Gesetz, so Peter Rastl, Chef des ZID seit 1974, wurde erstmals das Wort "Datenverarbeitung" und die Option der Universitäten, ein EDV-Zentrum zu betreiben, gesetzlich festgelegt. Um zwischen der TU Wien und der Uni Wien Synergien zu schaffen, erfand man damals das interuniversitäre EDV-Zentrum und begann damit, die Rechner an den beiden Standorten zu verbinden.

Zeit der "Datenstationen"

Steinringers erste Aufgabe bestand drin, die IBM-Geräte der Uni Wien zu vernetzen und "die Benutzer mit Wählleitungen an den Großrechner heranzubringen", wie er sagte. Es war die Zeit von Timesharing und Großrechnern, und der PC war noch nicht erfunden. Auch Modems wurden noch nicht Modem genannt, sondern "Datenstationen", die an die 20 Kilogramm auf die Waage brachten und bei denen die Equalizer alle paar Wochen mit Hilfe analoger Messgeräte händisch eingestellt werden mussten, damit die Bits auch richtig über die Leitung liefen.

Eine weitere Folge des Gesetzes war, dass sowohl die TU als auch die Uni Wien mit demselben Rechnermodell ausgestattet wurden: Einer CDC aus dem Hause Control Data Corporation. Dieses Unternehmen, so Steinringer, repräsentierte wieder eine eigene Welt, genauso wie die Vorgabe, dass zwei Universitäten mit zwei Bürokratien enger zusammenrücken und einen gemeinsam betriebenen Rechnerverbund aufbauen sollten.

Veranstaltungen zum Jubiläum

Das österreichische Wissenschaftsnetz ACOnet veranstaltet am 8. Juni ab 14.00 Uhr an der Universität Wien eine Feier zu 20 Jahren Internet in Österreich. Am 9. Juni findet von 10.00 bis 17.00 Uhr an der Universität Wien ein Symposion zum Thema "Wissenschaftsnetze: gestern, heute, morgen" statt.

In den "Ursümpfen"

Überwunden werden mussten aber nicht nur die unterschiedlichen Auffassungen über "Networking", sondern auch die Mentalität des damaligen Wächters über die Telefonleitungen, der Post- und Telegraphenverwaltung. "Da geriet ich erstmals in die Ursümpfe der Post und Telegraphenverwaltung", erinnerte sich Steinringer. Dort habe es geheißen: "Ja, so was haben wir noch nie gemacht, das gibt es alles nicht, und da gibt es keine Vorschriften, und das geht alles nicht."

Letztlich wurden die 102 Gebäude der Universitäten aber doch mit Stand- oder Wählleitungen miteinander verknüpft. Die österreichische Lösung lautete damals: Im Staatsbetrieb jene Personen ausfindig zu machen, die dafür begeistert werden konnten. Auch das Misstrauen der Führungsebene sollte nicht genährt werden.

Aber am wichtigsten war es wohl, nicht den Humor zu verlieren und den Vorteil der Universität zu nutzen, Entwicklungen, die den Regeln der Post zuwiderliefen, als Forschungsprojekte ausgeben zu können.

Ein Vorteil, den der erste kommerzielle Internet-Provider in Österreich nicht hatte. Vielmehr musste Michael Haberler für seine Geschäftsidee die Fantasie der Post- und Telegraphenverwaltung fürchten, die in Form einer "Gesprächsausfallsgebühr" die Gründung der EUnet Ges.m.b.H. 1991 bedroht hätte.

Am Sonntag in "matrix"

Mehr über die Anfänge des Rechenzentrums der Uni Wien, Zufälle, Begegnungen und Entwicklungsschritte bis das Internet Österreich erreichte, am Sonntagabend um 22.30 Uhr im Ö1-Magazin "matrix".

"Gesprächsausfallshaftung"

Diese "Gesprächsausfallshaftung" wurde erfunden, um zu verhindern, dass der Post- und Telegraphenverwaltung Ferngesprächsgebühren entgingen, nur weil jetzt die Möglichkeit bestand, sich in Wien einzuwählen und sich über gemietete Leitungen eines Providers mit einem Rechner in Vorarlberg zu verbinden. Zum Ortstarif und unter Umgehung des wesentlich teureren Tarifs Inlandfernzone. Die machte damals - so Michael Haberler – nach Vorarlberg 6,67 Schilling aus.

Zum Glück für die Provider wurde diese reale Bedrohung des aufkeimenden Providermarktes nicht exekutiert und sie geriet mehr und mehr in Vergessenheit. Vielleicht auch deshalb, weil die PTV, die Post- und Telegraphenverwaltung, Anfang der 1990er Jahre damit begann, mit ISDN zu experimentieren. Dabei waren ihr das Know-how und die Erfahrungen der Eunet-Mitarbeiter von Nutzen. Diese Zusammenarbeit führte sogar dazu, dass sich die beiden doch recht unterschiedlichen Unternehmen auf der Fachmesse Ifabo 1993 an einem gemeinsamen Stand präsentierten.

Mit dem EU-Beitritt Österreichs 1995 und der damit beginnenden Liberalisierung des Telekom-Markts war derartiger Spuk dann endgültig vorbei. "Zum Glück", meint Michael Haberler.

(matrix/Mariann Unterluggauer)